Interview mit Ralph Kirscht Der Pfarrvikar über das Jubiläum in der Namen-Jesu-Kirche

BONN · Vor 135 Jahren feierten Alt-Katholiken zum ersten Mal einen alt-katholischen Gottesdienst in der Namen-Jesu-Kirche in der Bonngasse. Sonntagabend fand am selben Ort ein Festgottesdienst zum Jubiläum statt. Ort. Den Gottesdienst zelebrierte auch der leitende Seelsorger von St. Cyprian, Pfarrvikar Ralph Kirscht.

 Ralph Kirscht ist Pfarrvikar von St. Cyprian.

Ralph Kirscht ist Pfarrvikar von St. Cyprian.

Foto: Max Malsch

Wie kommt es, dass schon vor 135 Jahren Alt-Katholiken in der Namen-Jesu-Kirche in der Bonngasse Gottesdienst feierten? Sie sind doch eben gerade erst dort eingezogen.
Ralph Kirscht: Die Namen-Jesu-Kirche war ja schon von 1877 bis 1934 die erste Pfarrkirche der Bonner alt-katholischen Gemeinde. Dann zog die Gemeinde an die Adenauerallee. Von 1934 bis 2009 nutzte die Römisch-Katholische Kirche die Namen-Jesu-Kirche. Ab 2010 wurde sie saniert und am 2. Juni dieses Jahres von uns als unsere Bistums- und Bischofskirche offiziell wiedereröffnet.

Warum sind die Alt-Katholiken eigentlich von der Römisch-Katholischen Kirche getrennt?
Kirscht: Die Trennung erfolgte nach dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1869/70, auf dem die päpstliche Unfehlbarkeit und die oberste Leitungsgewalt des Papstes zum Dogma erhoben wurden. Alle diejenigen, die das als nicht vereinbar mit der Tradition der ungeteilten Kirche des 1. Jahrtausends ablehnten, wurden exkommuniziert. Sie sahen sich gezwungen, eine eigene Kirche zu gründen. Am 4. Juni 1873 wurde der erste alt-katholische Bischof gewählt. Er wurde am 11. August 1873 in Rotterdam von einem Bischof der Utrechter Kirche, die schon seit 1725 von Rom unabhängig war, geweiht. 1874 fand die erste deutsche Synode in Bonn statt.

Und was sind heute die Unterschiede zu Rom?
Kirscht: Zum Beispiel, dass bei uns wie in der Orthodoxen Kirche auch Geschiedene wieder heiraten können und nicht von den Sakramenten ausgeschlossen werden. Gleichgeschlechtliche Paare haben zudem die Möglichkeit, ihre Partnerschaft segnen zu lassen. Inzwischen haben die meisten alt-katholischen Kirchen auch die Frauenordination eingeführt, in Deutschland seit 1994. Bei uns ist zudem die alle zwei Jahre tagende Synode das oberste gesetzgebende Organ, auf der alle Gemeinden vertreten sind. Diese sogenannte bischöflich-synodale Struktur ist ein wesentliches Merkmal aller alt-katholischen Kirchen.

Wie entwickelte sich Ihr Bonner Bischofssitz weiter?
Kirscht: Bonn war von Anfang an Bischofssitz. In Bonn fanden die ersten Synoden statt, hier wurde auch 1931 mit dem "Bonn Agreement" die Kirchengemeinschaft zwischen Alt-Katholiken und Anglikanern festgestellt. Am Alt-Katholischen Seminar der Universität Bonn und am Bischöflichen Seminar "Johaneum" wird außerdem der theologische Nachwuchs der Alt-Katholischen Kirche in Deutschland ausgebildet.

Wann baute Ihre Gemeinde ihr erstes eigenes Gotteshauses an der heutigen Adenauerallee, nämlich St. Cyprian?
Kirscht: Das war 1934 noch unter dem Namen "Friedenskirche". Aber schon am 18. Oktober 1944 wurde sie beim schwersten Bonner Bombenangriff zerstört. Erst im Sommer 1957 wurde die Kirche in ihrer heutigen Gestalt unter dem Patronat des Kirchenvaters und Märtyrers "St. Cyprian von Karthago" eingeweiht.

Sie bezeichnen die Namen-Jesu-Kirche heute als "Geistliches Gasthaus an den Wegen der Menschen". Wie wird es angenommen?Kirscht: Es ist überwältigend, wie viele Menschen zu uns finden, am Wochenende bis zu 1000 Leute. Mit sehr engagierten Ehrenamtlichen halten wir die Namen-Jesu-Kirche täglich außer montags zwischen 11.30 Uhr und 14.30 Uhr geöffnet (sonntags von 13 Uhr bis 15 Uhr). Viele sind überrascht, wie modern "Katholisch-Sein" heute sein kann, und erleichtert, dass wir über alle konfessionellen Grenzen hinweg unsere Arme ausgebreitet haben. Gerade haben die beiden ersten Urnen-Beisetzungen in der Kirche stattgefunden. Auch unser alt-katholischer Friedhof ist ökumenisch angelegt.

Der Festgottesdienst wurde von Professor Günter Eßer, dem Direktor des alt-katholischen Seminars, geleitet. Was können Sie zur Lehrsituation sagen?
Kirscht: 1902 wurde das jetzige Alt-Katholische Universitätsseminar gegründet. Zunächst als Teil der Philosophischen Fakultät bekam es nach dem Zweiten Weltkrieg seine jetzige Stellung als eine dem Rektorat direkt unterstehende Institution. Zurzeit läuft das Akkreditierungsverfahren für einen eigenen Masterstudiengang "Alt-Katholische und Ökumenische Theologie". Es bestehen sehr gute Beziehungen zu beiden theologischen Fakultäten, für die wir sehr dankbar sind. In den letzten Jahren haben wir eine konstante Studierendenzahl von 15 bis 20 Frauen und Männern, die sich auf den kirchlichen Dienst im Hauptberuf oder als Geistliche mit Zivilberuf vorbereiten.

Zur Person
Pfarrvikar Ralph Kirscht (49) ist studierter Theologe und Diplom-Heil- und Sozialpädagoge. Er war von 1988 bis 1991 Vikar der alt-katholischen Gemeinde Mannheim, seit 2006 in Bonn Psychotherapeut mit eigener Praxis, seit 2010 persönlicher Referent des alt-katholischen Bischofs Matthias Ring und seit 2012 Pfarrvikar von St. Cyprian. Kirscht ist verheiratet.

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