Die Gesichter der Opfer

Der "Zug der Erinnerung" macht Station an Gleis 4 - Mehr als 220 Bonner Kinder wurden im Dritten Reich deportiert

Die Gesichter der Opfer
Foto: Barbara Frommann

Bonn. Karl war vier, als er und seine Mutter im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurden. Ein Foto erinnert an das kleine Kerlchen aus Bonn, das da in kurzer Hose und kurzärmeligem Hemd so unbeschwert in die Kamera lächelt. Karl Michael Franz musste sterben, weil er Sinti war.

Seit Montag steht auf Gleis 4 im Bonner Hauptbahnhof der "Zug der Erinnerung", der mit beispielhaften Biografien wie der von Karl die Geschichte der Deportation und Ermordung von Kindern und Jugendlichen durch die Nationalsozialisten erzählt. Neben Karls Biografie und der jüdischer Kinder wie Ruth Herz und Egon Bucki, ebenfalls in Bonn geboren, dokumentiert die Ausstellung weitere Schicksale aus ganz Europa, nennt aber auch die Täter beim Namen.

Am Montagmorgen war auf Bahnsteig 4 kaum noch ein Durchkommen. Viele Ehrengäste, aber auch Schüler waren gekommen, da der Zug nun auch in der Bundesstadt Station macht. "I've lost my best friend" - "ich habe meinen besten Freund verloren" sang die Schülerband "Klangfabrik" Lieder, die unter die Haut gingen.

Bürgermeister Helmut Joisten erinnerte in seiner Begrüßung daran, dass 1942 rund 220 Bonner, darunter mindestens 29 Kinder und Jugendliche, mit Zügen allein nach Minsk deportiert und dort ermordet wurden. Insgesamt waren es mehr als 200 verschleppte und getötete Kinder und Jugendliche: Juden, Sinti, Minderjährige mit Behinderungen.

Der von der Stadt Bonn und der "Initiative zum Gedenken an die Bonner Opfer des Nationalsozialismus" mit unterstützte Aufenthalt des Zuges trage dazu bei, "dass die menschenverachtenden NS-Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten", so Joisten.

Rabbiner Aharon Vernikovsky sagte in seiner Rede, dass man versuchen müsse, der "Masse", so wie die Nationalsozialisten die Ermordeten sahen, ein Gesicht zu geben. Anders sei es fast unmöglich, ein Verhältnis zu den Opfern dieses "größten und grausamsten Verbrechens der Menschheit" herzustellen.

"Die Erinnerung ist eine Lebensnotwendigkeit", meinte der katholische Weihbischof Heiner Koch. Auch eine humane Kirche brauche die Erinnerung. Es sei beschämend, dass Bischof Richard Williamson von der Pius-Bruderschaft die Shoah leugne und so noch einmal die Opfer beleidige und verhöhne, sagte Koch unter dem Beifall der Zuhörer. Petra Bosse-Huber, Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, sagte, dass Kinder die hilflosesten Opfer gewesen seien, doch die Mehrheit der Deutschen, auch in den Kirchen, habe sich abgewandt.

Der Sprecher des Vereins "Zug der Erinnerung", Hans-Rüdiger Minow, warf in seiner Rede unter anderen der Deutschen Bahn vor, "horrende Gebühren" von den Initiatoren zu verlangen. Die Rede war von rund 1 000 Euro pro Tag in Bonn. Ein Sprecher der Bahn dementierte diese Zahl auf GA-Anfrage nicht. Der Gesetzgeber sehe nun einmal vor, dass jeder Nutzer der Bahngleise Gebühren zahlen müsse, auch für den Halt in Bahnhöfen.

Rund um die Ausstellung

Die Ausstellung im "Zug der Erinnerung" ist noch bis Donnerstag jeweils von 9 bis 19 Uhr zu sehen. Gruppen sollten sich anmelden unter der Telefonnummer (02 28) 69 52 40 oder per E-Mail unter gedenkstaette-bonn@netcologne.de. Den Aufenthalt des Zuges begleiten Veranstaltungen, die die Gedenkstätte Bonn koordiniert, Rufnummer (02 28) 69 52 40.

Zudem bieten die Gedenkstätte und das Stadtarchiv viele Möglichkeiten, sich mit dem Thema Bonner Opfer des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.

Weitere Infos auch auf zug-der-erinnerung.eu

Lesen Sie dazu auch den Kommentar " Sture Bahn"

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