"Wir stecken mitten im Kampf der Kulturen"

Zu den Berichten und Kommentaren über die Ereignisse in Frankreich, Karikaturen, Solidaritäts-Kundgebungen, den Islam, zu möglichen Konsequenzen sowie zu Leserbriefen

 Mahnwache: Mitglieder der islamischen Religionsgemeinschaft Ditib, Mitarbeiter der "Hamburger Morgenpost" und Hamburgs Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit vor dem Gebäude der Zeitung.

Mahnwache: Mitglieder der islamischen Religionsgemeinschaft Ditib, Mitarbeiter der "Hamburger Morgenpost" und Hamburgs Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit vor dem Gebäude der Zeitung.

Foto: dpa

Viele Ihrer besonnen Leser werden die Wiedergabe der Meinungsäußerung des Prager Professors Toma Halik zu dem Terroranschlag gegen "Charlie Hebdo" begrüßt haben. Auch ich glaube, dass es sehr wichtig ist, angesichts des verabscheuungswürdigen Anschlags jegliche undifferenzierte Betrachtungsweise zu vermeiden. Sie würde auch nicht der Wirklichkeit entsprechen.

Denn wenn die schreckliche Bluttat an den Karikaturisten in Deutschland einhellig verurteilt wird, so bedeutet das nicht, dass damit jegliche Karikatur, die von ihnen oder anderen veröffentlicht wird, gutgeheißen oder auch nur im Namen der Pressefreiheit toleriert wird. Wie sollte das auch zusammengehen?

Eine im Prinzip und aus Prinzip offene Gesellschaft, die sich über viele Meinungsunterschiede hinweg mit großem Ernst darum bemüht, diesem Anspruch gerecht zu werden, ließe Hohn, Spott und Herabsetzung gegen Überzeugungen zu, die denen heilig und verehrungswürdig sind, die sie vor Krieg und Verfolgung schützen will oder auf die sie aus wirtschaftlichen Gründen angewiesen ist? Da ist der gute Geschmack vor und letztlich auch Art. 5 Grundgesetz.

Was hier undifferenziert zurückgewiesen werden muss, ist die Anmaßung, eigene Vorstellungen eigenmächtig und mit Gewalt durchzusetzen zu versuchen. Das ist ein nicht hinnehmbarer Verstoß gegen das rechtsstaatliche Prinzip des Gewaltmonopols.

Wolfgang Gerz, Bonn

Die Karikatur mit dem Vorschlag der "Bibel" an den "Koran", es ihr gleichzutun und die Politik dem Staat zu überlassen, hat sicher einen großen Charme, stößt aber nicht umsonst auf bis heute unüberwundene Schwierigkeiten. Während die christliche Offenbarung Forderungen an Gläubige und Gemeinde stellt, aber nicht an den Staat, sind in der Offenbarung des Islam Rechtsnormen aufgestellt, die den Staat binden und durch die Rechtsschulen in der Scharia umgesetzt worden sind. Anders als im Christentum bilden im Islam Staat und Religion von der Offenbarung her eine unauflösbare Einheit.

Ein Abweichen von dieser Offenbarung und Hinwendung zu einem modernen Staat mit neuzeitlichen europäischen Rechtsvorstellungen muss also gläubige Muslime entsetzen und führt unweigerlich zu Konflikten. Es gibt zwar Lösungsvorschläge islamischer Rechtsgelehrter, wir sprechen hier gerne von Theologen, es steht aber in den Sternen, ob sie jemals akzeptiert werden.

Dietrich Lenski, Meckenheim

Satire-Produzenten sollten sich möglichst über Religionsgrenzen hinweg auf eine freiwillige Zurückhaltung einigen. Religiöse Gefühle sitzen tief, sind nur sehr begrenzt mit dem Verstand zu regulieren. Wer sie massiv verletzt, provoziert, kann potenziellen Mördern Vorwände liefern, sie motivieren.

