"Wir Muslime fühlen uns ebenso angegriffen"

Zu den Berichten und Kommentaren zum Massaker in der Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" in Paris, erschienen am 8. Januar

 Journalisten der Presseagentur AFP solidarisieren sich am Hauptsitz des Unternehmens in Paris nach dem Attentat mit dem Satiremagazin "Charlie Hebdo". Auf Schildern, die sie zeigen, steht "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie).

Journalisten der Presseagentur AFP solidarisieren sich am Hauptsitz des Unternehmens in Paris nach dem Attentat mit dem Satiremagazin "Charlie Hebdo". Auf Schildern, die sie zeigen, steht "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie).

Foto: AFP

Ich fürchte, der unentschuldbare islamistische Terroranschlag in Paris wird Wasser auf die Mühlen der sogenannten Pegida-Anhänger und ähnlich denkender AfD-Sympathisanten sein. Da kann man noch so oft erklären, dass die ganz wenigen muslimischen Religionsfanatiker nichts mit den allermeisten Flüchtlingen, die zumeist mit knapper Not mit dem Leben davongekommen sind, zu tun haben.

Natürlich müssen Kriminelle verfolgt und eingesperrt werden. Und Flüchtlingen, die wir hier in Deutschland aufnehmen, kann auch ein adäquates Maß an Anpassung an unsere Gebräuche beziehungsweise Integration in unsere Gesellschaft abverlangt werden. Aber wer nun gleich schreit "wir haben es ja immer gesagt", soll einfach mal vergleichen, wie viele Ausländer in den letzten Jahrzehnten hier Opfer rechtsradikaler Gewalt wurden - und wie viele Deutsche von Ausländern getötet wurden.

Die allermeisten Asylanten hier wollen einfach nur wie wir in Ruhe und Frieden leben und arbeiten und niemanden "missionieren", wie Pegida unbelehrbar suggeriert. Doch eine derartige Differenzierung erfordert natürlich gewisse kognitive Fähigkeiten, und Dresden galt ja schon zu DDR-Zeiten als das "Tal der Ahnungslosen".

Das einzig Tröstliche an der ganzen Sache ist, dass mit Ausnahme des (interessanterweise kaum von Ausländern bevölkerten Sachsens) diese ganze "Bewegung" zumindest bisher in Deutschland keine wirkliche Relevanz erlangen konnte, auch weil es überall sonst mehr als genug Demokraten und Christen als Gegendemonstranten gab. Ich kann nur hoffen, dass dies auch nach dem Terroranschlag so bleibt.

Ralf Schikora, Bonn

Nach der fürchterlichen Bluttat in Paris hat es dankenswerterweise weltweit Solidaritätsbekundungen mit Frankreich gegeben. So hat auch der amerikanische Präsident seinem französischen Amtskollegen Unterstützung angeboten. Die Unterstützung dürfte in erster Linie auf der Ebene der Geheimdienste stattfinden. Möglicherweise sind darunter auch Informationen der in Deutschland in Verruf geratenen NSA. Erwarten wir, dass die französischen Sicherheitsorgane diese Informationen zurückweisen? Wie würden unsere deutschen Sicherheitsdienste reagieren?

Es gehört wohl zu den in Deutschland kaum auflösbaren Widersprüchen, dass wir auf der einen Seite von unseren Sicherheitsorganen ein Höchstmaß an Schutz vor vergleichbaren Attentaten erwarten, ihnen auf der anderen Seite aber den Zugang zu den dafür erforderlichen Informationen aus Gründen des Datenschutzes erschweren beziehungsweise unmöglich machen. Wann wird es in Deutschland eine ehrliche Diskussion darüber geben, dass wir nicht alles gleichzeitig haben können?

Manfred Oster, Sankt Augustin

Aus einem Schock noch nicht erholt, erleben wir Muslime weitere Menschen verachtende Überfälle und Angriffe. Wir Muslime fühlen uns ebenso angegriffen, da dieses Europa, diese Welt auch uns gehört. Auch wir möchten die moralischen und demokratischen Werte dieses Kontinents, dieser Welt wahren helfen.

Auch wir sind vom Islam angehalten, Menschen zu ermahnen Gutes zu tun und das Unrecht zu meiden. Wenn die Terroristen muslimischer Herkunft glauben, mit ihren mörderischen Taten im Sinne des Islam gehandelt zu haben, dann sind sie weit davon entfernt, weil Gott im Koran unseren Propheten mit den Worten ermahnt, die sinngemäß so lauten: "Bilde dir nicht ein, dass es dir zusteht, den zu bestrafen, der nicht an Gott glaubt. Deine Aufgabe ist, sie zu ermahnen und das mit Liebe und Milde."

Die schreckliche Mordtat von Paris muss uns moderate Muslime veranlassen, umso mehr unsere Glaubensbrüder und Glaubensschwestern an die Friedensbotschaft des Islam zu erinnern. Ich versichere meinen europäischen Mitbürgern, dass die Moscheen hier die Überbringer dieser Botschaft sind. Auch ihr, meine lieben Mitbürger, helft uns bei unserer Aufklärung. Stärkt unsere moderate Haltung. Auch ihr sollt uns Muslime an die Friedensbotschaft des Islam erinnern. So eine Vorgehensweise wird dem Frieden mehr dienen als eine Erniedrigung des Islam und Karikaturen.

