Oberbuchholz in Hennef Klein, aber fein

OBERBUCHHOLZ · Pfeilwurfreportage: Die Bewohner von Oberbuchholz in Hennef schätzen das ländliche Flair und die gute Nachbarschaft.

 Familie Bernards hat die ehemalige Scheune zu einem stattlichen Wohnhaus ausgebaut.

Familie Bernards hat die ehemalige Scheune zu einem stattlichen Wohnhaus ausgebaut.

Foto: Johanna Heinz

Gute Nachbarn, sagt Rosa Bernards, das sei das Wichtigste. Viel wichtiger als weit entfernte Geschwister. "Wen rufst du, wenn die Kuh kalbt oder der Mann krank ist?" Die 87-Jährige sitzt in der Küche. Hinter den schlichten weißen Schränken und den frisch gestrichenen Wänden versteckt sich das Gemäuer eines alten Bauernhofs. Das Bügeleisen steht einsatzbereit auf dem Tisch.

Rosa Bernards hat einen Großteil ihres Lebens in Oberbuchholz verbracht. Und ihr gesamtes Leben lang hart gearbeitet. Mit ihrem Mann, der nun schon rund 20 Jahre tot ist, hat sie den kleinen Hof bewirtschaftet, bis in die 70er Jahre hinein, ein paar Hektar Felder, ein Dutzend Kühe. "Das würde sich heute nicht mehr lohnen."

Heute sind ihr nur ein großer Gemüsegarten, ein paar Obst- und Nussbäume, Enten und Hühner geblieben. Und wenn das Wetter ein Arbeiten draußen nicht zulässt, kann ja noch Marmelade gekocht, Gemüse eingelegt, Kuchen gebacken, Wäsche gebügelt werden. Denn "die schöne Erfahrung der Arbeit", tagein tagaus, die möchte Rosa Bernards nicht missen.

Wenn sie doch einmal eine Verschnaufpause braucht, schaut sie von der Arbeit auf. Und dann kommt bestimmt einer dieser guten Nachbarn vorbei und hält mit ihr ein Schwätzchen. Viele Anrainer hat die alte Frau mit dem kurzen silbergrauen Haar allerdings nicht. Drei Straßen, fünf versprengte Häuser, rund 20 Bewohner: Das ist Oberbuchholz. Ein kleiner Weiler im Hennefer Südwesten, direkt an der Grenze zu Königswinter, zwischen Pleiser Hügelland und Hanfbachtal.

Nicht wahrscheinlich also, den kleinen Ort auf einer Karte von Bonn und der gesamten Region zu treffen. Aber der Dartpfeil landete genau auf dem Schriftzug. Oberbuchholz, nie gehört. Das macht neugierig, also wird vorher im Internet gespinkst. Viele Spuren hat der Ort bislang nicht im weltweiten Netz hinterlassen. 1910 gab es in Oberbuchholz vier Haushalte, heißt es in einem knappen Wikipedia-Eintrag. "Oberbuchholz? Wo soll das genau sein?", fragte der Mitarbeiter der städtischen Pressestelle in Hennef. Mit Informationen könne er da gar nicht weiterhelfen.

Warum der Pfeil denn nicht auf Kurscheid gelandet sei, wollte Klaus Czaika, Vorsitzender des Bürgervereins Westerhausen und Umgebung, wissen. "Da findet am Sonntag unser Waldfest statt." Ob ihm jemand einfalle, der etwas zu Oberbuchholz erzählen könne? "Da fallen mir nur die Bewohner von Oberbuchholz ein."

Immerhin: Wer aus Hennef über die Landesstraße 331 kommt, dem weist eine schmale, schwarz-weiße Hinweistafel den Weg. "Oberbuchholz" steht dort geschrieben, kurz vor Westerhausen, wo die Straße "Eichfeld" sich rechts in die Felder schlägt. Hans-Peter Bernards gräbt im Gemüsegarten Kartoffeln aus. Es ist ein früher Freitagnachmittag. Die Sommersonne brennt vom Himmel herab. Dort, wo sich der Maschendraht als Tor zum Garten öffnen lässt, wird der Besucher von drei schnatternden Laufenten begrüßt. "Zu Oberbuchholz gibt es nicht viel zu erzählen", sagt er.

Und Bernards muss es wissen, schließlich hat er die gesamten 55 Jahre seines Lebens hier verbracht. Er arbeitet als Angestellter in Sankt Augustin, genau wie seine Frau Monika. Die ehemalige Scheune des elterlichen Bauernhofes haben sie sich zu einem stattlichen Fachwerkhaus ausgebaut. "Hier zu leben, das ist einfach der optimale Ort - vorausgesetzt natürlich, du hast ein Auto. Es ist ländlich, es ist grün. Aber du bist trotzdem schnell in Hennef, Sankt Augustin oder Bonn."

