Missbrauchsfälle am Aloisiuskolleg Ako-Abschlussbericht belastet verstorbenen Schulleiter

Der Presseandrang zur Präsentation des Abschlussberichts über Missbrauchsfälle am Aloisiuskolleg (Ako) durch Jesuitenprovinzial Pater Stefan Kiechle im Collegium Leoninum war riesig.

 Geben Auskunft zum Abschlussbericht: Julia Zinsmeister (Mitte) und Pater Stefan Kiechle (2. von rechts).

Geben Auskunft zum Abschlussbericht: Julia Zinsmeister (Mitte) und Pater Stefan Kiechle (2. von rechts).

Foto: Barbara Frommann

Bonn. Der Presseandrang zur Präsentation des Abschlussberichts über Missbrauchsfälle am Aloisiuskolleg (Ako) durch Jesuitenprovinzial Pater Stefan Kiechle im Collegium Leoninum war riesig. Und auch die Opfergruppe Eckiger Tisch hatte danach zu ihrer Bewertung geladen. "Damit die Jesuiten nicht allein die Deutungshoheit haben", meinte Sprecher Jürgen Repschläger.

Die Kölner Rechtsprofessorin Julia Zinsmeister hatte einen über 230 Seiten dicken Bericht mitgebracht. Doch es sei damit zu rechnen, dass sich erst in den kommenden Jahren weitere Opfer zu bekennen wagten, erklärte sie zu Beginn.

Es hätten sich dem Team insgesamt 175 Personen anvertraut, darunter Altschüler, ehemalige und gegenwärtige Mitglieder des Ordens und des Kollegs. 58 Ex-Schüler seien als "Berichterstatter" zu werten: also selbst als Opfer oder direkte Zeugen.

Es könnten in einem Zeitraum von 60 Jahren insgesamt 23 Personen, davon 18 Patres und fünf weltliche Mitarbeiter, der "körperlichen Züchtigungen, sexueller Übergriffe und entwürdigender Erziehungsmaßnahmen" bezichtigt werden.

Info Den vollständigen Abschlussbericht gibt es auf www.jesuiten.orgDie meisten dieser Personen seien in den 50er und 60er Jahren im Ako tätig gewesen. Mehr als die Hälfte der ausgewerteten Berichte würden jedoch dem ehemaligen Internats- und Schulleiter zugerechnet, der von 1968 bis 2008 am Ako lebte und lange Zeit als "Alleinherrscher" wirkte.

"In zehn Fällen wären bei ihm die beschriebenen sexuellen Grenzverletzungen auch nach den Anforderungen des Strafrechts als sexueller Missbrauch zu bewerten", sagte Zinsmeister über den im Juli 2010 verstorbenen Mann. Seine dem Anschein nach pflegerischen Maßnahmen seien oft doppeldeutig gewesen: Warum hätten sich die Jungen beim rektalen Fiebermessen ganz entkleiden müssen, und warum habe er 10- bis 12-Jährige beim Duschen eingeseift?

Bei zahlreichen Opfern habe man Folgen bis heute festgestellt: Vertrauensverlust und Angst vor Nähe, Isolation, Alpträume und Panikattacken, Depressionen und massive Minderwertigkeitsgefühle. Man könne zwar nicht bestätigen, dass am Kolleg und im Orden Straftaten systematisch vertuscht worden seien. "Viel erschreckender war aber, dass meist gar nicht erst hingesehen wurde." So sei die Existenz von Nacktbildern von Schülern nur deshalb mit Sorge betrachtet worden, weil sie dem Ruf des Kollegs schaden konnten. An die Schüler aber, die sich vor der Kamera ausziehen mussten, habe niemand gedacht. Deshalb wies Zinsmeister auf strukturelle Risikofaktoren wie das jesuitische Normensystem hin.

Kommentar Lesen Sie dazu auch " Schmerz und Betroffenheit"

Als lobenswert wertete sie den schulintern erstellten Präventionsleitfaden. Dem Ako schlug sie vor, "seine Verteidigungshaltung abzulegen und das Augenmerk auf die dringend erforderliche innere Auseinandersetzung zu legen". In der Entschädigungsfrage halte sie es für erforderlich, auch bei körperlicher und latenter psychischer Gewalt zu zahlen. Worauf Provinzial Pater Kiechle nicht weiter eingehen wollte. Über die von ihm vorgeschlagene symbolische Summe von 5 000 Euro werde noch mit der Bischofskonferenz beraten, wich Kiechle aus.

Er lese den differenzierten Bericht mit "Bestürzung und Beschämung" und bitte die Opfer nochmals öffentlich um Entschuldigung. Von insgesamt 245 Jesuiten, die bisher am Ako arbeiteten, seien 18 der schweren Grenzverletzungen gegen Schutzbefohlene bezichtigt worden, so Kiechle deutlich. Bei fünf Patres seien strafrechtlich relevante Taten festgestellt worden. Ob das viel sei? "Jeder einzelne Fall ist schrecklich, und jeder einzelne ist zu viel." Es gehe in dem Bericht aber auch um Formen scheinbar subtiler Demütigung und Erniedrigung. Es sei ihm klar geworden, "in welche Abgründe seelischer Verletzungen" da zu schauen sei, sagte der Provinzial.

Als "wichtiges Material, mit dem weitergearbeitet werden" müsse, bezeichnete auch Opfersprecher Repschläger den Bericht, mahnte aber weitere direkte Kontakte zwischen Orden, Kolleg und Schule an. "In unseren Augen hat es zu wenig Dialog gegeben." Man brauche bilaterale Gespräche, um auch die Entschädigungsfrage zu klären. "Für uns sind 5 000 Euro pro Opfer viel zu wenig." Wenn der Eckige Tisch Gelder bekäme, wollten die Mitglieder sie zum Teil stiften. Und wie verarbeite er selbst als Opfer die präsentierten neuen Fakten? "Dass das Ako nichts von den permanenten Übergriffen gewusst haben soll, ist mir unvorstellbar."

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