"Ich spüre nichts mehr"

Eine eindringliche Schilderung des Lebens und Leidens des depressiven Torwarts Robert Enke.

 Ein Erfolgsmensch, der zerbrach: der Fußballprofi Robert Enke.

Ein Erfolgsmensch, der zerbrach: der Fußballprofi Robert Enke.

Foto: Picture-Alliance

Berlin. Nein, ein Lese-Vergnügen kann und will dieses Buch nicht bieten. Die mehr als 400 Seiten über den Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke ("Ein allzu kurzes Leben") erzählen den Werdegang eines deutschen Spitzensportlers und die metastasen-ähnliche Depressions-Wucherungen, die Stück für Stück Gewalt über seinen Körper gewinnen. Der Freitod Enkes ist kein Ausnahmefall: In Deutschland sterben jährlich mehr Menschen an Depressions-Selbstmord als durch Verkehrsunfälle.

Der einzige Nachteil des Buches, das ein enger Freund, Ronald Reng, schrieb: Er konnte Enke in dieser Sache nicht mehr befragen. Der Selbstmord am 10. November 2009 kam schneller. Deshalb beschränkt sich der Autor - unterstützt von Enkes Witwe Teresa - auf die sprachlich bemerkenswert nüchtern gehaltene Rekapitulation des Lebens eines Spitzensportlers, der nicht aufgeben wollte. Erste erkennbare Zeichen einer Depression zeigten sich zu Enkes Zeit bei Borussia Mönchengladbach, wo er 1997 dritte Wahl war. "Er wollte nicht mehr zum Training", zeigte sich nach dem Einsatz in einem hoch verlorenen Freundschaftsspiel "ängstlich".

Thema Depression Lesen Sie dazu auch Wenn das Leben verschattetSeine Frau ließ Enkes Vater, einen Psychotherapeuten, einfliegen, der wenig ausrichten konnte - außer dem Ratschlag, der Sohn möge seinem Alltag eine feste Struktur geben. Alles, was er tun konnte, war seinen Sohn morgens aus dem Bett zu werfen. Einem Winter-Trainingslager, vor dem Enke panische Angst entwickelte, wich er dadurch aus, dass der verständnisvolle Mannschaftsarzt ihm eine Grippe bescheinigte.

Enke fing sich zwischenzeitlich immer wieder, doch es gab auch Rückschläge. Den mit Benfica Lissabon geschlossenen Vertrag stellte er eine Stunde nach Unterzeichnung in Frage: Panik, Weinkrämpfe, Angst vor allem Fremden. Er rang sich dann doch durch; kämpfte sich in Lissabon zur zeitweisen Nummer Eins im Tor durch.

Ein Leben zwischen immer länger werdenden Angstphasen und wenigen Glücksmomenten - das ist die deprimierende Mischung, die das Leben des Torhüters bestimmt, der nach Barcelona, Istanbul, Teneriffa und schließlich als Bundesliga-Rückkehrer zu Hannover 96 wechselt. Enke leidet unter dem Leistungsdruck des Profi-Fußballs derart, dass seine Depression, die er vor der Öffentlichkeit weiter verheimlichen will, ihn auch im Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu übermannen droht.

Teresa Enke muss ihren Mann eines Morgens ermahnen, die trügerische Sicherheit des Bettes zu verlassen und sich dem Training, das aus Sprungtests besteht, zu stellen. Er weigert sich, lässt sich vom Mannschaftsarzt krank schreiben. "Ich spüre nichts mehr - keine Nervosität , keine Freude", sagte er nach dem ersten Bundesligaspiel 2009 einem Freund.

Hinzu kommt ein einschneidender privater Schicksalsschlag: Seine mit einem schweren Herzfehler zur Welt gekommene Tochter Lara stirbt nach einer Operation im Alter von nur zwei Jahren.

Enkes Befinden verschlechtert sich massiv. Ohne seine Frau kann er nicht einmal einfachste Entscheidungen treffen. Er beginnt Anti-Depressiva zu nehmen. Am Ende kommt die Angst hinzu, seine Tarnung könne auffliegen. Er verspricht seiner Frau ins Gesicht, sich nicht das Leben zu nehmen. Unvorstellbar, dass der Mann noch 48 Stunden vor seinem Freitod ein Bundesligaspiel absolviert.

Wie gesagt: Kein Lesevergnügen. Dafür aber ein Buch, das für den offensiven Umgang mit der Volksgeißel Depression wirbt.

Ronald Reng: Robert Enke - ein allzu kurzes Leben. Piper-Verlag, München 2010. 432 Seiten, 19,95 Euro.

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