"Am 8. Mai 1945 hatte das unsägliche Leid ein Ende"

Zum Leserbrief von Bernd Hartwig ("Der 8. Mai war kein Tag der Befreiung"), erschienen am 11. Februar, sowie zu Leserbriefen dazu.

 Am Ort der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst wurde 1995 das Deutsch-Russische Museum für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte sowie für die Verständigung zwischen Deutschen und Russen errichtet.

Am Ort der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst wurde 1995 das Deutsch-Russische Museum für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte sowie für die Verständigung zwischen Deutschen und Russen errichtet.

Foto: dpa

Der Satz von der "Befreiung am 8. Mai 1945", als in Erinnerung bleibende Aussage des kürzlich verstorbenen Alt-Bundespräsidenten v. Weizsäcker, hat eine Reihe interessanter Stellungnahmen ausgelöst. Deren Tenor: Der Alt-Bundespräsident hat recht.

Für mich bleibt gleichwohl zu fragen: Gibt das eigene Erleben zum Beispiel des Herrn Hartwig nicht doch die damalige Seelenlage der Deutschen besser wieder, als die Geschichtsinterpretation des Herrn von Weizsäcker?

Denn wer die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges und die ersten harten Jahre der Besatzungspolitik der Siegermächte am eigenen Leib erfahren hat, weiß: Amerikanern, Engländer, Franzosen und Russen ging es gleichermaßen um das vollständige Niederringen Deutschlands und um die Bestrafung des gesamten Volkes, also nicht nur um die Ächtung der Nationalsozialisten. Es galt schlichtweg das altbekannte "Wehe dem Besiegten".

Dass in späteren Zeiten die Besiegten sich die Niederlage schönredeten, ist psychologisch verständlich. Beim bewusst gewählten Wort "Befreiung" schwingt zudem entlastend mit: Wir sind ja eigentlich immer Gegner des Systems gewesen.

Nein, wenn der 8. Mai 1945 überhaupt von den Deutschen bewusst zur Kenntnis genommen worden ist, dann als ein Tag, an dem der Krieg mit seinem unsäglichen Leid endlich ein Ende hatte.

Horst Krämer, Bonn

Herr von Weizsäcker hat vergessen zu erwähnen, dass nicht nur ich, sondern auch viele andere von Heimat, Haus, Hof, Geschwister, Eltern und vieles mehr "befreit" wurden.

Loni Köbel, Bad Neuenahr

Bei dieser Beurteilung kann man schon geteilter Meinung sein. Als ich Ende 1948 aus Kriegsgefangenschaft heimkehrte, sah ich in den Amtsstuben und später auch in allen Bundesbehörden die gleichen Gesichter wie zur Nazizeit. Als Sieger verhängten die Alliierten nach dem verlorenen Krieg über alle Naziorganisationen ein Verbot. Dies war ein Segen für Deutschland.

Aber ein Verbot ist keine Befreiung. Zumal - wie erwähnt - die gleichen Personen wie zur Nazizeit wieder in Amt und Würde waren. Am perfidesten lässt sich dies durch die Geschehnisse in der Bonner Rosenburg, Justizministerium, dokumentieren. Hier saßen wieder die gleichen Personen in führender Position wie zur Nazizeit, wo sie seinerzeit die grausamsten Gesetze ausgedacht hatten. Sie haben es verstanden, durch geschickte Rabulistik sich und anderen Freibriefe zu beschaffen. Dies war auch einer der Gründe der 68er, gegen dieses Etablissement zu protestieren.

Bernhard Grandrath, Bonn

Mir scheint, dass viele, die über die Rede von Weizsäckers zum 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation reden und schreiben, die Rede unseres damaligen Bundespräsidenten gar nicht kennen. Es war eine große Rede, die eigentlich alle Aspekte und Gefühlslagen der Deutschen und anderer abdeckte. Und aus dieser Rede wird immer und immer wieder nur die Passage "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung" zitiert. Leider. Die Rede geht viel weiter und deckt alles ab. Der Text ist auch heute noch lesenswert und macht alle weiteren Diskussionen über Befreiung überflüssig (Hinweis der Redaktion: Der GA hat die Rede am 2. Februar in Auszügen dokumentiert).

Ich war am 8. Mai 1945 noch Kind, fühlte mich nach der Flucht bis in die Lüneburger Heide fremd und ohne Kenntnis über den Aufenthalt meines Vaters allein gelassen. Ich wusste damals noch nicht, dass mein Vater aus britischer Kriegsgefangenschaft direkt in das KZ Neuengamme in Hamburg überstellt worden war, nachdem es zuvor von den darin festgehaltenen KZ-Häftlingen hatte geräumt werden können.

Sein "Vergehen" war, dass er im Zivilberuf "Rat" (Oberregierungsbaurat) war, und er traf im KZ mit vielen Leuten mit ähnlichen Vergehen zusammen. Ich erspare Ihnen und mir die Schilderung, in welchem Zustand seine Familie ihn nach seiner Entlassung aus dem KZ in Empfang nehmen durfte. Im Übrigen ist die Familie meiner Eltern in der Weise "befreit" worden, dass die Stätten aller meiner Vorfahren heute im Ausland liegen - sowohl im Osten wie auch im Westen.

Ortwin Blawert, Niederkassel-Mondorf

Es wäre schön, wenn die Diskussion über die Bewertung vom 8. Mai 1945 ein Nachdenken über gesetzliche Feiertage anregt. Unser Kalender jedenfalls wird dominiert von christlichen Feiertagen. Warum tauscht man denn nicht einfach einige Etiketten davon aus, macht also zum Beispiel aus Christi Himmelfahrt und Fronleichnam zwei Familientage? Die langen Wochenenden im Mai und Juni blieben so weiter möglich. Auch der Tag der deutschen Einheit hätte, wenn man ihn wieder wie früher am 17. Juni feiern würde, als Sommerfest deutlich mehr familienfreundlichen Beigeschmack.

Thomas Möller, Bonn-Holzlar

Grundsätzlich tut es mir sehr leid für Herrn Hartmann, dass er im Mai 1945 offensichtlich Ungerechtigkeiten erleben musste. Zwar möchte ich mir an dieser Stelle den eigentlich reflexartigen Hinweis darauf sparen, wer mit Kriegsverbrechen angefangen hat und was deutsche Soldaten bei ihren Feldzügen angerichtet haben. Herrn Hartmann möchte ich allerdings mitteilen, dass ich (Jahrgang 1967) den Alliierten trotz solcher Ereignisse äußerst dankbar dafür bin, dass ich nicht zur Hitlerjugend musste, dass ich keinen Lebensraum im Osten erobern musste und dass ich auch nicht gezwungen war, Nichtarier zu liquidieren.

Auch fand ich es beispielsweise sehr angenehm, dass ich in der Lage war, "entartete Kunst" von Franz Marc und August Macke vor kurzem in Bonn straffrei genießen zu dürfen. Zusammengefasst bin ich also überaus froh, dass Großdeutschland im Mai 1945 kapitulierte. Und ich behaupte mal frank und frei, dass ich im Gegensatz zu Herrn Hartmann auch im Jahre 1945 zu einer solchen Einschätzung gelangt wäre.

Widerlich finde ich, dass Herr Hartmann allen Ernstes (angebliches) Fehlverhalten befreiter Zwangsarbeiter als Argument in die Diskussion einbringt. Interessant und entlarvend finde ich in diesem Zusammenhang, wie Herr Hartmann die (verständliche) Angst der Bevölkerung vor einer fremden Besatzungsmacht noch 70 Jahre später interpretiert.

Oliver Oehm, Königswinter

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort