Wo warst Du, Egon Bahr, als die Mauer aufging?

Zum Interview mit Egon Bahr

Die Süddeutsche Zeitung hat das gewohnt brillante Streiflicht mit den Selbstzeugnissen der Zeitgenossen zu ihrem Verbleib zum Zeitpunkt der Öffnung der Berliner Mauer unter die Frage Gottes, des Herrn, an Hiob gestellt: "Wo warst Du, als ich die Erde gründete?". Dem wäre hinzuzufügen gewesen das Bekenntnis des Paladins und langjährigen Beraters von Willy Brandt, Egon Bahr: "Ich ...saß im Flugzeug neben Brandt" (diesmal im GA vom 6. November 2014).

Das ist falsch, er saß nicht neben Brandt. Ich widerspreche Egon Bahr, wenn er - erneut - in der Öffentlichkeit vorträgt, er sei mit Willy Brandt an jenem 10. November 1989 auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper zur Feier der Maueröffnung nach Berlin geeilt. Ich widerspreche in dem Bewusstsein, dass ich mich als ehemaliger Bundesbeamter disziplinarer Verfolgung aussetze, wenn ich in der Öffentlichkeit erklären würde, ein ehemaliges Mitglied der Bundesregierung behaupte etwas, das nicht zutrifft. Da aber der Kanzler der Ostpolitik seinen Egon Bahr von Todes wegen nicht mehr richtigstellen kann, wenn dieser Stationen auf dem Weg zur deutschen Einheit unzutreffend darstellt, muss ich dies als sein früherer Mitarbeiter tun; zumal mir in den Jahren der Zuarbeit zu Willy Brandt die Aufgaben des Justiziars oblagen.

Wenn Egon Bahr dem entgegenhält, er sei "am 10. November nicht nach Berlin gebeamt worden", so behaupte ich nicht, er sei nicht möglicherweise doch in Berlin gewesen, aber dorthin zu kommen, gab es andere Möglichkeiten als nur den Beamer und das Willy Brandt zur Verfügung gestellte kleine Flugzeug der Royal Airforce, das kurz vor 11 Uhr vom militärischen Teil des Flughafens Köln-Bonn gestartet war.

Egon Bahrs Darstellung im GA enthält zudem Dinge, die einfach nicht stimmen. Wenn das besagte Flugzeug um die Mittagszeit in Tempelhof gelandet ist, hätte Egon Bahr dort nicht Horst Teltschik treffen können. Denn der befand sich auf einem mühseligen Flug von dem abgebrochenen Staatsbesuch des Bundeskanzlers von Warschau über Kopenhagen und Hamburg und erreichte Berlin erst am Nachmittag. Bei seiner angeblichen Ankunft um die Mittagszeit des 10. November konnte Egon Bahr dem Kanzlerbegleiter Teltschik auch nichts von einem "Telegramm Gorbatschows an Brandt berichten", in dem genau dasselbe gestanden habe wie in einem "Telegramm Gorbatschows an Kohl". Er kann Teltschik auch nicht "lachend bestätigt (haben), dass die Antworten von Kohl und Brandt ... unabgesprochen gleichfalls identisch waren".

Es handelte sich nicht um ein Telegramm, sondern um einen Brief, dessen Kopie der sowjetische Generalkonsul Dr. Dr. Alexejew Willy Brandt erst am späten Abend im Berliner Hotel Steigenberger übergeben hat. Und die Antwort an Gorbatschow hat Willy Brandt erst am 11. November geschrieben und er hat sie auch nicht Egon Bahr mitgeteilt. Zurück zum Flug, über den Egon Bahr wiederum Falsches vorträgt. So hat Willy Brandt neben ihm nicht "mit seinen berühmten gelben Redekarten gearbeitet".

Willy Brandt hat solche nicht benutzt; auch für die Stichworte für die spätere Ansprache auf dem Balkon des Rathauses Schöneberg benutzte er - wie üblich - ein weißes Blatt . Willy Brandt schrieb auf sein Manuskript auch keinen "berühmten Satz, wonach nun zusammenwächst, was zusammen gehört". Dieser Satz steht nicht auf dem Manuskript. Er sagte ihn auch nicht - wie bis heute fälschlich kolportiert - auf dem Balkon des Rathauses Schöneberg. Das war eine spontane Eingebung und ohne Vorlage, als ein Journalist ein Mikrofon entgegenhielt.

Klaus-Henning Rosen, Rheinbreitbach langjähriger Büroleiter von Willy Brandt

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