40. GA-Wandertag Mit einer Krimiautorin durchs Siebengebirge

Königswinter · „Ich sehe eine Stelle und kann mir dort gut eine Leiche vorstellen“, sagt Judith Merchant. Und da wird die Autorin, die ihre Krimi-Schauplätze auch gern in die Region verlegt, vom Siebengebirge nicht enttäuscht, wie sie auf der Zehn-Kilometer-Strecke des 40. GA-Wandertages feststellt.

 Inspiration in den Weinbergen: Autorin Judith Merchant legt eine Pause ein und liest in „Rapunzelgrab“.

Inspiration in den Weinbergen: Autorin Judith Merchant legt eine Pause ein und liest in „Rapunzelgrab“.

Foto: Katrin Janßen

Schön hier, oder? Judith Merchant zieht unbewusst ein bisschen die Nase kraus. Ja, natürlich. Malerisch liegen die Oberdollendorfer Weinberge vor ihr, ziehen sich sanft den Hang hinauf, unten leuchtet der Rhein. Dann kommt es: „Aber“... Das Aber zieht sich ewig. Die strahlend grünen Augen unter den markant leuchtend roten Haaren verengen sich.

Der Zwiespalt zwischen dem, was sie wirklich empfindet, und einer gewissen Höflichkeit ist ihr anzumerken. „Ich bin kein typischer Tourist“, sagt sie schließlich. „Nur schön, das reicht mir nicht. Das ist“, ein leichtes Zögern, „langweilig.“ Damit eine Region sie anspreche, sagt die Krimiautorin, müsse sie gefährlich sein, „meine Fantasie anregen“. Glücklicherweise entspricht das Siebengebirge ihren Anforderungen.

Aufgewachsen ist die Autorin in Sankt Augustin. „Das ist wandertechnisch ein bisschen enttäuschend“, sagt sie trocken. Ohne Bedauern. Daher sei sie mit ihren Eltern und Geschwistern vor allem im Siebengebirge unterwegs gewesen. „Gezwungenermaßen“, wie sie unumwunden zugibt. Ihren eigenen Kindern, vier und elf Jahre alt, macht sie die Spaziergänge durch die Natur daher anders schmackhaft. „Wir reden nicht von einer 'Wanderung'.“ Denn das geht gar nicht. Stattdessen werden Drachen gesucht oder Brombeeren, Holunder, oder was gerade reif ist, gesammelt. „Bei uns würde es wohl auch nicht Wandertag, sondern Drachentag heißen“, sagt sie und schmunzelt ein bisschen.

Ihr Lieblingsort ist das Mühlental

Wenn man Merchant nach ihrem Lieblingsort im Siebengebirge fragt, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Das Mühlental.“ Ein Teilstück der Zehn-Kilometer-Wanderung, zwischen Kloster Heisterbach und den Weinbergen von Oberdollendorf. Besonders schätzt sie die Strecke im Frühjahr, wenn die Buschwindröschen blühen. Was ist es, was die Autorin Merchant am Siebengebirge fasziniert? „Es ist abwechslungsreich, es gibt Ruinen, die noch ein bisschen atmen.“

Rheinromantik, der Mönch von Heisterbach, die Nibelungen, „das alles wabert noch über der Region. Ich mag Orte, wo etwas passiert ist, oder wo man sich vorstellen kann, dass etwas passiert ist“, sagt sie und schiebt die Sonnenbrille unbewusst etwas höher in die Haare. Dass sie in einem Ort einen Tatort sieht, das kommt ganz von selbst, fast automatisch. „Ich sehe eine Stelle und kann mir dort gut eine Leiche vorstellen.“

Das ist sozusagen der einfache Teil. Sie hat dann einen Tatort. Und sie hat eine vage Grundidee für die Geschichte, ein Überthema, wie die Nibelungen in ihrem ersten Roman. Was dann folgt, ist der harte Teil der Arbeit einer Autorin. „Gott, dauert das“, bricht es aus Merchant heraus. Eineinhalb Jahre sitzt sie dann schon mal an dem Buch. Was sie treibt, ist der Abgabetermin. So simpel wie unromantisch.

Die Figuren hat sie ständig im Kopf

Sie selbst spüre keine Ungeduld, dass der Roman fertig wird. Eher eine unendliche Müdigkeit, weil es nicht weitergeht. „Beim ersten Mal war das alles noch aufregend“, erzählt sie. „Da fragt man sich: Schaffe ich das? Bekomme ich das zu Ende?“ Mittlerweile hat sie diese Frage schon mehrfach beantwortet, was die Sache nicht einfacher macht. 400 Seiten, „das sind viel Holz“, gibt sie zu. Aber etwas anderes zu machen, kann sie sich nicht vorstellen. „Die Figuren sind immer in meinem Kopf.“

Ist es nicht anstrengend, diese vielen Gestalten ständig und überall bei sich zu haben? Merchant überlegt einen Moment, dann schüttelt sie den Kopf. „Nein, ich glaube, ohne meine Figuren wäre ich sehr einsam.“ Bevor sie sich von ihren Romangestalten trennt, müsste einiges passieren.

Autorin zu sein, ist harte Arbeit. Sie beinhaltet bei Merchant sogar einen geregelten Arbeitstag. „Um neun Uhr gehe ich aus dem Haus.“ Nicht, dass es darauf ankäme, wo Judith Merchant schreibt. Aber Ablenkung ist ihr größter Feind. „Das kann zu Hause am Schreibtisch schnell passieren.“ Also „wandert“ sie zu ihrem jeweiligen „Schreibcafé“. „Ich achte darauf, dass es weit genug von zu Hause entfernt liegt.“ Denn: „Beim Gehen sortieren sich die Gedanken.“

Der jüngste Roman wird zum Theaterstück

Sie braucht diese Wechsel. „Man ist der Dompteur der eigenen Gedanken, man muss sich alleine disziplinieren.“ Und Merchant wechselt nicht nur den Ort, sondern auch das Medium. Da gibt es den Notizblock, in dem sie handschriftlich ihre Ideen festhält, und den Laptop, auf dem sie schreibt. „Geht das eine nicht, wechsele ich zum anderen.“

Inzwischen steht fest, dass ihr jüngster Roman auch in ein Theaterstück umgesetzt und im Kleinen Theater in Bad Godesberg aufgeführt wird, ein Projekt, auf das sie sehr stolz ist. Zwischen den Romanen gönnt sie sich eine Auszeit, meist schreibt sie Kurzgeschichten und ist auf Lesereisen unterwegs. „Da kann es schon sein, dass man irgendwann merkt, dass man nicht genug an dem Roman gearbeitet hat.“ Dann wird es Zeit für eine Wanderung durch das Siebengebirge. Und neue Tatorte.

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