Begriff "Pflegealter" ist unzulässig

Zum Artikel "Kleine Pflegereform - vor der großen?" vom 18. Oktober

Zunächst: Ich wende mich nicht gegen den Inhalt des Artikels, auch nicht gegen die notwendige Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung, sondern gegen die Wortwahl der Begründung (wobei ich nicht weiß, ob dies der Politik oder den Journalisten anzulasten ist).

"Pflegealter" - ein Begriff, der unzulässig und schädlich ist, schon gar nicht für 70- bis 80-Jährige zutrifft! Es gibt ein "Krabbelalter", ein "Zahnalter" und auch ein "Schulalter", das jeder Mensch durchläuft, das man zeitlich wenigstens ungefähr festlegen kann.

Ja, es gibt sogar ein "Sterbealter", auch wenn man dieses zeitlich gar nicht festlegen kann - aber es trifft uns alle. Aber ein "Pflegealter" durchläuft durchaus nicht jeder Mensch, selbst wenn er als Hundertjähriger stirbt. Immerhin sind von den 70- bis 75-Jährigen nur 4,8 Prozent pflegebedürftig, von den 75- bis 80-Jährigen dann nur 9,8 Prozent.

Das heißt, im sogenannten "Pflegealter" sind über 90 Prozent der Menschen eben nicht pflegebedürftig, von den 80- bis 85-Jährigen sind es noch 80 Prozent, von den 85- bis 90-Jährigen auch noch über 60 Prozent. Selbst von den über 90-Jährigen sind noch mehr als 40 Prozent nicht pflegebedürftig. Selbst wenn nach der notwendigen Überarbeitung des Begriffes der "Pflegebedürftigkeit" die Zahlen noch etwas steigen werden, ist das keine Berechtigung, von "dem Pflegealter" zu sprechen! Der Begriff allein erzeugt eine Erwartungshaltung, die jedem Älterwerdenden Angst einjagt, notwendige Präventionsbemühungen eindämmt und zur "self-fulfilling prophecy" werden kann.

Prof. Dr. Ursula Lehr, Bonn, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO)

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