Die Affäre Poullain und der Sturz des Finanzministers

Der Chef der West LB tritt einen Tag vor Weihnachten 1977 zurück - Der Personalskandal erfasst bald auch die Landesregierung: Friedrich Halstenberg ist das nächste Opfer

Die Affäre Poullain und der Sturz des Finanzministers
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Bonn. An Schlaf war nicht zu denken. Als die Entscheidung am frühen Morgen nach mehr als zehn Stunden zermürbender Debatte endlich feststand, hatte Friedrich Halstenberg nur noch wenig Zeit, seine eigenen Belange zu regeln. Obwohl er in der nächtlichen Sitzung des West-LB-Verwaltungsrates am Ende einen Sieg auf der ganzen Linie eingefahren und die fristlose Kündigung von Ludwig Poullain durchgesetzt hatte, zog er sich für einen Moment zurück und formulierte sein eigenes Rücktrittsscheiben. Wenig später saß er - draußen dämmerte der Tag herein - im Büro von Heinz Kühn und begründete seine Demission.

Die folgenden Stunden verliefen so turbulent, dass sie den Betrachtern auch noch bald 20 Jahre danach den Atem stocken lassen. An jenem Morgen des 17. Januar 1978 gerät der Regieplan immer wieder durcheinander, entwickeln die jeweiligen Sitzungen eine solche Eigendynamik, dass zunächst nichts von dem, was Halstenberg und Kühn besprochen haben, wirklich gelingt.

Die West LB und die nordrhein-westfälische Landesregierung liefern den Stoff für einen Wirtschaftskrimi, in dem kaum etwas fehlt, was der umsichtige Drehbuchautor in die Geschichte einbauen würde. Und der bereits im Dezember 1977 begonnen hatte.

Da ist zunächst einmal der Chef der Westdeutschen Landesbank. Ludwig Poullain führt die Bank seit ihrer Gründung im Jahre 1968. Natürlich erzählt man über ihn, dass er sich morgens von seinem Privathaus im Jaguar zum Flughafen Münster chauffieren lässt, dort in den eigenen Bankjet einsteigt und nach Düsseldorf fliegt, wo der zweite Dienst-Jaguar auf ihn wartet, damit er wenig später ausgeruht im Büro ankommen kann. Dass der Mann überaus eitel ist, wird im gleichen Atemzug hinterher geschoben, erst dann kommen die harten Fakten seines Wirkens.

Er hat die Landesbank als normales Institut zwischen den ganz Großen der Branche etabliert, die Bilanzsumme auf für damalige Verhältnisse enorme 75 Milliarden DM hinaufkatapultiert und die West LB zu einer der ersten Adressen im Geldgeschäft gemacht. Als Hauptaktionär hatte Poullain das Land und die agierenden Politiker. Das waren damals vor allem die in Düsseldorf die Regierung dominierenden Sozialdemokraten.

An der Spitze der Regierung stand Ministerpräsident Heinz Kühn, der sich allerdings dadurch auszeichnete, dass wirtschaftliche Entscheidungen nicht zu seinen bevorzugten Themenfeldern zählten. Anders sah es bei dem für die Bank zuständigen Finanzminister Friedrich Halstenberg aus. Der Professor hatte gelernt, mit Zahlen umzugehen und ließ sich intensiv berichten.

Die mit den Sozialdemokraten regierenden Liberalen stellten damals den Wirtschaftsminister. Er hieß Horst Ludwig Riemer und saß neben Halstenberg im Verwaltungsrat der Bank, dem dann auch noch Theo Schwefer - der einflussreiche finanzpolitische Sprecher der CDU - angehörte. Die drei Parlamentarier spielten ihre Eigentümerrolle so offensiv, wie das heute kaum vorstellbar wäre.

Zum Bruch kam es Ende November des Jahres 1977. Ludwig Poullain wünschte eine Verlängerung seines Vertrages um volle fünf Jahre. Am 2. Dezember stimmte der Verwaltungsrat der Bank zu. Wenig später wurde allerdings bekannt, dass Poullain in die Nähe von anrüchigen Geschäften geraten war, gar die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte.

Obwohl der Finanzminister von den Ermittlungen - wie auch der Ministerpräsident - gehört hatte, zog er es vor, den Kollegen im Verwaltungsrat nichts davon zu erzählen. "Es hätte so ausgesehen, als wolle ein pingeliger Minister einem weltweit als untadelig und ehrbar bekannten Bankchef ein Beinchen stellen", verteidigte sich Halstenberg später, aber die Welle der Kritik nahm kein Ende.

Zunächst machten nur Gerüchte über angebliche Steuerhinterziehung bei Poullain die Runde, dann - allerdings auch erst nach seiner Vertragsverlängerung - sickerten Informationen über einen dubiosen Beratervertrag durch, die Poullain in ein ungünstiges Licht tauchten. Poullain hatte in den zurückliegenden Jahren als Bankchef fast eine Million Mark zusätzlich von einem Geschäftsmann kassiert, dem die Bank Kredite gewährte und sogar mit einer Drei-Millionen-Bürgschaft aus der Untersuchungshaft half.

All diese Details wurden politisch bei Friedrich Halstenberg abgeladen, obwohl er vieles davon erst nach der Vertragsverlängerung erfahren hatte. Immerhin gelang es dem Sozialdemokraten, Poullain Ende Dezember zu einer Vertragsauflösung zu überreden - im Sinne der Bank ohne öffentliche Erklärung und mit einer satten Abfindung; der Münsteraner sollte für die volle Laufzeit sein Jahresgehalt von 420 000 Mark kassieren.

Das wiederum mochten die Liberalen nicht mittragen. Sie entzogen Halstenberg im Januar das Vertrauen und forderten den großen Koalitionspartner auf, den Finanzminister zu entlassen. Der war dazu bereit, nachdem er in der Nacht zum 17. Januar im Verwaltungsrat der Bank eine Mehrheit für eine fristlose Kündigung durchgesetzt hatte - doch die eigene Fraktion rebellierte. Weder Regierungschef Kühn noch Halstenberg konnten die Parteifreunde von der Sinnhaftigkeit des Schrittes überzeugen.

Halstenberg kam zwar gestärkt aus der Fraktion hervor, trat dann aber am Abend des 17. Januar 1978 freiwillig zurück, um Schaden von der Regierung abzuwenden. Sein Nachfolger wurde Diether Posser, er installierte später Friedel Neuber als Chef der West LB. Der baute das Institut mit kräftiger Unterstützung der Politik weiter aus, fuhr kräftige Gewinne ein und machte die Bank zur Nummer Drei in Deutschland.

Ludwig Poullain, das gehört zur vollständigen Geschichte hinzu, wurde 1981 in allen Anklagepunkten freigesprochen, selbst der Bundesgerichtshof mochte das Urteil zwei Jahre später - trotz erheblicher Bedenken - nicht aufheben.

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