Der Spatz und die Paradiesvögel

Pam Gems` Musical über Aufstieg und Fall der Edith Piaf im Kleinen Theater: Susanne Tremper inszeniert, spielt und singt - Der Abend gehört ihr

  Susanne Tremper:  Sie ist die Piaf.

Susanne Tremper: Sie ist die Piaf.

Foto: Friedhelm Schulz

Bad Godesberg. Geboren in einem Hauseingang, gefüttert mit einer Rotwein-Nuckelflasche, aufgewachsen in einem Bordell und auf der Straße, die einzige Tochter durch Hirnhautentzündung verloren. Wer kann so viel Leid aushalten? Edith Gassion kann es für eine Weile, schafft als Edith Piaf mit Talent und Leidenschaft sogar den Aufstieg zur höchstbezahlten Sängerin ihrer Zeit, bevor sie im Alter von erst 47 Jahren den Kampf gegen Krankheit, Drogensucht und Verzweiflung aufgibt. Pam Gems schildert den Aufstieg und Fall der Piaf in einem knapp dreistündigen Musical, das jetzt im Kleinen Theater Bad Godesberg Premiere feierte.

Der Erfolg eines solchen Unterfangens steht und fällt mit seiner Hauptdarstellerin - und die ist allererste Wahl: Susanne Tremper inszeniert, spielt und singt die "Piaf", und der Abend gehört ihr. Dass er nicht scheitern würde, war klar: Tremper ist schon in ihrer Zeit am Bonner Schauspiel für ihre Darstellung der Chansonsängerin mit der Offenbach-Medaille ausgezeichnet worden.

Aber hohe Erwartungen sind dazu da, übertroffen zu werden, und wenn am Ende eine gebeugte, verbrauchte Frau im kleinen Schwarzen auf die Bühne schlurft und "Non, je ne regrette rien" anstimmt, sind die Grenzen zwischen Schein und Sein längst aufgehoben: Susanne Tremper ist Edith Piaf, in jeder Sekunde der Aufführung. Da steht sie, die wahrhaftig nicht auf Rosen Gebettete, und besingt "La Vie en Rose", erzählt die melancholische Geschichte des "Accordéoniste" und fordert "Milord" auf, sich zu ihr zu setzen (ein Jammer, dass kein einziger Chansontext im Programm abgedruckt ist).

Die kleinen weißen Hände flattern, flehen, sprechen; die Stimme schwingt in dunklem Bronzeton, lockt, schluchzt, schneidet und schmeichelt. Selbst wenn die sorgsam einstudierte Mimik, Gestik und Haltung keine exakte Kopie des Originals darstellt, selbst wenn der rauchige Diseusen-Alt doch ein wenig anders moduliert ist - die Essenz der Piaf steht an diesem Abend auf der Bühne.

Mit allen Widersprüchen: Naivität und Bauernschläue, Großzügigkeit und Grobheit, Treue und Launenhaftigkeit, Lachen und Weinen - das Federkleid des Spatzes von Paris schillert in allen Farben und duldet doch noch andere Paradiesvögel neben sich. Dorina Pascu zum Beispiel, die als Ediths Freundin aus schlechten Tagen brilliert und als Marlene Dietrich, Freundin in besseren Tagen. Oder Leo Braune, dem man den jungen Yves Montand genauso abnimmt wie den verklemmten Chansondichter oder Morphium-Dealer.

Dass sich die gut aufgelegten männlichen Darsteller in so vielen unterschiedlichen Rollen profilieren können, liegt am Liebhaber-Verschleiß der Piaf: Obwohl das Musical aus Platzgründen schon die Hälfte der Verflossenen verschweigt, gerät die Inszenierung streckenweise zur Nummernrevue: Tod oder Abgang eines Geliebten, Auftritt des nächsten. Da bleibt kaum Zeit für emotionale Ursachenforschung, und das ist schade. Um so länger dehnen sich die letzten Szenen vor dem Ende. Kleine Schönheitsfehler, die keinen Einfluss auf das Gesamturteil haben: uneingeschränkt empfehlenswert.

Karten unter Telefon (02 28) 36 28 39.

(Kritik aus dem General-Anzeiger)

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