Kein Verständnis für eine mögliche rot-rot-grüne Koalition
Zu den Berichten über Koalitionsverhandlungen von Linken, Grünen und SPD in Thüringen sowie zum Leitartikel "Der Sündenfall" von Ulrich Lüke
Selten hat mir eine Kolumne - so wie die des Herrn Ulrich Lüke - derart aus der Seele gesprochen. Ja, Herr Gauck hat deutlich und unmissverständlich Stellung bezogen zur Wahl des zukünftigen Ministerpräsidenten von Thüringen.
Eine Partei wie die Linke, die in Nachfolge eines brutalen und menschenverachtenden Systems selbst heute noch Schwierigkeiten hat, sich glaubhaft von ihren Wurzeln zu distanzieren, hat diese Kritik verdient. Wenn ein führender Repräsentant der Partei erst kürzlich in aller Öffentlichkeit sagen konnte, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen, zeigt dies doch mehr als deutlich, wo zumindest Teile der Partei politisch immer noch zu verorten sind.
Erstaunlich, dass weder die SPD noch die Grünen (bis auf wenige Ausnahmen) diesem Statement öffentlich widersprochen haben. Auch von der sich sonst ach so freiheitlich gebenden FDP war nichts zu hören. Nach 25 Jahren Mauerfall scheint es niemanden mehr ernsthaft zu interessieren, unter welchen Umständen/Repressalien politisch Andersdenkende, Christen und einfach die Freiheit suchende Menschen zu leiden hatten.
Herr Lüke weist mit Recht auf die auch heute noch gültige Maxime von Brecht hin, wenn es Parteien um den Erhalt oder Wiedergewinnung von Macht geht.
Ich bin froh, dass wir einen Bundespräsidenten wie Herrn Gauck haben, mit Ecken und Kanten, und der bereit ist, den Opfern eine Stimme zu geben. Es hätte manchem gestandenen Demokraten gut getan, dies ebenfalls zu tun. Opportunisten und Wendehälse haben wir genügend.
Wolfram de la Motte, Bonn
In seinem Leitartikel zum Versuch einer Regierungsbildung in Thüringen unter Führung der Linkspartei bezeichnet es der Autor als Armutszeugnis, dass die deutsche Demokratie nicht in der Lage sei, Regierungen ohne die Nachfahren der SED zu bilden.
Ich teile die kritischen Gedanken und Gefühle unseres persönlich betroffen Bundespräsidenten zu diesem Vorgang von ganzem Herzen. Die moralische Selbstgefälligkeit des Artikels empfinde ich dagegen als unerträglich. Haben wir wirklich die Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik so schnell vergessen? Man kann nicht wirklich sagen, dass die Deutschen im Westen sich ihre Demokratie erstritten haben. Wie viele NSDAP-Mitglieder werden nach dem Krieg wohl in den Bundes- und Landesregierungen gesessen haben? Für die Jüngeren unter uns sei noch mal an einen besonderen Fall erinnert: Hans Filbinger war von 1966 bis 1978 Ministerpräsident Baden-Württembergs. Eher zufällig kam heraus, dass Filbinger als Militärrichter der Kriegsmarine zwischen 1943 und 1945 vier Todesurteile beantragt oder gefällt hatte.
Die Bürger der DDR haben viel Mut bewiesen, als sie sich gegen das DDR-Regime auflehnten, und sie haben viel zur Wiedervereinigung beigetragen. Vielleicht sollten wir uns mehr auf die inhaltliche Kritik an dem Wahlprogramm der Thüringer Linken konzentrieren - oder hat sich der Autor vielleicht gar nicht damit beschäftigt?
Dirk Schindler, Rheinbach
Glückwunsch und uneingeschränkte Zustimmung an Herrn Ulrich Lüke zu seinem Kommentar im GA zu Rot-Rot-Grün in Thüringen. Inhaltlich ist dem kaum etwas hinzuzufügen. Man sollte ihn an Wandzeitungen der Schulen in Ost und West hängen und seine Argumente im Geschichtsunterricht behandeln. Es ist ein Skandal, wie sich da gerade in Thüringen eine linke Landesregierung anbahnt.
Dass ausgerechnet die SPD und noch mehr die Grünen mehrheitlich den "Steigbügel" für einen linken Ministerpräsidenten abgeben wollen, zeigt beklemmend, wie geschichtsvergessend weite Teile der Thüringischen Wähler bereits nach 25 Jahren den ehemaligen SED-Kadergenossen gegenüber sind.
Der nach 1989 geborenen Generation fehlt es mehrheitlich - und nicht nur in Thüringen - an einer Geschichtsbildung, die das DDR-Unrechtssystem und die damals handelnden Personen nachhaltig und einprägsam beschreibt und die jungen Leute so weitgehend immun machen kann gegen die "Sirenenklänge" der äußerlich gewendeten alten SED-Parteistrategen. Noch ist Zeit bis zur Wahl.
Bei der dann geheimen Abstimmung zur Wahl es neuen Ministerpräsidenten in Thüringen - und das bei nur einer Stimme Mehrheit für Rot-Rot-Grün - geht, so ist zu hoffen, noch ein oder zwei Landtagsabgeordneten dieser Koalition ein Erkenntnislicht auf, auf was sie sich da einlassen in den folgenden Jahren hinsichtlich einer nachhaltigen Zukunft und der Regierungsfähigkeit dieses schönen Bundeslandes.
Es gibt Vorbilder aus früheren Jahren. In Hessen und Schleswig-Holstein, hier war es die Kandidatin Heide Simonis, haben die Bewerber in mehreren Wahlgängen keine Mehrheit erreicht. Im Ergebnis kam es schließlich zu richtungsweisenden Veränderungen von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb.
Die nächsten Wochen werden es zeigen. Und: Großen Dank an unseren Bundespräsidenten für seine unmissverständliche Haltung auch in dieser Frage.
Dr. Ulrich Klimke, Wachtberg
Bei einer politischen Willensbildung durch demokratische Wahlen gedeckt halte ich moralisierende Empörung für nicht angebracht. Was soll der stetige Hinweis auf eine "SED-Folgepartei, deren politisches Handeln zwar notgedrungen akzeptiert wird, aber ein noch zu wählender Ministerpräsident aus "prinzipiellen Gründen" abgelehnt wird.
Im Kommentar finden sich mehrfach Worte, die ich besorgniserregend, übertrieben und manchmal als eifernd empfunden habe. Beispiele: "Armutszeugnis", "Verrat der Sozialdemokraten", "das wird sie noch teuer zu stehen bekommen". Empörung ja, auch Moralisieren, die Themen sind zahlreich: Asylpolitik, Willkommenskultur, Islamischer Staat, Salafismus, NSA.
"Empört Euch", heißt ein lesenswertes Buch, von dem man sich gern mitreißen lässt. Große Empörung bei Regierungsbildungen halte ich für nicht angebracht.
Klaus Siebers, Bonn