Nebenan, im alten Bauernhaus, lebt Mutter Rosa Bernards. Das Foto eines mit roter Soße beschmierten Babys steht auf der Kommode. Urenkel Mika ist acht Monate alt. "Ich habe vier Ärzte in der Familie", erzählt sie. Ihre Heimat, das sei der Odenwald. Nahe dem Taubertal, Königheim genauer gesagt.

Mit 25 Jahren kam sie Anfang der 1950er Jahre nach Söven, einem Nachbarort von Oberbuchholz, um ihre totkranke Tante zu pflegen, einen harten Winter lang, bis die Tante starb.

Dann lernte sie ihren späteren Mann kennen. Der kam vorbei, als sie im Garten zugange war. "Er hat gleich gesehen: Die kann arbeiten", sagt sie. Schließlich hatte sie schon den elterlichen Bauernhof gemeinsam mit den Schwestern bewirtschaftet - der Vater aus dem Ersten Weltkrieg versehrt, die Brüder im Zweiten an der Front. Und eine solche Frau konnte der 14 Jahre ältere Mann gut gebrauchen, schließlich hatten seine Eltern um 1913 den kleinen Bauernhof in Oberbuchholz gekauft. "Und meine Schwiegermutter war eine Hübsche, damals", wirft Monika Bernards ein. Sei sie schließlich immer noch, fügt sie an. "Drinnen nagen die Würmer, aber die Fassade hält", sagt Rosa Bernards und schmunzelt.

Eine der Nachbarinnen, mit der Rosa Bernards so gerne ein Schwätzchen hält, ist Ursula Langen. Die 72 Jahre alte Frau lebt mit ihrem Mann seit 13 Jahren direkt nebenan. "Wir wohnten davor in Kurscheid und haben einfach den Postboten gefragt, ob er weiß, wo in der Nähe etwas frei ist." Von dem Fachwerkhäuschen, das einst dort stand, ist nichts mehr zu sehen. "Da ist nur ein Überrest im Fundament." Darauf steht nun ein Einfamilienhaus, die Außenwände wie Vanilleeis, darüber ein schwarzes Dach.

Sie genieße vor allem, dass im Garten den ganzen Tag Sonne sei, sagt Langen. Und den Blick auf den Falkenhorst - einen hohen Turm aus Beton, baufällig und von Moos bewachsen, der zum dritten und größten Hof gehört. Auch der ist inzwischen stillgelegt. Sie beobachtet die Greifvögel beim Fliegen. Im Schuppen trocknen Kräuter, die ihr Mann, ein Koch im Ruhestand, im Garten und in den Wiesen und Feldern gesammelt hat. In Oberbuchholz zu wohnen, das nennt sie "Friede, Freude, Eierkuchen".

Wir sind wie die Nomaden den Pferden hinterhergezogen", sagt Helmut Finger. Gemeint sind der gescheckte argentinische Criollo Bonito und der reinrassige Araber Garant. Die beiden Hengste im stattlichen Alter von 30 und 27 Jahren stehen auf einer Weide hinter dem Hof der Bernards. Finger, ein Mann von 68 Jahren, mit grauem Zopf, Vollbart und sanftem rheinischen Singsang in der Stimme hat ihnen dort Boxen gebaut. "Wir wollen ihnen selbst das Gnadenbrot geben." Und als Fingers hörten, dass in Oberbuchholz ein Haus frei wird, nutzten sie die Gelegenheit, ganz nah bei ihren Pferden zu sein.

Die Fingers leben im vordersten Teil des Ortes, direkt an der Landesstraße. Die Nachkommen der ehemaligen Besitzer haben den Hof in eine Reihe von Wohnhäusern umgebaut, die sie vermieten. Bis zu seinem Ruhestand vor einigen Jahren hat Finger mit seinem Kompagnon in Beuel den Imbiss Karl an der Hans-Böckler-Straße betrieben. "Wir haben auch eine Zeit lang in Beuel gewohnt, aber das hat uns nicht gefallen", sagt seine Frau Lore. Zumal zum Haushalt nicht nur die Pferde gehören, sondern drei Zwergkaninchen, fünf Laufenten, eine Katze, zwei Hunde, ein Großsittich, Wellensittiche und Kanarienvögel. "Wir wohnen nur zur Miete und haben so einen Streichelzoo. Wo können Sie das schon?"

Hier, wo die schmale asphaltierte Straße auf die L331 trifft, joggt eine junge Frau vorbei. "Haben Sie sich die wunderschönen Gärten angeschaut? Die mit dem Gemüse und den bunten Blumen, um die sich die alten Damen in Oberbuchholz so rührend kümmern?" Sie lebe zwar in Westerhausen, sagt sie, aber wenn sie in den Feldern laufen gehe, halte sie gerne an den ehemaligen Oberbuchholzer Höfen an, um ein Schwätzchen zu halten.

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