"Im Namen der Richter Widerspruch gegen Blüm"

Zum Interview von Ulrich Lüke mit Norbert Blüm über dessen Kritik an der deutschen Justiz

Im Namen der Richterinnen und Richter des Landgerichtsbezirks Bonn möchte ich den pauschalen und diffamierenden Aussagen von Herrn Bundesminister a. D. Dr. Norbert Blüm energisch widersprechen. Die in dem Interview enthaltenen nicht hinnehmbaren und durch nichts belegten Thesen belasten uns bei der Wahrnehmung unserer Arbeit nachhaltig und schädigen das - berechtigte - Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere engagiert und verantwortungsbewusst ausgeübte Tätigkeit. Dies gilt besonders für seine Äußerung, die Familiengerichte seien "am meisten verkommen".

Uns, den Richterinnen und Richtern, ist wohl bewusst, dass wir mit unseren Entscheidungen oftmals tief in den persönlichen Lebensbereich der Rechtssuchenden eingreifen. Bei der Ausübung unseres öffentlichen Amtes können uns auch Fehler unterlaufen. Der Rechtsstaat hält gegen richterliche Entscheidungen daher eine Vielzahl von Rechtsbehelfen bereit. Daneben sehen wir uns - zu Recht! - jederzeit dem kritischen Blick der Öffentlichkeit einschließlich der Presse ausgesetzt.

Herr Dr. Blüm hat bei seinen Anwürfen offenkundig aus dem Blick verloren, dass die Gerichte die von den Volksvertretern zuvor beschlossenen Gesetze anzuwenden haben. Bereits vor vielen Jahrzehnten hat der Gesetzgeber zum Beispiel in der Zivilprozessordnung den Gerichten den Auftrag erteilt, "in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht zu sein".

Wir wissen aus der langjährigen täglichen Praxis, dass ein Vergleich oftmals zu einer dauerhaften Befriedung eines langen und quälenden Streits führt. Im Familienrecht kann beispielsweise die Einigung der Eltern über die Ausübung des Sorgerechts allen Beteiligten, insbesondere den Kindern, viel Leid und Kummer ersparen. Die sorgfältige Vorbereitung eines Einigungsvorschlages und dessen Diskussion mit den Beteiligten bereitet einem Gericht dabei oftmals deutlich mehr Arbeit, als die Abfassung eines schriftlichen Urteils mit sich bringen würde. Die Gerichte stehen jeder Bürgerin und jedem Bürger, der sich einen persönlichen Eindruck von der Arbeit der Richterinnen und Richter verschaffen möchte, offen.

Nahezu alle Verhandlungen, die täglich am Landgericht Bonn und den Amtsgerichten des Bezirks stattfinden, sind öffentlich zugänglich. Ich lade alle Leserinnen und Leser hierzu herzlich ein.

Margarete Gräfin v. Schwerin, Präsidentin des Landgerichts Bonn

Ich denke nur an Justizirrtümer im Strafrecht (Wörz, Kachelmann, Arnold). Nicht aufgeführt wird die irre Rechtsprechung der Verwaltungsjustiz zum Prüfungsrecht von 1959 bis 1991. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 1959 den Rechtssatz aufgestellt, dass ein Prüfer Richtiges als falsch bewerten und benoten durfte. Das Bundesverwaltungsgericht hat damit Unrecht geschaffen.

Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben diesen Unrechtssatz bis 1991 exekutiert und viele Prüflinge um den hart erarbeiteten Prüfungserfolg betrogen, indem sie die Prüfungsfehler von Professoren abgesegnet haben.

Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass ein Verwaltungsgericht einen solchen Beurteilungsfehler eines Prüfers aufklären wollte und ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Prompt wurde es in der höheren Instanz für die Einholung dieses Sachverständigengutachtens - das den Fehler aufgedeckt hat - gerügt; das Gutachten durfte nicht berücksichtigt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Irrsinn bestätigt. Es bedurfte des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog, der mit seinem Senat 1991 diesen Unrechtssatz für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat. Herzog hat den Verwaltungsrichtern Faulheit und Bequemlichkeit bei der Aufklärung von Fachfragen vorgeworfen.

Und was ist mit den Altfällen? Diese müssen dieses Unrecht und diese Willkür schicksalsbedingt hinnehmen, obwohl damit gegen Art. 3 (Gleichbehandlungsgrundsatz), 12 Abs. 1 (Recht auf freie Berufswahl), 19 Abs. 4 (Rechtsweggarantie) und 20 Abs. 3 (Rechtsstaatsgarantie) GG verstoßen wurde.

Dr. Hermann Nanz, Bad Honnef

Wenn man einen Anwalt nach den Erfolgsaussichten einer Klage fragt, bekommt man oft den dummen Spruch zu hören: "Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand." Die Justiz sollte aber nicht wie eine Lotterie funktionieren, bei der man Gewinne oder Nieten ziehen kann.

Bei einer Betrugsanzeige machte ich die Erfahrung, dass der zuständige Polizist keinerlei Interesse an Ermittlungen zeigte, vollkommen inkompetent war und die Staatsanwaltschaft auf seinen Antrag hin das Verfahren einstellte.

Da hat man dann keine Arbeit mehr. Betrugsanzeigen gegen Ärzte werden in der Regel eingestellt, weil die zuständigen Polizeibeamten, die mit den Ermittlungen beauftragt werden, schon an der medizinischen Fachsprache scheitern, mit der von den Ärzten argumentiert wird.

Meine Frau und ich haben aber auch positive Erfahrungen mit einfühlsamen und höflichen Zivilrichtern gemacht. Solche Richter scheinen jedoch immer seltener zu werden.

Die Strafjustiz müsste dringend reformiert werden. Es dauert viel zu lange, bis - auch bei eindeutiger Beweislage - Anklage erhoben wird, insbesondere bei Gewaltdelikten. Zwischenzeitlich können weitere Straftaten begangen werden. Und wenn fast jeder erst mal auf Bewährung verurteilt wird, also praktische eine Straftat frei hat, gibt es keine abschreckende Wirkung. Hier ist seit langem die Politik gefragt.

Siegfried Ullmann, Alfter

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort