Deutung reiner Reduktionismus

Zum Artikel "Die Moralabteilung im Gehirn", erschienen am 12. September

Etwas verwegen ist es schon, spezielle gehirnchemische Untersuchungsergebnisse so mit der Philosophie zu verknüpfen. Unsere geistigen Aktivitäten sind doch "eine Verbrämung für chemische Reaktionen im Gehirn". Der Mensch bedient sich zwar physikochemischer Prozesse, aber sind seine Gedanken damit ein bloßes Produkt dieser Prozesse?

Die Strukturen im Gehirn, die den körperlichen Anteil des Geschehens übernehmen, wurden während vieler Jahrmillionen evolutionär organisiert, und das Gehirn ist inzwischen mit unseren Gefühlen, Gedanken, Entscheidungen und Taten verknüpft. Ich kann mir auch kein Experiment vorstellen, das nicht bestätigt, dass die Erinnerung an eine zärtliche Umarmung sehr haltbar und die Detailfülle eines Erlebnisses für dessen Erinnerung wichtig ist.

Was das mitgeteilte Experiment angeht, mit dem zuständigen Hirnareal das normgebende Verhalten selbst auszuschalten, so betrifft sein zu erwartendes Ergebnis nicht einmal das eigentliche "Ethos" der Philosophen, sondern nur eben dieses normgebende Verhalten und damit Freuds "Über-Ich" beziehungsweise Heideggers "Man".

Und dass ein gestörtes Gehirn die Zusammenarbeit nicht mehr leisten kann, beweisen auch schon Alkoholismus und Demenz. Also: Die Experimente sind nett, die Deutung ist reiner Reduktionismus.

Dr. rer. nat. Siegfried Stephan, Rheinbach

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