Wie stark ist Russlands Wirtschaft tatsächlich?

Zum Interview "Der Zweck der Sanktionen ist unklar - Der Kölner Außenpolitik-Experte Thomas Jäger sieht erhebliche Mängel in der Krisenpolitik des Westens" von Julian Stech, erschienen am 23. August

 Der Einfuhrstopp von Russland für Agrarprodukte aus der Europäischen Union dürfte den Obstbauern im Alten Land Umsatzeinbußen bei der diesjährigen Apfelernte bescheren.

Der Einfuhrstopp von Russland für Agrarprodukte aus der Europäischen Union dürfte den Obstbauern im Alten Land Umsatzeinbußen bei der diesjährigen Apfelernte bescheren.

Foto: dpa

Professor Jäger geht davon aus, dass der Sanktionenstreit zwischen dem Westen und Russland, wie historische Fälle (außer vor allem Südafrika) zeigten, fundamental politisch nichts brächte.

Diese Annahme muss in Zweifel gezogen werden, wenn die Wirtschaftslage Russlands in die Analyse einbezogen wird. Hierzu, wegen der Knappheit der Zeilen, nur wenige nachdenklich stimmende Fakten: Russland steht allein aus politischen Gründen nicht auf der Entwicklungsländerliste der OECD. Das Land hat nach den Statistik der Weltbank - gemessen am Pro-Kopf-Einkommen - einen Entwicklungsstand, der ungefähr dem Brasiliens entspricht. Das bevölkerungsmäßig etwas größere Entwicklungsland Brasilien erhält jährlich eine erhebliche Entwicklungshilfe, weil es sich nach Meinung der Weltgemeinschaft allein nicht genügend entwickeln kann. 2012 waren es nach Angaben der OECD rund 1,3 Milliarden Dollar allein an öffentlicher Hilfe, davon fast 0,5 Milliarden Dollar als Geschenk. Russland bekommt nichts, gibt aber aus politischen und militärischen Gründen wesentlich mehr aus.

Noch deutlich entscheidender ist in der gegenwärtigen Konfliktlage jedoch, dass nach der Statistik der Weltbank (2012) dem wirtschaftlich auf sich allein gestellten Russland mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund zwei Billionen Dollar die ungeheure Wirtschaftskraft der Europäischen Union von rund 16,7 Billionen Dollar und 16,2 Billionen Dollar der USA gegenüber steht. Ein äußerst gefährliches Übel für Russland ist zudem, dass nach russischen offiziellen Angaben 2013 rund 75 Prozent seiner Warenausfuhr auf Gas und Öl entfielen. Russland ist politisch und vor allem - schon allein wegen seiner Atombomben - militärisch eine Weltmacht, aber wirtschaftlich ein Zwerg.

Wegen seiner relativ zu hohen Ausgaben und nun zusätzlich durch Sanktionen bedingten geringeren Einnahmen schreitet es bedrohlich auf den baldigen wirtschaftlichen Ruin zu.

In einer solchen Notlage - so die Erfahrung - droht die Gefahr, dass solche Staaten zu gefährlichen irrationalen Verzweiflungstaten schreiten. Das Gebot der Stunde ist daher für den Westen, von Eskalation auf Besänftigung zu schalten.

Dr. Heinrich Langerbein, Bonn

Ich danke Herrn Stech ausdrücklich für dieses dringend notwendige Interview mit dem außen- und sicherheitspolitischen Experten der Universität Köln, Professor Thomas Jäger, zum Thema Sanktionen. Ich hoffe, die Aussagen dieses Fachmannes öffnen einigen Leuten die Augen. Kernaussagen von Prof. Jäger sind: "Sanktionen haben nur ganz selten ihren politischen Zweck erfüllt", "Sanktionen sind symbolische Politik" und "Welchen Zweck die Sanktionen verfolgen, ist selbst den Beteiligten nicht klar".

Die regierungsseitige Kommunikation schlägt in einer Weise auf die öffentliche Meinung durch, dass viele Menschen nicht dazu kommen, Fragen zu stellen, und wenn, sich mit den Antworten zufrieden geben, die sie bekommen." Alle Aussagen in diesem Interview sind klar und deutlich - und nach meiner Meinung überzeugend.

Volker Franzen, Dipl.-Volkswirt, Meckenheim

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort