Nicht nur Paris ist erschüttert, sondern die ganze freie Welt

Zu den Berichten und Kommentaren zum Massaker in der Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" in Paris

Zum Gedenken an die Opfer des Attentats haben Bürger in Paris Blumen vor dem Redaktionssitz der Satirezeitung "Charlie Hebdo" niedergelegt.

Zum Gedenken an die Opfer des Attentats haben Bürger in Paris Blumen vor dem Redaktionssitz der Satirezeitung "Charlie Hebdo" niedergelegt.

Foto: dpa

Die Leserbriefe im GA zum Terrorakt in Paris (ebenso wie zu Pegida) zeugen von einem hohen Maß an Solidarität mit unseren muslimischen Mitbürgern und zum Teil auch Hilfsbereitschaft. Als Vorsitzende eines interreligiösen Arbeitskreises in dem international wirkenden Verband "United Religions Initiative" möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es auch Möglichkeiten des aktiven Engagements gibt.

Dies kostet zwar nicht viel Geld, aber dafür Zeit. Zeit, die wir damit verbringen, uns mit unseren Nachbarn, egal welcher Religionszugehörigkeit, zu beschäftigen, uns auszutauschen, zuzuhören, Verständnis zu entwickeln und gegenseitig Hilfestellung zu geben. Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Zeit, die wir sonst vor dem Fernseher oder dem Computer verbringen, kann hier nützlicher angewandt werden. Denn der direkte Weg zu den Menschen kann durch nichts ersetzt werden.

Wer weiß schon, welche Hassmails muslimische Verbände erhalten. Diese stellen eine ungeheure psychische Belastung dar, die manches Mal kaum auszuhalten ist. Erkenntnisse erhalten wir nur durch Dialogbereitschaft und persönliches Engagement. Und dies sollte nicht allein in übergeordneten Gremien geschehen, sondern kann sich in kleinen Gruppen entfalten.

Daraus können sogar kleine Projekte entstehen, die wiederum Außenwirkung zeigen. Das ist Basisarbeit, die über den Tag dieses schrecklichen Ereignisses hinaus Früchte tragen kann.

Marianne Horling, Bonn

Wer, wenn nicht die sunnitische Gelehrsamkeit der Al Azhar-Universität, ist theologisch und moralisch gefordert, den Terroranschlag gegen Mitarbeiter der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" eindeutig und mit sachkundigen Beweismitteln zu verurteilen? Doch der Duktus der Verurteilung durch diese höchste Autorität sunnitischer Glaubensrichtung kam nicht überzeugend genug rüber: Es ist viel zu wenig, diesen Terroranschlag als "kriminellen Akt" zu bezeichnen, um dann zu konstatieren, dass der Islam "jede Art von Gewalt" verurteile.

Man spürt bei diesen angepassten Islamgelehrten die Angst vor der eigenen Courage. Es genügt doch nicht, die Attentäter lediglich als Personen zu bezeichnen, die den Prinzipien des Islam zuwiderhandeln. Man muss sie, und übrigens auch die Schergen von IS und Al Qaida, vielmehr als Häretiker und Gotteslästerer brandmarken, sie unbedingt aus der Gemeinschaft der Muslime ausschließen, so wie etwa Papst Franziskus die Mafia-Banditen exkommuniziert hat. Außerdem: Wird es für diese Gelehrten nicht endlich Zeit, ein umfassendes Reformwerk zur zeitgemäßen Auslegung von Koran und Sunna auf den Weg zu bringen?

Dr. Aref Hajjaj, Bonn

Eine Angst wird absurd, Nicht Millionen Muslime sind nach Europa aufgebrochen, um Institutionen und Menschen dort zu hassen, sondern weil sie in ihren Herkunftsländern keine Perspektiven für ein menschenwürdiges Leben mehr sehen konnten. Welchen Sinn sollte es also machen, die eigene Zukunft zu bekämpfen?

Teile der Bevölkerung haben jedoch Entwicklungen beobachtet, die sie verunsichert haben. Angesichts von Terror und den auch Islamisten zugeschriebenen Gräueltaten des IS kann Unsicherheit in Furcht umgeschlagen. Wie sollte man auch damit umgehen, wenn Brüder und Väter ihre Töchter umbringen, weil sie sich mit Ungläubigen eingelassen hatten und die Justiz anfangs den Tätern noch mildernde Strafumstände zubilligte.

Was sollte man davon halten, wenn wild gewordene Salafisten Polizisten angreifen und Polizeiautos demolieren? Welche innere Unruhe kommt bei dem Gedanken an vereitelte Anschläge extremistischer Islamisten in Deutschland auf? Koranschulen mit Hasspredigern, offenbar noch mit Unterstützung ausländischer Staaten, mussten geschlossen werden. Gewaltige Moscheen wachsen in die Höhe, während gleichzeitig Gotteshäuser mangels christlicher Kirchgänger aufgegeben werden. All das muss doch beunruhigen.