Hossein Pur Khassalian, Bonn

Wie kann man die Meinungsfreiheit nach dem Attentat von Paris verteidigen? Reichen Solidaritätsadressen und das rein verbale Hochhalten der Meinungsfreiheit? Ich beantworte diese Frage mit einem klaren Nein. Wenn die Attentäter und ihre Hintermänner ihr eigentliches Ziel erreichen, nämlich dass solche Karikaturen wie die von "Charlie Hebdo" nicht (mehr) gezeigt werden, dann haben wir uns um Kopf und Kragen geredet, dann hat der Terror gesiegt.

Deshalb mache ich allen Zeitungen ein riesengroßes Kompliment, die jetzt diese Karikaturen abdrucken. Diese Zeitungen und die dahinterstehenden Redaktionen reden nicht nur darüber, sie praktizieren aktive Solidarität und leben Meinungsfreiheit.

Alle Politiker, die gestern noch davon gesprochen haben, die Meinungsfreiheit müsse verteidigt oder gar noch ausgebaut werden und heute die Veröffentlichung dieser Karikaturen verurteilen oder dies nicht ausdrücklich als Akt zur Sicherung der Meinungsfreiheit begrüßen, zeigen, wie viel ihr Gerede von gestern wert war.

Um jegliche Missverständnisse zu vermeiden: Es geht hier nicht darum, ob die Karikaturen gefallen oder ob sie geschmackvoll sind. Das ist im Angesicht von zwölf Toten, zahlreichen Schwerverletzten und einem weltweit und auch von muslimisch/islamischer Seite attestierten und gleichermaßen verurteilten Angriff auf die Meinungsfreiheit oder gar auf unsere Demokratie absolut nebensächlich. Jetzt dürfen wir uns nicht hinter unserem persönlichen "Gefallen" oder "Geschmack" verstecken und auch nicht hinter dem Geschmack anderer Menschen, den wir um Gottes Willen nicht verletzen wollen. Jetzt müssen wir deutlich höhere Güter und größere Werte verteidigen. Einige Akteure haben das begriffen, viele andere wohl (noch) nicht. Oder ist es blanke Angst, die von gelebter Solidarität abhält? Genau das wollten die Terroristen von Paris erreichen, die haben die Redaktion von "Charlie Hebdo" ja nicht deswegen ausgelöscht, weil sie über Meinungsfreiheit geredet hat. Sondern weil sie sie praktiziert und genutzt hat.

Neben den mutigen Zeitungsredaktionen möchte ich aber auch den vielen Vertretern islamischer Verbände und den Imamen ausdrücklich meine Hochachtung aussprechen, die gestern sehr eindeutig klargestellt haben, dass das Attentat nicht im Interesse des Islam ist, sondern diesen verrät und ihm hochgradig schadet. Das war für mich glaubwürdig und ich habe das mit großer Erleichterung gehört. Das ist eine Basis, auf der wir über die Religionsgemeinschaften hinweg eine gemeinsame Wertebasis haben und weiter aufbauen können.

Jochen Struck, Königswinter

Nach dem Anschlag in Paris ist unbedingt der Unterschied zwischen der Masse der friedlichen Muslime und den islamistischen Extremisten weiterhin zu beachten. Als in den USA christliche Fundamentalisten Abtreibungsärzte ermordeten, wie mehrfach geschehen, kam auch niemand auf die Idee, dafür die gesamte Christenheit verantwortlich zu machen.

Der mit dem Kampf der christlichen Konfessionen unterlegte Terrorismus in Nordirland und Großbritannien hat ein Vielfaches an Opfern gefordert gegenüber dem, was man bisher dem islamistischen Terrorismus in Europa leider aufs Konto schreiben muss. RAF-Terror in Deutschland: 34 Tote, ETA-Terror in Spanien in 50 Jahren: 823 Tote.

Die Masse der Muslime lebt genauso streng oder eben nicht streng nach den Regeln ihrer Religion wie die Masse der Christen. Sehr viele der Muslime sind froh, bei uns in einem freien Land zu wohnen, wo ihnen kein Gottesstaat durch Religionsgesetze vorschreibt, wie sie ihren Glauben zu leben haben.

Unbedingt müssen die Vertreter muslimischer Organisationen sich weiterhin laut vom Terrorismus distanzieren, und unsere Medien müssen ihnen dafür Plattformen bieten.

Dr. Christoph Stamm, Niederkassel

Alle Bonner müssen jetzt die friedlichen Muslime unterstützen und auf die Straße gehen. Wer sagt und zeigt den radikalen Islamgläubigen sonst, dass unsere Gesellschaft für Meinungsfreiheit, Pluralismus und Schutz von Minderheiten steht?

Wir müssen die friedlichen Muslime unterstützen und achten. Und die Muslime sollten sich distanzieren von den Fanatikern. Wie wäre es mit mehr Dialog, Diskussion und der Erkenntnis, dass wir im Leben doch alle nahezu dasselbe wollen: Arbeiten und eine Familie gründen und unseren Kindern Vorbild sein und unseren Planeten erhalten.

Hass, Waffen und Bomben gehören da auf der ganzen Welt nicht dazu. Frieden gibt es nur durch Toleranz und Verständigung, eine bessere Welt nur durch den Wettbewerb der Ideen.

Nils Nußbaum, Bonn

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