Auch Christen würden vibrieren, glotzte ihnen zum Beispiel vom Kiosk großflächig eine im "Stürmer-Stil" verunstaltete Jesus-Gestalt entgegen, die sich an kleinen Ministranten betätigt. Einem muslimischen Magazin wäre nicht einmal Blasphemie vorzuwerfen. Jesus ist ja für den Muslim "nur" ein Prophet. Schonen, schützen wir einander. "Selig die Friedfertigen."

Ursula Honolka, Bonn

Die islamische Welt hat bisher keinen einzigen wirklich demokratischen Staat hervorgebracht. Mehr noch, es missbrauchen islamistische Gewalttäter die muslimische Religion dazu, im Namen ihres Gottes kritisch Andersdenkende und Nichtgläubige zu morden (siehe auch Nigeria, Irak). Was soll werden, wenn hierzulande unsere friedlichen, freundlichen und muslimischen Nachbarn Religionsführer à la Khomeini vorgesetzt bekommen, sie also unter Druck fundamental denken, glauben und handeln müssen.

Die "Stagnation und Diktatur (des Islam) kann jedenfalls nicht aufrechterhalten werden" (Mohssen Massarat). Wenngleich Christen und Muslime im religiösen Sinne keine Brüder sind, sollte sich doch durch einen christlich-muslimischen Dialog eine verbindliche Freundschaft entwickeln können.

Günter Kampkötter, Bonn

Menschen und Menschengruppen, die den Einsatz tödlicher Gewalt als ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Zwecke ansehen, hat es von jeher gegeben. Auch in unseren rechtsstaatlich verfassten modernen Gesellschaften.

Diejenigen, die dazu greifen - sei es die Mafia, seien es ethnisch motivierte Separatisten, Verfechter einer anderen Gesellschaftsordnung oder religiöse Fundamentalisten - setzen dem Rechtsstaat ihr eigenes Wertesystem entgegen, das die Tötung von "Feinden" oder Personen, die sich gemäß ihrem Wertekanon schuldig gemacht haben, rechtfertigt.

Der Schockzustand, in den das Pariser Attentat die westlichen Gesellschaften versetzt hat, rührt zum einen von der Schutzlosigkeit, mit der wir zu allem entschlossenen Gewalttätern - was immer ihre Motive sein mögen - offensichtlich ausgeliefert sind. Zum anderen rührt er von dem schrecklichen Verdacht, dass wir es mit Akteuren zu tun haben, die unserem Wertesystem gleichsam den totalen Krieg erklärt haben, dass es keine verirrten Einzeltäter sind (wie etwa Amokläufer) und keine bestimmte, zahlenmäßig umrissene Gruppe, wie seinerzeit die RAF, die man Schritt für Schritt eliminieren kann.

Es kann sein, dass wir gleichsam in den "Krieg" gezwungen werden. Aber wie sollen wir ihn führen? Eine Art sind verstärkte Sicherheitsvorkehrungen, eingepackt in die Formel, dass es eine 100-prozentige Sicherheit nicht gibt. Das nimmt ein Stück der Liberalität und Offenheit hinweg, durch die sich unsere Gesellschaft identifiziert ("Überwachungsstaat"). Aber man hat sich hier auch schon an vieles gewöhnt. Darüber hinaus stellt sich die bange Frage, wie groß die "Reservearmee" ist, auf die die selbsterklärten Feinde des liberalen Rechtsstaats zurückgreifen können, und wie sich diese "Reservearmee" unter dem Einfluss komplexer Identitätsbildungs- und Indoktrinierungsprozesse entwickeln wird. Wenn wir Glück haben, bleibt es bei gelegentlichen Einzeltätern (Typ "Boston Bombers"), die immer wieder einmal unsere Sicherheitsvorkehrungen überwinden.

Sollten unsere fundamentalistischen Gegner zunehmende Mobilisierungserfolge haben (wozu Pegida ungewollt beitragen kann), dann stehen uns unschöne Zeiten ins Haus. Möglicherweise hat der "Krieg" gerade erst begonnen.