Ich meine nein. Es muss nur alles ins rechte Licht und Verhältnis gesetzt werden und dazu gehört auch eine adäquate Berichterstattung der Medien und Wahrnehmung durch die Politik. Und noch etwas: Wo ich zuletzt zur Miete wohnte, bot mir eine kopftuchumhüllte Mieterin im Fahrstuhl eine Kostprobe von ihrem frisch gebackenen, wohl riechenden Fladenbrot an. Ein wahrhaft christlicher Akt in friedlicher Nachbarschaft.

Dieter Richter, Rheinbach-Merzbach

Den Äußerungen von Prof. Khorchide kann man Satz für Satz zustimmen. Im Artikel war jedoch offenbar kein Platz für die Information, dass Prof. Khorchide um seine Lehrerlaubnis in Münster kämpfen muss: Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland warf ihm "angebliche Irrlehren" (zu liberale Auslegung) vor.

In NRW entscheiden Beiräte an universitären Islamzentren, in denen Islamverbände das Sagen haben, denen attestiert wird, sie seien "nicht reif genug, um ein religiöses Wächteramt ausüben zu können". Obwohl in der Wissenschaft vertreten wird, der "Staat kann seine Aufsichtspflicht an keinen Beirat delegieren", will NRW wie andere Länder keinen Einfluss nehmen.

Wolfgang J. Weyer, Bonn

Ich bin ein ganz normaler Europäer und kein Islamhasser. Leider ist die Welt nicht schwarz oder weiß, wie ihr Karikaturist Mohr uns am Freitag weismachen wollte. Sie ist in allen Schattierungen grau, und ich mache mir wie viele andere Sorgen um unsere Zukunft.

Einem Mitbürger, der Bedenken zur unkontrollierten Zuwanderung artikuliert, wird heute sofort faschistisches Denken unterstellt: Der hätte was gegen Flüchtlinge. Ich habe, wie die meisten Deutschen, nichts gegen Flüchtlinge, wir helfen wie kaum ein anderes Volk. Meine Familie gehört zu den Kriegsvertriebenen und weiß, was der Verlust der Heimat bedeutet.

Doch wissen die Genossen, die sich in Funk und Fernsehen so eilfertig für Asylbewerber und Flüchtlinge aus dem Morgenland einsetzen, dass statt heute 15 000 ziemlich sicher 15 Millionen nach Deutschland kommen würden? Was dann?

Prof. Dr. Hans-Gerd Kranz, Bonn

"Satire darf alles" wird Kurt Tucholski jetzt häufig zitiert. Ja, aber sie muss nicht alles. Alle möglichen Freiheiten werden jetzt beschworen. Die Freiheit des einen ist aber immer auch die Freiheit des anderen, Andersdenkenden, Andersglaubenden. Darf man daran erinnern, dass Freiheit nicht Selbstzweck ist?

Sie hat auch ihre Grenze an der Menschenwürde. Und der Würde des einen entspricht immer auch die Würde des anderen. Auch ein Karikaturist und Satiriker sollte sich daher prüfen, welche Grenzen er überschreiten will und was er damit bei denen auslöst, die er treffen will.

Unsere Freiheit haben wir auch dafür, dass wir sie für andere einsetzen, nicht gegen andere. Auch das gehört zu den jetzt so viel beschworenen Werten unserer Gesellschaft. Selbstverständlich ist das kein Freibrief für brutalen Terror. Denn das hier Gesagte gilt natürlich für alle.

Die Werte der westlichen Welt werden jetzt wieder beschworen. Welche Werte sind denn das? Wenn man an die jüdisch-christlichen Wurzeln unserer Zivilisation denkt, sollte nicht übergangen werden, dass es da mit der Kenntnis des Christlichen nicht so weit her ist. Wer bei Golgatha an Zahnpasta denkt oder bei Karwoche an Carsharing oder Ostern das Hasenfest feiert - wie will der verteidigen, wovon er keinen blassen Schimmer mehr hat? Undifferenzierte Angst vor dem Islam hat auch seinen Grund darin, dass eine entchristlichte Gesellschaft ihre Grundlagen nicht mehr kennt.

Ernst F. Jochum, Bonn

Ein Aspekt kommt in allen Diskussionen viel zu kurz. Muss ich wirklich mit aller Macht auf meine Meinungsfreiheit pochen und durch den Abdruck der in Rede stehenden Mohammed-Karikaturen bei einer begrenzten Anzahl von Personen Öl ins Feuer gießen? Dass unisono nahezu sämtliche Pressevertreter teils in peinlich pathetischer Weise nunmehr zu einem "Jetzt erst recht" aufrufen, kann ich jedenfalls nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen.

