WCCB-Prozess Bärbel Dieckmann unschuldig - doch es bleiben Fragen offen

BONN · Bärbel Dieckmann, die ehemalige Verwaltungschefin und Oberbürgermeisterin Bonns, ist, was die Geschehnisse rund um das World Conference Center Bonn (WCCB) angeht, unschuldig. Jens Rausch, Vorsitzender Richter der Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Bonn, verkündete am Dienstag offiziell, dass die Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue im besonders schweren Fall eingestellt worden sind. Die Frage, wer bei Sparkasse und Stadt die Ampel auf Grün stellte, bleibt weiter offen.

Gleichzeitig teilte der Richter mit, dass Eva-Maria Zwiebler und Arno Hübner, die Mitglieder der städtischen WCCB-Projektgruppe, angeklagt werden. Damit bleibt für den Bonner Bürger einstweilen das Zwischenfazit, wonach in seiner 320.000-Einwohnerstadt eine 100-Millionen-Euro-Entscheidung von einer Leiterin des Bürgeramtes (Zwiebler) und einem pensionierten Stadtdirektor (Hübner) mit einer 1000-Euro-WCCB-Monatspauschale quasi in geheimer Mission und an der Verwaltungsspitze vorbei getroffen wurden.

Doch nach Aktenlage, bei der die Staatsanwaltschaft sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke würdigen muss, blieb offenbar keine andere Option. Die ehemalige Bonner OB hat demnach keine Spuren in den WCCB-Akten hinterlassen. So wurde aus dem Anfangsverdacht kein "hinreichender Tatverdacht".

Oberstaatsanwalt Fred Apostel hatte Anfang Dezember 2009 gesagt: "In Kenntnis der wahren Umstände betreffend die SMI Hyundai Corporation" (Firma des Investors Man-Ki Kim) hätten städtische Mitarbeiter veranlasst, "dass sich die Stadt in vermögensgefährdender Weise Dritten gegenüber verpflichtete".

Untreue-Verdacht gegen Zwiebler und Hürter offenbar erhärtet

Der Untreue-Verdacht, die vorsätzliche Vermögensschädigung der Stadt, hat sich nach den richterlichen Verlautbarungen offenbar nur gegen Zwiebler und Hübner erhärtet. Zwar soll sich Zwiebler, als ihre Wohnung durchsucht wurde, nach GA-Informationen mit den Worten entrüstet haben, die ehemalige Oberbürgermeisterin habe "doch alles gewusst", aber das wiegt auf Justitias Waage erst mal so wenig wie eine Behauptung.

Der bisherige Prozessverlauf dreht sich bereits um Schuld und Verantwortung, und auf der Anklagebank sitzen allesamt Freiberufler - "Investor" samt Beratern und Rechtsanwälten. Er dreht sich, weil die Richter einen vielschichtigen Sumpf aufarbeiten müssen, indirekt immer auch um die Frage, wie "das alles" mit einem wohlinformierten Rathaus geschehen konnte.

Oder mit einer Sparkasse KölnBonn, die jeden Kreditkunden, insbesondere neue, auf Herz und Nieren prüft, und erst recht solche, die 74,3 Millionen wollen. "Das alles" bedeutet: Ein Projekt, das den Bürger null Euro kosten sollte, wird eines Tages die nach oben offene WCCB-Skala auf mindestens 200 Millionen ausschlagen lassen.

Die letzten Verhandlungstage standen denn auch ganz im Zeichen der Sparkasse. Zuletzt saßen auf dem Zeugenstuhl Guido Dörrenberg, Abteilungsleiter für institutionelle Kunden, und Ulrich Voigt, Bereichsleiter für institutionelle Kunden. Voigt war also in der WCCB-Weichenstellphase (2005 bis 2007) Dörrenbergs Chef, aber kein Vorstandsmitglied. Das ist er erst seit 2008.

Zu Dörrenberg: Nach sechs Stunden Fragen und Antworten wirkt der Zeuge leicht genervt. Er sagt nur noch "Ja" und das gleich zweimal. "Ja" auf die Frage des Kim-Verteidigers Walther Graf, ob die Stadt wusste, dass hinter der SMI Hyundai Corporation kein Konzern stecke, der die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sponserte?

