Debatte um Henry-Kissinger-Professur

Zum Artikel "Friedensengel oder Kriegsverbrecher" und Kommentar "Blamabel" von Ulrich Lüke vom 1. April.

 Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger ist als Namensgeber einer Professur an der Uni Bonn umstritten.

Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger ist als Namensgeber einer Professur an der Uni Bonn umstritten.

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Die Einrichtung eines vom Auswärtigen Amt und Verteidigungsministerium finanzierten Lehrstuhls in Bonn ("Henry-Kissinger-Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung sicherheitspolitischer Aspekte") halte ich für äußerst fragwürdig: Wenn private Stiftungen und Denkfabriken "Forschungsergebnisse" veröffentlichen, wird man im Hinblick auf deren Gründer oder Geldgeber wohl mehr Einseitigkeit als wissenschaftliche Neutralität erwarten (nach dem Motto "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing).

Universitäten sollten dagegen Horte akademischer Freiheit bleiben, ohne politische Schranken oder Denkverbote im Hinblick auf Forschung und Wissenschaft. Die US-Außenpolitik ist nun seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute wegen grober Völkerrechtsverstöße in Verruf geraten. Henry Kissinger hat als Außenminister diese Außenpolitik unter mehreren US-Präsidenten für lange Zeit maßgeblich gestaltet.

Deshalb sollte man auch keinen wissenschaftlichen Lehrstuhl mit einem Namenspatron befrachten, der mangels Vorbildfunktion nur als Hemmnis für eine freie Forschung ohne Denkverbote angefasst werden kann. So würde auch niemand daran denken, einen wissenschaftlichen Lehrstuhl für Islamforschung einzurichten und mit dem Namen von Papst Benedikt schmücken zu wollen.

Meine Befürchtung ist, dass sich das Bundesverteidigungsministerium und auch das Auswärtige Amt vor eigener politischer Verantwortung drücken wollen, indem sie als Geldgeber für den neuen Lehrstuhl unter der Aureole des ehemaligen Außenministers Kissinger auf der Universität Bonn zu eigener Entlastung "forschen lassen". Eine solche Zumutung sollte die Universität Bonn zeitgerecht abzuwenden wissen, wenn sie nicht ihren Ruf gefährden will.

Dr. Christian Hoyer, Grafschaft

Das Zweifeln an der Sinnhaftigkeit der geplanten Henry-Kissinger-Professur ist im Kern berechtigt, stehen doch die Beteiligungen des Herrn Kissinger an Einsätzen wie in Kambodscha oder Chile außer Zweifel - Einsätze, die durchaus als Kriegsverbrechen interpretiert werden können. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn dies Kritiker der Professur dazu veranlasst, den ehemaligen Außenminister der USA für seine Taten zu verurteilen, Friedensnobelpreis hin oder her. Letztendlich bleibt festzuhalten, dass Henry Kissinger im gegebenen Kontext nicht als Stiftsperson in Frage kommen kann, denn die Kritik an seiner Person beruht nicht allein auf politischen Ansichten, sondern befasst sich mit schwerwiegenden Vorwürfen.

Darüber hinaus ist es schade, wenn die von politikinteressierten Studierenden angeregte Diskussion in Leserbriefen als Anmaßung von "linken Weltverbesserern und Gutmenschen" verunglimpft wird. Kaum jemand bezweifelt, dass Herr Kissinger auch für das Wohl der Menschen eingetreten ist, doch macht dies in keiner Weise seine zumindest fragwürdigen Handlungen ungeschehen.

Demnach muss es erlaubt sein dies anzuprangern, ohne dafür derart gescholten zu werden. In einer offenen Gesellschaft bedeutet ein Dialog schließlich, dass mindestens zwei Seiten gehört werden - in diesem Fall vertreten durch die Universität Bonn und die Stifter der geplanten Professur sowie den kritischen Teilen der Studierendenschaft. Wer dies nicht wünscht, darf sich im Monolog gerne selbst bestätigen.

Moritz Neugebauer, Bonn

Laut diesem Beitrag wird dem ehemaligen amerikanischen Außenminister vorgeworfen, er habe den Vietnamkrieg verlängert und intensiviert. Diese Argumentation widerspricht den historischen Tatsachen. Eigentlich hat Henry Kissinger das einzige Ziel gehabt, die amerikanische Intervention in unserer Heimat um jeden Preis so schnell wie möglich zu beenden.

Deshalb wurde die finanzielle, politische und militärische Unterstützung der Amerikaner für unseren Kampf gegen die Kommunisten abrupt eingestellt, während der ganze ehemalige Ostblock unverändert hinter den Vietcongs stand. Infolgedessen haben die Nord-Vietnamesen die Macht in unserem ganzen Heimatland am 30. April 1975 übernommen. Als Folge dieses Umstandes wurden Millionen unserer Landsleute gefangen, gefoltert und terrorisiert, sind gestorben oder geflüchtet - auch nach Deutschland.

Dr. med. Tran Van Tich, Bonn

Vor 96 Jahren erschien Heinrich Manns Roman "Der Untertan". Den Typus, den dieser Titel benennt, zeichnen blinder Autoritätsglaube, würdeloses Katzbuckeln vor staatlicher Macht und Verfolgungswut gegenüber jeglicher Herrschaftskritik aus. Der heutige Wiedergänger des Trägers solcher Einstellungen hält Institutionen für unfehlbar, sofern sie nur durch demokratische Verfahren legitimiert sind, uneingedenk der Tatsache, dass keine Demokratie ohne Kritik - auch an legitimer Machtausübung - bestehen kann.

Wenn der Name eines Antidemokraten von Straßenschildern verschwindet, hält er das für "blamabel", und versehentlich verliehene Nobelpreise gelten ihm als irreversible Heiligsprechungen. Angesichts der geplanten Kissinger-Professur läuft so einer zu Höchstform auf. Dass es hinsichtlich der Lebensleistung eines Henry Kissinger abzuwägen gilt, worin seine Verdienste bestehen und welches Ausmaß die ihm zuverlässigen Quellen zufolge zur Last gelegten Verbrechen angenommen haben, will ihm nicht in den Kopf.

In den Augen zahlreicher internationaler Wissenschaftler und Publizisten kommt letzteren das größere Gewicht zu. Wer zugeben muss, dass Kissingers weltgeschichtliche Rolle zumindest umstritten ist, sollte nachweisen können, dass er sich das Urteil in einer Sache wie dem geplanten Lehrstuhl nicht zu leichtgemacht hat. Alles andere wäre provinziell.

Rudolf Selbach, Bonn

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