Wellengang und Römernixen Im Bonner Römerbad findet die Nachbarschaft ein zweites Zuhause

BONN · Als erstes riecht man es. Auf einem Parkplatz stehend, der auch zu einem x-beliebigen Büropalast gehören könnte, sagt ein feiner, aber nicht wegzudrängender Chlorgeruch der Nase sofort, wo man ist: Freibad.

Und da sind sie schon, die Menschen zum Ort: In Flipflops schlappen sie heran, warten mit von Sonnenmilch glänzenden Gesichtern in der Schlange am Eingang. Drinnen Kinderlachen, Frittenduft, das Auftitschen eines Balls, Blinzeln im Licht, das in drei Farben brennt: schwimmbeckenblau, betonweiß, rasengrün.

Es ist Donnerstagmittag, aber das heißt nicht viel. Ob Betrieb herrscht, bestimmt das Wetter, nicht die Zeit. Der Himmel ist blau und man sieht ihm an, dass er zumindest an diesem Tag nicht vorhat, die Farbe zu wechseln. Ralf Grimmling blickt sich um: "So um die 800", schätzt der 46-jährige Badleiter, tummeln sich derzeit hier. Wenn die Sonne tut, was ein Freibad von ihr will, dann kommt das Römerbad im Schnitt auf 2500 Gäste pro Tag. Über den Tag verteilt können es fast dreimal so viele werden: "Bis zu 7000 Menschen haben wir hier schon an einem Tag gehabt."

Es gibt dieses Bild vom Freibad-Chef, der seine Arbeitstage in weißen Shorts verbringt, schon im Mai eine schön braune Nase hat und den ganzen Tag auf einem Segeltuchstuhl, noch besser: auf einem Aussichtsturm, sitzt und Frauen in Bikinis anguckt. Die Wahrheit ist: Grimmling hat keine Zeit, braun zu werden. Eher wird er rot vom vielen Hin- und Herrennen. Sein Team, das sind im Schnitt fünf Menschen, die im Schichtdienst von morgens um sechs bis abends um acht im Bad sind.

Ihre Aufgaben: Aufsicht, Reinigung, Technik, Kasse, erste Hilfe - und der ganze Rest, zusammengefasst in der Formel "Irgendwas ist immer". Da ist zum einen das Bad selbst: "Putzen, Rosen stutzen, Hecken schneiden, Rasen mähen, Elektrik überprüfen ..." Und dann die Menschen: "Schlüssel verloren, Portemonnaie gestohlen, Kind verschwunden, Ball verschwunden, Streitereien ..." Wenn's ganz arg wird, wenn ein schlimmer Unfall passiert, auch dann sind Grimmling und Co. im Einsatz: "Jeder von uns hat eine spezielle Ausbildung, um als Ersthelfer zu fungieren, bis der Rettungswagen kommt."

Bürokratisch genau ist Grimmling "Bereichsleiter Nord". Und damit ist er Badleiter hoch zwei: zuständig für beide Bäder im Bonner Norden, das Frankenbad und das Römerbad. Ist das eine zu, macht das andere auf. Der Wechsel dauert zum Sommer hin vier bis sechs, zum Winter hin bis zu acht Wochen: Auswinterung nennt sich die Phase, in der Grimmling und sein Team erst das Frankenbad technisch in den Sommerschlaf versetzen und dann das Römerbad aus dem Winterschlaf aufwecken.

Umgekehrt kommt der Rhein ins Spiel: "Bei der Einwinterung machen wir das Römerbad hochwassersicher. Dazu werden Pumpen in die Schächte der Becken gesetzt." 1993, als der Rhein sich auf zehn Meter dreizehn hoch reckte, gab es die Pumpen noch nicht. "Da stand die ganze Beckenplatte unter Wasser."

Am Wasser im Wasser: So war das immer hier. Ganz früher wuschen sich römische Honoratioren in schicken Badehäusern den Staub der wachsenden Stadt von den Beinen. Seit 1939 gibt es das Römerbad, "damals bestand es aus einem großen Becken, das in Nichtschwimmer-, Schwimmer- und Sprungbecken geteilt war", erzählt Grimmling.

1974 entstand dann das Bad von heute: vier Becken, darunter das eine, das das Römerbad besonders macht: das Wellenbad. Mag sein, dass der geografische Verwandte des Römerbads, das Rüngsdorfer Freibad, den schöneren Rheinblick hat - "Die sehen direkt auf den Drachenfels", sagt Grimmling und guckt ein bisschen verlegen auf die Nordbrücke. Aber ein Wellen-Freibad, das gibt's in der ganzen weiten Region nur hier.

Grimmling betrachtet das Bild seines Bades. "Hier ist das alte Kinder-Planschbecken", sagt er und zeigt auf die Nummer 8. "Im Moment ist da ein Sandkasten." Und zwar seit drei Jahren. 2014 soll das neue Planschbecken fertig sein. Allerdings soll es nicht am alten Platz gebaut werden, sondern südlich des Nichtschwimmerbeckens.

Und dann gibt es da noch die Römernixen, die quasi zum Inventar gehören. Nicht römische Statuen, sondern rheinische Frohnaturen sind gemeint: "Ältere Damen aus der Nachbarschaft", sagt Grimmling. Schon als sie noch jung waren, waren sie hier. "Und als ich 1990 anfing, hatten sie bereits ihren Stammplatz im Bad."

Mit eigenen Stühlen, die längst nicht mehr nach Hause getragen werden - warum, sie werden ja morgen schon wieder gebraucht. "Gut über achtzig" seien die Damen jetzt. "Manche wohnen noch in der eigenen Wohnung, andere mittlerweile im Seniorenheim, natürlich in dem nebenan. "Sie spielen Rommé", sagt Grimmling. Er kennt sie gut.

Und die Herren, die immer zum Fußballspielen in "sein" Bad kommen, die kennt er auch. "Für die öffnen wir auch im Winter, damit sie an ihren Bolzplatz kommen."

Die Besitzerin der Lautsprecherstimme, die verloren gegangene Kinder ausruft, spricht akzentfrei türkische, iranische, spanische Namen aus: Das Römerbad kennt viele Sprachen. Sie alle zusammen bilden das typische "Unter uns" des Bonner Nordens, das sich im Namen des Kiosk-Betreibers trifft, der Herr Voigt heißt und mit Vornamen Enrico. Auch Grimmling gehört dazu, nicht erst, seit er Badleiter ist: Er ist "gebürtig aus der Adolfstraße".

Ging in die Marienschule und danach ins Frankenbad, das vom Freund seines Vaters geleitet wurde: "Das war mein Spielplatz." Dort lernte er schwimmen, schwamm im Verein, 1:16 auf 100 Metern Rücken war seine schnellste Zeit. "Ich wollte immer Badleiter werden, und zwar hier", sagt er. Manche Geschichten werden rund.

Sein Schönstes im Bad? "Morgens, vor sechs Uhr, auf der Terrasse vor dem Büro sitzen und den Sonnenaufgang überm Rhein angucken." Jeden Dienst-Tag. Jetzt wird man - verlorene Schlüssel hin, streitende Badehosenträger her - doch neidisch.

Römerbad in Bonn, Eduard-Spoelgen-Straße 11, geöffnet Mo-Fr 6.30-20 Uhr, Sa/So/Feiertag 9.30-20 Uhr, Eintritt Erwachsene 4 Euro, Kinder/Jugendliche 2,50 Euro

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