Glaubt jemand allen Ernstes, dass man das Problem aus der Welt schafft, indem man religiösen Fanatikern vermeintlich todesmutig die Stirn bietet, indem man noch mehr Karikaturen druckt, die in deren Augen den Propheten verunglimpfen und ihnen somit weitere Munition für Ihre primitiven Rachegelüste liefert? Ich erwarte jedenfalls lediglich eine weitere Eskalation der Gewalt, befeuert durch radikale rechte Kräfte und Islamisten.

Oliver Oehm, Königswinter

Mehrere Ängste bleiben mir bei dem Gedanken an diesen Leserbrief zur aktuellen Diskussion über den Islam und der damit verbundenen Gewalt. Meine erste Angst ist: Wenn ich gegen die Islamisierung der Welt bin und das in diesem Leserbrief mit meinem Namen unterzeichne, steht dann morgen ein Salafist vor meiner Haustür?

Meine zweite Angst besteht darin, dass ich mit dieser Aussage sofort in die rechte Ecke der Nazis geschoben und mit Pegida-Demonstranten gleichgestellt werde. Jedoch, wo bleibt die Meinungsfreiheit, wenn diese Ängste nicht auch offen geäußert werden können.

Ich bin grundsätzlich gegen jede Gewalt und erst recht gegen jegliche Art des religiös begründeten Fanatismus. Religion ist mehr und mehr Privatsache geworden und sie darf niemanden in seinen Grundrechten beeinträchtigen oder gefährden.

Humanistisch begründete Ethik und Moral haben christliche Grundwerte des gesellschaftlichen Zusammenlebens ergänzt oder ersetzt. Die Grundsätze unseres demokratischen Zusammenlebens müssen von jedem beachtet werden. Sie sind Verpflichtung und sichern Rechte. Das sollte das gemeinsame Grundverständnis und der Konsens in jeder noch so kontrovers geführten Diskussion sein. Aber: "Jesus Christus hat keinen Krieg geführt".

Klaus-Dieter Jüppner, Königswinter

Jedem halbwegs gebildeten Abendländer dürfte bekannt sein, dass der Prophet Mohammed weltweit von Millionen Muslimen aller Glaubensrichtungen verehrt und geheiligt wird. Wer von ihm Karikaturen veröffentlicht, verletzt und beleidigt damit die religiösen Gefühle aller Muslime, auch die der friedlichen und der Nicht-Fanatiker. Was aber hat dies mit der viel beschworenen Presse- und Meinungsfreiheit zu tun?

Es gäbe genügend lebende Zielscheiben des politischen und öffentlichen Lebens, die man mit spitzer Feder "aufspießen" könnte. Das große Problem der zunehmenden Radikalisierung einiger islamischer Gruppierungen wird man mit diesen Mitteln jedenfalls nicht in den Griff bekommen, eher im Gegenteil.

Dagmar Specht, Sankt Augustin

Vor Nachahmungen in Deutschland kann man nur warnen. Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird (...) bestraft.

Ebenso wird bestraft, der öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (Paragraf 166 Strafgesetzbuch).

Reinhard Offermann, Rheinbach

Ihre Schlagzeile "Zwölf Tote: Terror erschüttert Paris" wird der Dimension des Anschlages nicht gerecht. Nicht nur Paris ist erschüttert, sondern die ganze freie Welt. Wirklich gut sind ihre beiden Kommentare zum Anschlag.

Zunächst ist dem ersten Kommentator unbedingt zuzustimmen, dass es trotz dieses grausamen islamistischen Anschlages auf die republikanischen Werte der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit keine pauschale Verurteilung aller Muslime geben darf. Die riesengroße Mehrheit ist ganz sicher genauso empört wie wir alle.

Zweitens, und hier stimme ich dem dem zweiten Kommentator ("Kampf der Kulturen") zu, darf es allerdings ab jetzt keinen Persilschein für den Islam an sich mehr geben. Ich erinnere an die weltweit gewalttätigen Demonstrationen gegen die ersten Mohammed-Karikaturen aus Dänemark.

Wo waren die Islam-Verbände damals? Gab es in ihren Reihen keine klammheimliche Freude über brennende Flaggen und Botschaften? Auch die Linke in Deutschland muss sich fragen lassen, ob ihr Verständnis für die verletzten religiösen Gefühle der Muslime heute immer noch anhält.

Wir brauchen einen aufgeklärten säkularen Islam in Europa, der die Schnittmenge zwischen Islam und Islamismus genau analysiert und reflektiert. Es wird spannend zu sehen, ob der Islam in Europa hierzu fähig und willens ist.

Jürgen Dischinger, Bonn

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