Dr. Alfred Pfaller, Sankt Augustin

In den Medien werden nach dem schrecklichen Attentat in Paris die Täter fast ausschließlich als "Islamisten" bezeichnet, ihr Hintergrund als "islamistisch". Die Begriffe "Islam" und "Muslim" werden auffällig vermieden. Gibt es jetzt eine neue Religion namens "Islamismus"? Vor kurzem war Islamismus doch noch eine extreme Auslegung des Islam und ganz eindeutig von diesem und seinen Lehren abhängig.

Man fällt doch nicht als Islamist vom Himmel. Diese Leute wachsen - mit Ausnahme der Konvertiten - meist in muslimischen Familien auf, sie besuchen Koranschulen und Moscheen. Wo und wann auch immer aus Muslimen Islamisten werden - es geschieht immer in einem muslimischen Umfeld. Natürlich ist nicht jeder Muslim ein Islamist, aber jeder Islamist ist nun mal - leider - ein Muslim. Was soll es bringen, das immer mehr zu vertuschen? Die Bekämpfung des weltweiten islamistischen Terrors ist nur zum geringeren Teil Aufgabe des nichtmuslimischen Westens, da sind vor allem die Muslime selbst in der Verantwortung.

Es wird behauptet, in westlichen Großstädten mit hohem muslimischen Anteil herrsche ein weltoffenes, tolerantes Klima. Vielleicht. Aber auf jeden Fall erhöht es deutlich die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines "islamistischen" Anschlags zu werden. Siehe New York, Madrid, London, Ottawa, Paris.

U. Weber, Bonn

Unter Ihren Lesern, deren Ansichten Sie veröffentlicht haben, schreibt einer, man solle nicht diskutieren, ob die Karikaturen "geschmackvoll" seien oder nicht, denn die Meinungsfreiheit gehe vor. Es geht aber hier nicht um den "Geschmack" der Abonnenten von "Charlie Hebdo" oder der deutschen Redakteure, die die Abbildungen nachdrucken. Handelt es sich um eine Gotteslästerung, ist die Meinungsfreiheit in Deutschland durch Paragraf 166 Strafgesetzbuch in gewissem Umfang eingeschränkt.

Auch der Islam ist durch Paragraf 166 vor Beleidigungen durch die Verbreitung von Zeichnungen geschützt. Bei Verstößen droht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Bitte nicht missverstehen: Dieser Kommentar soll in keiner Weise die Morde in Paris beschönigen, sie sind abscheuliche Verbrechen.

Dr. Jürgen Krieg, Wachtberg

Völlig zutreffend stellt "La Croix" (Paris) fest: "In Frankreich wie in anderen europäischen Ländern nimmt die Furcht vor dem Islam und einer Islamisierung des Kontinents stetig zu." Von unseren Politikern, vielen sogenannten Experten aber auch Vertretern der Kirchen einschließlich moslemischer Seite, hören wir dazu immer nur die gleichen Beschwichtigungen: 90 Prozent der moslemischen Mitbürger sind integrationswillig und friedfertig, drücken unserer Fußballmannschaft die Daumen und bejahen die demokratische Staatsform.

Je öfter wir immer dasselbe hören, umso mehr Zweifel und Fragen tauchen auf: Ist für die verbleibenden zehn Prozent, die unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung ablehnen und sich dennoch bei uns wohlfühlen, nicht gerade die Demokratie die ideale Staatsform für Agitation und Unterwanderung? Und wie kann eine Demokratie solchen Einflüssen begegnen? Passen Islam und Demokratie wirklich zusammen?

Im Zusammenhang solcher Problematik macht Jochen Bittner, Politik-Redakteur der "Zeit", eine sehr bedeutsame Feststellung. Er schreibt: "Die Differenzierung zwischen Islam und Islamismus war nie falsch. Aber sie war unvollständig. Mit der Entlastung der moderaten Mehrheit aller Muslime hätte viel früher auch eine Forderung einhergehen sollen, nämlich jene, dass der Islam sich selbst darüber erforscht, welche Glaubensinhalte, welche geistigen Verkrustungen und welche Anachronismen selbst moderater Koran-Lesarten es sein können, die junge Leute irgendwann ,Allah ist groß!' rufen lässt, während sie Journalisten niedermetzeln."

