"Griechenland ist in vielerlei Hinsicht auf Dritte-Welt-Niveau"

Zu Berichten über die Krise in Griechenland sowie zum Kommentar "Verwirrtes Europa" von Andreas Mühl vom 29. Juli

 Eine Verkäuferin wartet in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki auf Kundschaft. FOTO: AFP

Eine Verkäuferin wartet in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki auf Kundschaft. FOTO: AFP

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Es fällt gar nicht so schwer, die eigene Befindlichkeit angesichts des Tohuwabohu um Griechenland und den Euro zu beschreiben. Der Begriff, auf den sich die eigenen Gefühle zurzeit reduzieren lassen, ist "Verunsicherung". Wir hier in Deutschland sollten auf einer Insel der Seligen leben können und das auf Dauer, auch dann noch, wenn das Euro- und EU-Europa erodiert. Irgendwie erscheint einem diese Vorstellung absurd.

Und was die eigenen Gefühle auch nicht besser macht, ist der Blick auf die handelnden Personen. Da sind auf der einen Seite Leute am Werk, die eher dem Typ eines amerikanischen Basketball-Trainer ähneln, als dem eines verantwortungsbewussten Politikers. Und auf der anderen Seite eine Vielzahl von Politikern, denen man zwar eine größere Seriosität zutraut, aber leider auch nicht den nötigen Durchblick in einer total verworrenen Lage. Das gilt wohl auch für die deutsche Kanzlerin und ihren Finanzminister.

Als kleiner Mann sieht man dem Treiben verstört und hilflos zu. Da hilft auch kein schnell gebuchter Thailand-Urlaub. Die Verunsicherung fährt immer mit.

Dr. Erhard Schulte, Königswinter

Was soll man von einem Ministerpräsidenten halten, der seinem Volk ein Referendum vorschlägt, dies jedoch zugleich mit der Empfehlung, die Sache, über die die Bürger abstimmen sollen, abzulehnen. Ich kann nur sagen, das ist für mich kein Staatsmann, sondern ihn kann man nur als Scharlatan bezeichnen.

Was soll man diesem Mann noch glauben? Und das alles bei einem Land, das eine so lange geschichtsträchtige demokratische Vergangenheit hat, auf die man heute noch stolz sein kann. Man kann nur noch Mitleid mit der Bevölkerung haben, denn sie muss letztendlich alles ausbaden.

Peter Coulon, Alfter

So folgerichtig es auch erscheinen mag, Griechenland und die Syriza zur alleinigen Ursache des Dilemmas zu machen, so einfach ist es nicht. Das Durchregieren der Gläubiger tief in die griechische Finanz- und Wirtschaftspolitik - schon beim ersten Hilfsprogramm - und die damit erworbene Mitverantwortung für die verschärfte Misere müsste alle Beteiligten ein Stück demütiger machen, eben nicht die Lösung für das griechische Problem in der Tasche zu haben.

Hilfe unter Freunden sieht anders aus: man verleiht Geld und mischt sich nicht ein, sondern vertraut darauf, dass der Freund alles tut, um es zurückzuzahlen. Bestenfalls gibt man Hilfestellung dabei, auf die Beine zu kommen. Weitere Darlehen gibt es, wenn man weiter Vertrauen und Aussicht auf Erfolg hat. Bürgschaften gibt es nur dann, wenn man Vertrauen darauf hat, dass man nicht in die Pflicht genommen wird oder wenn es einen nicht existenziell belastet.

Alles andere, was unsere Politiker da gemaggelt haben, ist weder freundschaftlich noch fair. Es dient allein dem Zweck, andere Darlehensnehmer in der EU und dem Euroraum davor abzuschrecken, ähnliche Sachverhalte zu erschaffen und ihre Schulden nicht zu bedienen. Griechenland und die Syriza haben eine Chance verdient, ihre Probleme selber und ohne fremde Einmischung zu lösen. Die IWF täte gut daran, alle Tilgungen zu stunden, bis zur Erholung der griechischen Wirtschaft - und so täten auch alle anderen Gläubiger gut daran. Wir brauchen in Europa mehr faire, menschliche Freundschaftlichkeit im Umgang miteinander und weniger das Diktat der Kapitalgeber. Es geht um eine Vision Europas von Frieden und Freundschaft der Völker und nicht (nur) ums Geld.

