Pauschalurteile helfen nicht weiter

Zur Kritik Norbert Blüms an der deutschen Justiz

 Die deutsche Rechtsprechung im Fokus der Kritik: Norbert Blüm erhebt massive Vorwürfe. FOTO: DPA

Die deutsche Rechtsprechung im Fokus der Kritik: Norbert Blüm erhebt massive Vorwürfe. FOTO: DPA

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Statt den steinigeren Weg zu gehen, hat Herr Blüm den populistischen Rundumschlag gegen "die Richter" gewählt. Dies bringt uns allen keine Hilfe - sowenig ebenso pauschal herunterwürdigende Äußerungen gegen "die Politiker" angemessen wären. Der steinigere Weg wäre vielmehr, seinem Klientel zu erklären, dass nie der Zustand der absoluten Gerechtigkeit erreicht werden kann und dass die Aufgabe des Rechts in erster Linie darin besteht, den Rechtsfrieden herzustellen; und vielleicht auch, dass die Deutschen Europas "Prozesshanseln Nummer eins" sind. Der Hinweis der Präsidentin des Landgerichts auf die Vielzahl der Rechtsbehelfe verschleiert leider auch, dass die Inanspruchnahme von Rechtsmitteln in aller Regel nicht zu einer Förderung der Gerechtigkeit führt.

Wodurch ich mir eher etwas Hilfe verspräche: Richter weniger nach Examensergebnissen als nach Persönlichkeit und Lebenserfahrung auszusuchen; erhebliche Reduzierung der Rechtsmittelmöglichkeiten durch Bundes- und Landesgesetze (ich denke zum Beispiel an die ausufernden Rechtsbehelfsmöglichkeiten bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr), damit die Richter mehr Zeit haben, sich vertieft mit anhängenden Fällen zu beschäftigen; Möglichkeit der Richter, Strafgelder bei Erhebung von Klagen wegen Lappalien verhängen zu können; Selbstbeschränkung der Richter bei der Bejahung der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung.

So sehr der Einzelfall uns betroffen macht, eine Wiederholung entsprechender Fälle kann nicht ausgeschlossen werden.

Konrad Bauer, Wachtberg

Auch die Demokratie kann auf "Diktat" nicht verzichten, und so ist eben auch das richterlich "letzte Wort" unverzichtbar, das dem einen behagt und den anderen indes zwangsläufig erzürnen mag. Basta: um es bündig mit dem Nachfolger des Ex-Chefs von Herrn Blüm auf einen Nenner zu bringen. Mithin ist das Fällen von Urteilen Berufspflicht, um die Richter bei aller Routine oft selbst gar nicht zu beneiden sein dürften. Wenn der Lateiner weiß: "Roma locuta, causa finita", dann mag das souveräner klingen, als es im Einzelfall sein kann. Ich habe in 43 Jahren ehrenrichterlichen Tuns am Landgericht Bonn und Finanzgericht Köln mannigfach die quälende Suche nach dem rechten Urteil begleitet. Güte-, Konsens- oder Dealregelungen sind dabei mitunter ebenso erstrebenswert wie hilfreich oder gar beidseitig gern akzeptiert.

Deshalb habe ich ebenso viel Respekt vor den pflichtgemäßen Einlassungen der Gräfin von Schwerin als Präsidentin des Landgerichts, an dem ich Handelsrichter war, wie aber auch vor Blüms Ausführungen: Weniger im Familien- als denn im Arbeitsrecht erfolgen Entscheide vorzugsweise unter ideologischen Vorzeichen. Als willkürlich werden richterliche Verfügungen empfunden, die Arbeitgeber animieren und bisweilen verpflichten, in Zeugnissen die Unwahrheit zu schreiben, indem von Pflichterfüllung die Rede sein soll, wo just festgestellt wurde, dass es eben an dieser kündigungsauslösend haperte.

Oder bei eindeutig persönlichem Fehlverhalten "betriebsbedingte" Entlassung zeugnisrelevant gefordert wird. Solches ist einem Richter unwürdig, belügt die Öffentlichkeit, führt Personalabteilungen hinters Licht. Auch sind sich Richter offensichtlich oft nicht bewusst, was sie mit der Anordnung persönlichen Erscheinens - auch in Bagatellfällen - auslösen. Aber einem "Diktat" ist Folge zu leisten, ansonsten droht die rechtliche Rute: "Quod licet jovi, non licet bovi ..."

Lutz Irgel, Bornheim

Zu der pauschalen Rundumkritik von Ex-Bundesminister Norbert Blüm an der deutschen Justiz kann ich zwar nicht Stellung nehmen. Dass aber seine Beanstandung nicht grundlos ist, mag der nachfolgend geschilderte Fall zeigen: Bei einer Internetauktion wurde ein antiker Gegenstand ersteigert und der nicht unerhebliche Kaufpreis auf das dafür angezeigte Konto überwiesen. Eine Zusendung der Ware erfolgte jedoch nicht.

Da die Verkäuferin schon wegen ähnlicher Betrugsfälle polizeibekannt war, wurde vor Gericht auf Rückerstattung der Kaufsumme geklagt. In erster Instanz erfolgte dann auch ihre Verurteilung. Im Verfahren der zweiten Instanz verfügte der urteilende Richter aber einen Freispruch der Beklagten und ließ zugleich eine Revision des Urteils nicht zu (Landgericht Koblenz, Aktenzeichen 12 S 125/06).

Somit musste die Geschädigte nicht nur den überwiesenen Betrag abschreiben, sondern auch noch die Kosten für den Rechtsanwalt und die Gerichtskosten tragen. Es ist kaum anzunehmen, dass ein solcher "Rechtsspruch" den "Kinderglauben" an Recht und Gerechtigkeit durch die deutsche Justiz fördert. Daher ist Herrn Blüm in seiner Kritik absolut recht zu geben, und es ist anerkennenswert, dass eine bekannte Persönlichkeit einmal den Finger in diese offene Wunde legt.

Wolfram Lindner, Swisttal

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