An eine solche überfällige Aufarbeitung sollten die Vertreter unserer moslemischen Glaubensgemeinschaft immer dann denken, wenn sie beteuern, dass der Islam nichts, aber auch gar nichts mit den Geschehnissen unserer Tage zu tun hat.

Karl-Heinz Holona, Bonn

Ich stimme nicht oder nur halbherzig in den Chor derjenigen ein, welche Resolutionen unterschreiben, zu Tausenden auf die Straße gehen oder in Kondolenzschreiben Solidarität mit unseren französischen Freunden ausdrücken.

Um es vorweg zu sagen: Beim Anschlag auf "Charlie Hebdo" handelt sich um ein kaum in Worte zu fassendes Verbrechen, dessen Art und Ausmaß Spuren hinterlassen wird wie seinerzeit 9/11 in den USA. Die Erinnerungen werden wieder lebendig an Madrid 2004, London 2005, Toulouse 2012, Boston 2013 und Sydney 2014, um diejenigen Anschläge mit islamistischem Hintergrund zu nennen, die mir spontan erinnerlich sind. Huntingtons Kampf der Kulturen scheint voll entbrannt zu sein und wir stecken mitten darin. Nachdem wir ein paar Mal davongekommen sind, scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis in Deutschland das erste größere Attentat passiert.

Ich will jetzt nicht den Juristen herauskehren. Die Nachricht lautet: Nicht alles, was in unserer aufgeklärten Gesellschaft erlaubt ist - und worum zahlreiche Revolutionen, Philosophen und Freigeister unter Einsatz des Lebens gekämpft haben - ist menschlich billigenswert.

Die Satire, von der Tucholsky sagte, dass ihr "alles erlaubt" sei, war immer diejenige, welche sich gegen die jeweils Herrschenden oder Privilegierten richtete. Das Kabarett veralbert die Politik und die Politiker applaudieren. Damit ist meine Generation groß geworden. Was Kurt Tucholsky nicht mehr oder nur noch von fern mitbekam, war die beißende, vernichtende Satire der Herrschenden gegen die Schwachen - von Karikaturen im "Stürmer" bis zur plumpen Häme rheinischer Karnevalszüge.

Dr. Alexander Mühlen, Bonn

Wie ich einigen Leserbriefen entnehmen konnte, sind einige Leser der Meinung, dass man die Karikaturen als Provokation doch vielleicht besser sein lassen sollte, um die Islamisten damit nicht weiter zu provozieren. Ich bin sehr erschrocken über eine solche Einstellung. Habe ich das wirklich herausgelesen?

Bei den radikalen Islamisten, die im Namen der Al Qaida oder der IS ihr grausames Spiel betreiben, braucht das Kind nur einen Namen. Hätte es "Charlie Hebdo" nicht gegeben, wäre das Attentat woanders passiert. Es geht denen nicht um Karikaturen, dies ist doch nur ein willkommener Vorwand.

Warum sonst wurde auch ein koscheres Lebensmittelgeschäft eines Juden überfallen? Dieser hatte nichts mit den Karikaturen zu tun. Warum fand das schreckliche Attentat am 11. September statt? Auch dort gab es keine Karikaturisten - dort gab es die westliche Zivilisation mit Ungläubigen. Ein Anschlagsziel könnte genauso das Oktoberfest in München sein, weil dort zu viel Spaß herrscht, ein Freibad in Europa, weil die Frauen dort zu freizügig bekleidet sind.

Es geht denen darum, uns Ungläubige zu bekehren, es geht denen darum, die Scharia in Europa einzuführen. Es gehen nicht Hunderte radikalisierter Islamisten zur Kampfausbildung nach Syrien und in den Jemen, nur um eine kleine Zeitung zu überfallen, nur weil es Karikaturen gibt.

Diese Terroristen beleidigen uns als Ungläubige und mit anderen Unworten. Wir nehmen uns im Gegenzug nur das Recht heraus, mit Karikaturen, Satire und Humor zu spielen, was genauso unsere christliche Kirche mit einschließt und andere Religionen auch.

Monika Guschmann, Bonn

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