"Also doch eine Zweiklassengesellschaft?"

Zum Artikel "Kassenpatienten warten länger" und Kommentar von Holger Möhle "Reformdruck", erschienen am 18. September, und zu Leserbriefen zu diesem Thema

 Ein Hausarzt misst bei einer Patientin den Blutdruck. Ein Leser klagt, dass er sich als Kassenpatient benachteiligt sieht, eine Ärztin rechnet vor, dass sie viele Kassenpatienten kostenlos behandelt.

Ein Hausarzt misst bei einer Patientin den Blutdruck. Ein Leser klagt, dass er sich als Kassenpatient benachteiligt sieht, eine Ärztin rechnet vor, dass sie viele Kassenpatienten kostenlos behandelt.

Foto: dpa

Ich behandle pro Quartal etwa 1100 bis 1300 gesetzlich versicherte Patienten. Mein komplettes Regelleistungsvolumen (Quartalsbudget) lag im 3. Quartal 2014 bei genau 12 865 Euro. Das bedeutet pro Monat 4288 Euro. Davon muss ich Mitarbeiter, Miete, Kredite, Steuern, Versicherungen und sonstige Ausgaben zahlen. Mein Budget ist nach 6-8 Wochen erreicht, so dass ich ab dann Kassenpatienten kostenlos behandle. Dass das nicht funktioniert, ist wohl jedem klar.

Der niedergelassene Arzt ist auch Unternehmer und muss Geld verdienen, wie es Herr Möhle in seinem Kommentar erkannt hat. Die Schere zwischen privat und gesetzlich Versicherten geht nur deswegen immer weiter auseinander, weil die gesetzlichen Kassen immer weniger zahlen. Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, den Sie in Ihrem Artikel nicht ansprechen. Im Deutschen Ärzteblatt vom 12. September 2014 wurde eine Umfrage veröffentlicht, in der ein Viertel der Patienten angab, in den letzten zwölf Monaten einen Arzttermin nicht eingehalten zu haben.

Das ist auch in meiner Praxis so. Termine werden oft gar nicht oder erst am selben Tag kurzfristig abgesagt. Die Patienten tragen also auch selbst dazu bei, dass die Termine später vergeben werden.

Da fragt man sich als natürlich, ob ein Facharzttermin den Patienten tatsächlich so wichtig ist. Ich verstehe, wenn jemand kurzfristig erkrankt, aber wenn ich zum Beispiel höre, dass ein Termin eine Stunde vorher abgesagt wird, weil eine Couch geliefert wird, kann das Problem mit den Facharztterminen wohl nicht so gravierend sein.

Dr. Solveig Stöckel, Bonn

Wir mussten am eigenen Leib erfahren, dass unser Gesundheitswesen hier in Deutschland festschreibt, wann man krank werden darf und wann nicht. Auf keinen Fall am Quartalsende.

Geschehen letzte und diese Woche, sehr starke Schmerzen im Rücken mit Ausstrahlung ins Bein, Liegen und Gehen war nur unter sehr starken Schmerzen möglich. Wir haben bei mehreren Orthopäden um einen sofortigen Termin angefragt.

Die Antworten lauteten: Wir können keinen Patienten mehr annehmen, weil die Wartezimmer - angeblich - voll sind. Ein Termin war immer erst ab der 1. Oktoberwoche frei.

Eine orthopädische Praxis, welche auf ihrer Internetseite wie folgt Werbung macht "Schul- und Arbeitsunfälle sowie Notfälle können von 8-18 Uhr versorgt werden", hat uns am Telefon abgewimmelt, und nachdem wir persönlich in der Praxis erschienen sind, auch wieder nach Hause geschickt mit der Begründung, es würden schon viele Patienten warten.

Jetzt konnten wir uns nur noch Hilfe im Krankenhaus erhoffen. Nach einer Untersuchung in der Notfall-Ambulanz und der Bemerkung des Arztes "Sie können froh sein, dass Sie noch keine Lähmungserscheinungen haben" erfolgte eine stationäre Aufnahme.

Einem Privatpatienten wäre eine solche Behandlung nicht widerfahren. Also doch eine Zweiklassengesellschaft?

U. Kostrewa, Remagen

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