Nach den Salafisten-Krawallen "Eine ganz neue Form der Gewalt"

BONN · Die Polizeiführung stellt sich der Kritik aus den eigenen Reihen und rechtfertigt den Einsatz in Lannesdorf. Auch noch zehn Tage nach den Ausschreitungen in Lannesdorf, wo gewalttätige Salafisten bei einer provokanten Wahlkampfaktion von Pro NRW auf Polizisten losgingen, stellen sich viele Fragen.

Gerade aus polizeiinternen Kreisen kommt Kritik an der Behördenleitung. Am Dienstag standen Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa und Helmut Pfau, Leiter der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz, Journalisten Rede und Antwort.

War die Polizei bei der Demo in Lannesdorf am 5. Mai personell nicht ausreichend aufgestellt?
Noch am Freitagnachmittag, dem Tag vor den Gewaltausbrüchen, "waren wir der Meinung, dass wir mit den angeforderten Kräften der Lage Herr werden können", sagte Pfau. Pro NRW hatte seine Kundgebung angemeldet, hinzu kamen rund 150 Teilnehmer einer Gegendemonstration, initiiert vom Rat der Muslime. Nach den Ereignissen in Solingen, nachdem der Verfassungsschutz einen Tag zuvor vor gewalttätigen Salafisten gewarnt hatte und als bekannt wurde, dass radikale Muslime im Internet dazu aufrufen, in Bonn "ihren Glauben zu verteidigen", stockte die Polizei laut Pfau auf: von ursprünglich 30 auf 270 Einsatzkräfte. "Die Kräftelage richtete sich nach der Zahl der angemeldeten Teilnehmer."

Warum war die Polizei trotz der Aufstockung überfordert?
Zwar habe die Polizei realistisch mit bis zu 200 Salafisten gerechnet, so Pfau. Das Problem aber sei gewesen: "Uns fehlte die Erfahrung mit diesem Klientel." Und das trat ganz anders auf, als es gewaltbereite Fußballfans oder auch Rechts- und Linksradikale tun. "Wir hatten keine Idee von dem menschenverachtenden Vorgehen der Salafisten. In Solingen (bei einer anderen Pro-NRW-Aktion mit salafistischer Gewalteskalation, Anm. d. Red.) hatten sie Steine und Latten. Aber es gab keine Anzeichen für solch einen Gewaltausbruch wie in Bonn. Wenn wir diese Erkenntnisse gehabt hätten, dann wären wir mit mehr Kräften vor Ort gewesen", sagte Pfau.

Wie äußerte sich diese ungekannte Form der Gewalt?
"Es ging nicht um die Gegendemonstranten von Pro NRW, es ging darum, die Polizisten als Staatsgewalt anzugreifen", sagte Pfau. Weil sie das Demonstrationsrecht von Pro NRW schützten, trugen sie in den Augen der Salafisten die Verantwortung für das Zeigen der Mohammed-Karikaturen. "Die Beamten sollten dort getroffen werden, wo es wehtut." Und das im Wortsinn: Der Messerstecher habe bewusst auf den Oberschenkel der Polizisten gezielt, Steine seien in Höhe von Knien geworfen worden. "Diese Wut hatte eine andere 'Qualität'. Es sind absolute Überzeugungstäter, denen egal ist, was mit ihnen passiert."

Woher hätte spontane Verstärkung kommen können?
Es gab an diesem Samstag, 5. Mai, in ganz NRW Demonstrationen und Fußballspiele, außerdem stand Rhein in Flammen auf dem Programm - und ob Einsatzkräfte vom Land oder von der Bundespolizei hätten hinzugezogen werden können, ist Teil der Nachbereitung. Der Wunsch nach Verstärkung wurde auf jeden Fall erst gegen 16 Uhr geäußert, "als der Krieg losging", so Pfau. Vorher sei eine Verstärkung nicht notwendig gewesen. "Die Lage vor Ort wurde genauso eingeschätzt wie schon am Tag vorher." Ob diese Beurteilung falsch war, "ist eine der wichtigen Fragen der Nachbereitung".

Woher hatten die Gewalttäter ihre "Waffen"?
Wieso die Salafisten trotz Durchsuchungen Steine und Messer dabei hatten, ist Teil der Untersuchung. Sicher sei aber, dass sich die Gewalttäter zum Teil in den Vorgärten des abgesperrten Bereichs mit Steinen, Latten und Ähnlichem versorgt haben. Ein Problem sei gewesen, dass sich die Salafisten bereits in Lannesdorf befanden, als die Polizei eintraf - gut zweieinhalb Stunden vor Beginn der Pro-NRW-Demonstration. Anwohner hatten beobachtet, dass die Demonstranten teilweise mit Taucherbrillen als Schutz vor Pfefferspray, mit verstärkter Kleidung und maskiert gekommen waren.

War die medizinische Versorgung der verletzten Beamten unzureichend, wie es in Polizeikreisen heißt?
Die Erstversorgung sei durch Rettungssanitäter gewährleistet gewesen, sagte Pfau. Ein Polizeiarzt war allerdings nicht im Dienst, so dass der Notarzt über die Feuerwehrleitstelle angefordert wurde. "Das entspricht den normalen Planungen." Der Arzt allerdings habe Probleme bei der Durchfahrt an der König-Fahd-Akademie gehabt. Ob die Versorgung der Salafisten an der Gefangenensammelstelle dazu geführt hat, dass Beamte nicht verarztet wurden, wird ebenfalls geklärt, sagte Pfau.

Wie geht es den drei schwer verletzten Polizisten?
Die drei Polizeibeamten, die durch Messerstiche und Steine schwer verletzt wurden, sind inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen worden, sagte Polizeipräsidentin Brohl-Sowa. Sie freute sich besonders über die große Anteilnahme in der Bevölkerung - und zwar "von christlicher und muslimischer Seite".

Wurden die 109 festgenommenen Salafisten erkennungsdienstlich behandelt?
Ja, ihre Personalien wurden festgestellt, Lichtbilder angefertigt und ein Kontrollfingerabdruck genommen. 24 der Festgenommenen stammen aus Bonn, der Rest hauptsächlich aus München, Berlin, Hamburg und dem Kölner Raum. Einige sind bereits polizeibekannt, viele haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Genaue Zahlen gab es am Dienstag noch nicht. Genauso wird geprüft, ob Salafisten in Bonn waren, die bereits in Solingen randaliert haben, und ob man den Festgenommenen weitere Straftaten zuordnen kann.

Wer ist die Nachbereitungsgruppe der Polizei?
Leiter ist ein "erfahrener Beamter aus dem Bonner Präsidium", so Brohl-Sowa. Alle beteiligten Beamten würden "intensiv mit einbezogen". Erkenntnisse werden dann bei einem Nachbereitungstreffen mit Innenministerium, Polizeiführer und Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste besprochen.

Waren unter den Demonstranten bundesweit bekannte Salafisten?
Unter ihnen befand sich beispielsweise Reda Seyam, ein deutscher Islamist ägyptischer Abstammung. Nach Geheimdienstinformationen soll er einer der mutmaßlichen Drahtzieher des Bombenattentats von Bali 2002 mit 202 Toten sein. Er ist deswegen aber nie vor Gericht gestellt worden. Er habe in Lannesdorf Bilder von Beamten und Journalisten fürs Internet angefertigt, so die Polizei. Das Drehen (und Bearbeiten) von Videos sei ebenfalls ein Unterschied zu anderen Demonstranten: "Sie wollten Bilder haben, wie sie sie nun haben", sagte Pfau. Das Filmen von Festnahmen, von Polizisten, die sich gegen die Salafisten zur Wehr setzen - "So wird perfide gezeigt, wie 'schlimm' die Polizei mit Muslimen umgeht."

Hat sich die allgemeine Gefahrenlage in Bonn und deutschlandweit verändert?
"Der Blick für diese Szene ist sehr viel geschärfter als vorher, das gilt für das ganze Land", sagte Pfau. Aber eine Einschätzung sei schwierig, so Brohl-Sowa. "Nicht alle Salafisten sind gewaltbereit." Im Moment sehe sie keine akuten Gefahren für die Allgemeinheit.

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