Tamás Lányi, Rheinbreitbach

Merkel und die anderen Verhandler der EU haben in der Griechenland-Krise komplett versagt. Der Grundfehler war schon, Griechenland den Verbleib in der Euro-Zone von vornherein zuzusichern. Dadurch bestand kein Handlungsbedarf seitens Griechenlands. Darüber hinaus hat Merkel offenbar ihren Amtseid vergessen, indem sie Milliarden Euro des deutschen Steuerzahlers im griechischen Sumpf versenkt hat.

Allerspätestens 2012, beim 2. "Rettungspaket", hätte sie diese Geldvernichtung stoppen müssen, denn schon da war absehbar, dass die (damalige) griechische Regierung überhaupt nicht daran dachte, zügig nötige Reformen einzuleiten. Griechenland ist in vielerlei Hinsicht ein Land auf Dritte-Welt-Niveau: es gibt kein funktionierendes Steuersystem, kein Katasterwesen, aber Wohlhabende zahlen nach Belieben (und damit keine) Steuern. Nur die Korruption funktioniert. Deshalb gehört dieses Land eigentlich nicht in die EU, schon gar nicht in die Euro-Zone.

Griechenland wird über kurz oder lang die Eurozone verlassen müssen, es sei denn, wir wären bereit, Griechenland nachhaltig zu alimentieren, vielleicht sogar durch einen Solidaritätsbeitrag. Dies würde die Illusion aufrechterhalten, dass Griechenland solvent sei; man gibt quasi dem Land immer neue Kredite, um alte abzulösen. Die Transferunion wäre dann in vollem Gange.

Michael Küpper, Sinzig

Der Verhandlungsmarathon in den vergangenen vier Monaten zwischen der neuen Regierung Griechenlands, EZB, EU und IWF ist mit dem Abbruch durch die griechische Regierung beendet worden. Der Dialog ist zu Ende, das Vertrauen ist zerstört, Griechenland ist pleite. Das viele Geld der europäischen Länder und des IWF, das seit 2010 zur wirtschaftlichen Hilfe nach Athen geflossen ist, und Schuldenschnitte haben keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage bewirkt. Notwendige Reformen von Staatsverwaltung oder Steuer- und Rentensystem sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähig blieben aus.

Staatsschulden und Steuerflucht nahmen zu. Die griechische Regierung fordert Solidarität der europäischen Partner, bedingungslose finanzielle Hilfe sowie Schuldenschnitt. Das Hilfsangebot der europäischen Partner (Gläubiger) ist mit der Forderung nach vor allem konkreten Strukturreformen in Griechenland, der Ablehnung eines erneuten Schuldenschnitts und der Einhaltung von Verträgen verbunden. Das hat Regierungschef Tsipras im Parlament als "Erniedrigung des gesamten griechischen Volkes" bezeichnet.

In einem Referendum soll nun das griechische Volk über die Ablehnung dieses Hilfsangebotes entscheiden. Sollte politische und ökonomische Vernunft auf der Stecke bleiben und die griechische Regierung weitere unannehmbare Hilfsforderungen zur Erfüllung von Wahlversprechen stellen, würden die Leiden der griechischen Bevölkerung verstärkt und auf unabsehbare Zeit verlängert. Ich glaube nicht, dass Griechenland ohne finanzielle Hilfe der europäischen Partner wieder Fuß fassen kann.

Größere Nachteile für die Euro-Länder kann ich nicht erkennen. Eine stabile europäische Währungs- und Wirtschaftsunion als Etappenziel auf dem Weg zu einer politischen europäischen Union rückt jedoch in weite Ferne.

Detlef Wibel, Meckenheim

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