"Ja" auch auf die Graf-Frage, ob die Stadt gewusst habe, dass SMI Hyundai nicht ausreichend Eigenkapital mobilisieren könne? "Das Projekt", sagt Dörrenberg, "kam ja schon mit dem Nebenabrede-Thema (Bürgschaft der Stadt/Anm. d. Red.) zu mir". Das war im Januar 2006 und noch vor dem ersten Spatenstich, aber nach der Stadtrats-Entscheidung pro SMI Hyundai. Wer "die Stadt" war? "Die Projektgruppe wurde mündlich über alles informiert", sagt Dörrenberg, also Zwiebler und Hübner. Und Zwiebler hat die ehemalige OB Dieckmann informiert, so steht es im WCCB-Bericht des Rechnungsprüfungsamtes.

"Ich suche das passende Adjektiv"

"Und wie haben die reagiert?", fragt der Richter. Dörrenberg schweigt. Dann sagt er: "Ich suche das passende Adjektiv." Er findet es nicht - und sagt: "Man konnte es nicht glauben, war schockiert und hoffte auf den nächsten Schuss, der vielleicht etwas Positives zu bieten hatte." Denn zwischendurch sei ja immer wieder "Geld von Kim gekommen". Das nährte vermutlich die Hoffnung, dass da mehr als nichts ist, auch wenn einige Millionen aus Zypern (Arazim) oder Hawaii (Honua) kamen.

Dörrenberg und Voigt werden vom Richter - getrennt voneinander - auch mit Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten konfrontiert. Zum Beispiel: Binnen weniger Wochen im Herbst 2005 änderte die Sparkasse schlagartig ihre Meinung zur Kreditentscheidung. Zumindest lesen sich einige Sparkassen-Protokolle und -Vermerke völlig widersprüchlich, aber die Zeugen können aus ihrer damaligen Funktion heraus nicht erklären, wer genau den Wind drehte. Aber dass der Windwechsel auf einer höheren Ebene "organisiert" wurde, ist naheliegend, sofern man nicht an Heinzelmännchen glaubt.

Dass der Wind überhaupt drehen konnte, dafür schuf die Stadt widerwillig die Voraussetzung: Sie bürgte für den "Investor", der von der Sparkasse als zu leicht empfunden wurde. Voigt sagt: Am 2. November 2005 hätten der damalige Sparkassenchef Adolf Gustav Schröder und Hübner ihm mitgeteilt, "dass eine zusätzliche Absicherung realisiert wird" - die bürgschaftsähnliche Nebenabrede. Joachim Albert, Strafverteidiger des angeklagten Stadtberaters Michael Thielbeer, fragt Sparkassen-Mann Voigt: "Sie wollten das unternehmerische Risiko nicht tragen?" Antwort: "Nein." Albert: "Trug letztlich die Stadt über die Nebenabrede das gesamte unternehmerische Risiko?" Voigt: "Ja." Ein Strafverteidiger fragt: "Haben Sie in Ihrem Haus gehört, dass Schröder mal mit seiner Parteikollegin Dieckmann über den Kredit gestritten hat?" Voigt: "Nein."

Und so wird sich das Frage-Antwort-Spiel vor Gericht noch einige Wochen fortsetzen - bis einmal Personen in den Zeugenstand gerufen werden, die mehr wissen. Oder die "auspacken", wie es der Volksmund formuliert.

Was bisher geschah

Nach einer enttäuschenden europaweiten Ausschreibung suchte die Stadt Bonn ab 2004 nach einem Investor für das World Conference Center Bonn (WCCB). Mit der Firma SMI Hyundai Corporation mit Sitz in Reston (USA) schien er 2005 gefunden zu sein. Doch im September 2009 brach das Projekt wie ein Kartenhaus zusammen. Seitdem herrscht ein teurer Baustillstand.

Um rund 60 Millionen Euro waren bis dato die Baukosten auf mysteriöse Weise gestiegen. Ein schwunghafter Handel mit WCCB-Anteilen zwischen Zypern und Hawaii stieß das WCCB zudem ins rechtliche Chaos. Bald ermittelte die Staatsanwaltschaft, und die städtischen Rechnungsprüfer fanden 2010 heraus, dass die Stadt Bonn für mehr als 100 Millionen bürgte, ohne dass Stadtrat und Bürger davon etwas wussten. Wie viel das WCCB die Stadtkasse einmal kosten wird, ist ungewiss. Schätzungen gehen von 200 bis 300 Millionen Euro aus. Auf der Anklagebank sitzen zurzeit vier WCCB-Beteiligte, darunter der WCCB-Investor Man-Ki Kim.

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