Bonn - von Bonnern empfohlen Ein Ausflug auf Empfehlung von spontan befragten Einwohnern

Bonn · Eine Stadt erkunden ohne Reiseführer und Stadtplan? Das funktioniert, indem man die Einwohner fragt. Wer auf sie vertraut, erlebt eine Reise der persönlichen Art.

Auf der anderen Seite des Fensters rauschen Häuser, Felder und Autos vorbei. Mein Blick ruht in der Ferne, auf den Türmen des Kölner Doms. Langsam scheinen sie über den Horizont zu wandern, während der Zug eine langgestreckte Kurve fährt, dann sind sie verschwunden. Ich sitze im Regio Richtung Bonn, will mir heute die ehemalige Hauptstadt anschauen. Ohne Reiseführer, ohne Karte, ohne Plan. Die Bonner sollen für mich entscheiden, was sehenswert ist.

Auf Gleis 3 des Hauptbahnhofs weist ein Schild den Weg zur Touristeninformation. Ich ignoriere es und wandere durch einen Tunnel, biege links ab, biege rechts ab, bis ich im Freien stehe. Vor mir liegt ein atriumartiger Platz, umringt von Häusern. Wie geht es weiter? Wen kann ich fragen? Ein paar Meter entfernt sitzt ein Mann auf den Stufen. Kurz geschorenes, graues Haar, fransiger Bart. Der passt.

"Du musst eine Stadt erlaufen, um sie kennenzulernen", sagt er, als ich ihn nach besonderen Orten frage. "Setz dich irgendwo hin und beobachte die Leute, so wie ich." Er erklärt mir, dass der Platz von allen nur "Bonner Loch" genannt werde. Ein Loch für diejenigen, die nirgends erwünscht seien. Der Ort steht bestimmt nicht im Reiseführer, denke ich. Der Bärtige und ich unterhalten uns einige Zeit, dann gibt er mir noch einen Tipp: den Münsterplatz. "Das ist wie im Freiluftkino", sagt er. "Aber da läuft ein anderer Film als hier."

Livemusik dröhnt über den Münsterplatz, Menschen drängen sich um Getränkestände, Kinder springen kreischend auf einer Hüpfburg herum: Die CDU feiert ein Familienfest. Ich sitze vor dem Beethoven-Denkmal auf dem Boden und beobachte. Hier läuft tatsächlich ein anderer Film, wesentlich lauter und anstrengender. Hier will ich nicht bleiben. Vor dem Münster spreche ich zwei Mädchen um die vierzehn an, eine von ihnen trägt eine löchrige Strumpfhose und einen Parka. Als ich ihnen die Frage stelle, was ich mir ihrer Meinung nach angucken sollte, reagieren beide irritiert, denken wohl, ich wolle sie anmachen. Dann antwortet die mit der Strumpfhose: "Wir hängen eigentlich immer im Hofgarten ab." Sie zeigt mit dem Finger die Straße lang. "Einfach da runterlaufen."

Der Hofgarten verschluckt die Geräusche der Stadt, außer dem Rauschen der Blätter ist nichts zu hören. Ich setze mich auf eine Bank, mache die Augen zu und nicke glatt ein. Als ich wieder aufwache, sitzt eine Frau neben mir: weiße Bluse, die dunkelbraunen Haare zu einem Knoten frisiert, randlose Brille. "Herrliches Wetter heute", sagt sie und lächelt. Wir kommen ins Gespräch und ihr fällt sofort ein Ort für mich ein: "Deutschlands letztes großes Art-Déco-Kino, das Metropol am Markt", sagt sie. "Da ist jetzt eine Buchhandlung drin, aber vom Saal ist noch viel zu sehen." Ich weiß zwar nicht, was ein Art-Déco-Kino ist, mache mich aber auf den Weg.

Die Wandbemalung in warmen Orange- und Gelbtönen, die aufwändig verzierte Decke - Art-Déco gefällt mir gut. Ein goldener Bühnenrahmen mit roten Samtvorhängen markiert, wo einst die Leinwand war. Doch anstatt der Filme sind hier jetzt Buchrücken zu sehen und die Filme laufen jetzt in den Köpfen der Menschen, die hier sitzen und lesen.

So wie bei dem alten Mann zwei Plätze neben mir. Langsam schiebt er einen Lesestein über die Seiten seines Buches. Als er merkt, dass ich ihn beobachte, spricht er mich an: "Früher habe ich hier viele Filme geguckt", erzählt er. "Jetzt komme ich noch her, um zu schmökern."

In dem blauen Samtsessel auf der Galerie sitzt man so bequem, dass ich am liebsten gar nicht mehr aufstehen möchte. Aber ich muss weiter und frage den Mann nach einem neuen Ziel. "Waren Sie schon beim World Conference Center?", fragt er. "Das ist so etwas wie der Berliner Flughafen Bonns, sollten Sie sich anschauen."

Im Bundesviertel ist es still. Ich stehe vor dem Bundestag a.D., der jetzt Teil des World Conference Center ist. Um mich herum Baustelle, von Weltkonferenzen ist hier nichts zu sehen. Während ich durch das Viertel schlendere, fühle ich mich wie in einem Freiluftmuseum. Die Straßen sind nach Charles de Gaulle benannt, nach Winston Churchill und Kurt Schumacher.

An der Theodor-Heuss-Allee steige ich in die Straßenbahn Richtung Hauptbahnhof. Ich muss an den Mann vom Bonner Loch denken. "Das Nummernschild BN steht für Berlin-Nebenstelle", hatte er gesagt. "Seit die Politik hier keine Rolle mehr spielt, ist Bonn eine Provinzstadt geworden." Mag sein, aber schlimm fand ich das nicht.

Von Köln nach Bonn: Studenten der Kölner Journalistenschule sind für den GA in Bonn und der Region unterwegs. In lockerer Folge stellen wir ihre Reportagen vor.

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