Kloster Gut Schillingscapellen Der Ritter und die Madonna

SWISTTAL-DÜNSTEKOVEN · Wer sich auf die Spur der "Rosa Mystica" macht, muss im ehemaligen Dünstekovener Kloster Gut Schillingscapellen beginnen.

 Gut erkennbar ist der zugemauerte Kreuzgang, der das Erdgeschoss des Hauptgebäudes bildet.

Gut erkennbar ist der zugemauerte Kreuzgang, der das Erdgeschoss des Hauptgebäudes bildet.

Foto: Roland Kohls

Was für eine Frage. Selbstverständlich gibt es Geister im ehemaligen Dünstekovener Kloster Gut Schillingscapellen. So wie es sich für ein ordentliches, mittelalterliches Gemäuer gehört. Antonius Freiherr von Boeselager - blau-weiß gestreiftes Hemd, grau-braun karierter Zweireiher mit Einstecktuch, rote Hose, Lederschuhe - sitzt auf einer geschwungenen weiß-gusseisernen Bank im früheren Klosterhof und lächelt vielsagend. Noch ziemlich gut kann sich der in Schillingscapellen ins Nachkriegsjahr 1947 hinein Geborene daran erinnern, was ihm seine Mutter und verschiedene Gutsmitarbeiter als Kind immer wieder erzählten: "dass es hier spukt und dass sie gehört hätten, wie nachts ein Glöckchen geläutet habe".

Irgendwann fand das heutige Familienoberhaupt der Boeselagers, zu deren Besitz auch die Burg Heimerzheim, die Burg Müggenhausen und das Gut Vershoven mit großer Landwirtschaft gehören, heraus, dass es sich bei den "Erscheinungen" um real existierende Junggesellen aus dem Ort handelte, die durch ihre Aktionen "bei den netten jungen Damen in Capellen Eindruck machen wollten". Seine 100 Jahre alte Mutter Sophie von Boeselager hingegen hält nach wie vor an ihrer Version fest. Doch wer kennt sich schon wirklich beim Thema Gespenster aus?

Geht es nach Antonius von Boeselager, spielten die Junggesellen mit dem Einsatz des Geister-Glöckchens auf die Gründungsgeschichte des Anwesens an, die nicht mehr und nicht weniger als ein Wunder daherkommt. Auch in dem Punkt wird der nach Mystischem suchende Besucher also nicht enttäuscht. So soll der Legende nach Ritter Wilhelm I. von Buschfeld, genannt Schilling, 1190 von seiner Bornheimer Wasserburg aus mit einem seiner Knechte zur Jagd ausgeritten sein, als er plötzlich in einem Wald bei Dünstekoven durch das Gebell seiner Hunde aufgeschreckt wurde. Dort erblickte der Ritter inmitten eines Heckenrosenstrauchs zwischen zwei brennenden Kerzen eine Marienfigur, über der ein Glöckchen hing. Ritter Wilhelm I. war zu jener Zeit wohl um die 50 und eine Art Beamter, der "schon in jungen Jahren in der erzbischöflichen Hofburg in Köln eine durch Vertrauen, Ansehen und Reichtum angesehene Persönlichkeit" war, wie es der Bornheimer Heimatforscher Norbert Zerlett beschreibt.

Der Adelige überlegte nicht lange. Er packte die Holzstatue und das Glöckchen ein und nahm beides mit in seine Hauskapelle. Als er später seine Andacht halten wollte, waren die Mitbringsel jedoch verschwunden. "Von einer inneren Unruhe getrieben", notiert Lokalhistoriker Rudolf Bölkow aus Heimerzheim, "fand er die vermissten Dinge unter demselben Rosenbusch wieder". Ein Zeichen Gottes, welches Ritter Wilhelm I. als Mensch seiner Zeit zu deuten wusste. Gemäß der im Mittelalter herrschenden Vorstellung, dass das irdische Dasein lediglich ein Übergangsstadium in ein besseres Leben im Jenseits war und man mit guten Werken sein Seelenheil erwirken konnte, ließ er am Fundort der Marienfigur zunächst eine Kapelle bauen. Mittendrin: die fortan als "Rosa Mystica", "geheimnisvolle Rose", verehrte Statue und die kleine Glocke im Dachreiter. Nach seiner Rückkehr vom Kreuzzug nach Jerusalem ersetzte der Ritter das Bauwerk 1193 durch eine Wallfahrtskirche und das nach ihm benannte Kloster Schillingscapellen. 1197 wurde das autarke Ensemble vollendet.

Zu dem Dorf im Dorf gehörten ein Wohn- und Konventsgebäude mit Kreuzgang, das Refektorium (Speisesaal), ein Gäste- und Gesindehaus, ein Back- und Brauhaus, eine Wassermühle, Fischteiche, ein Gemüse- und Obstgarten, ein Brunnen, eine Gärtnerei mit Kräutergarten und ein Friedhof. Unterstellt wurde das mit zahlreichen Reliquien ausgestattete Frauenstift der Prämonstratenser-Abtei im belgischen Floreffe, in das Aleid, die Frau von Ritter Wilhelm I., genauso wie die beiden Töchter Beatrix und Laetitia eintraten, während sich der Ritter selbst einem Leben als Einsiedler verschrieb. Der mehr als eindrucksvollen Gründungslegende sei Dank, konnte nun unter der Schirmherrschaft des Kölner Erzbischofs Adolf I. der Aufstieg Schillingscapellens zu einem bekannten Marien-Wallfahrtsort im Rheinland beginnen.

Doch erst einmal zurück zu Antonius von Boeselager und der Frage, wo sich denn der Standort des sagenumwobenen Heckenrosenstrauchs befindet, der einst die "Rosa Mystica" barg. Als Antwort umfasst der 67-jährige Freiherr mit weiter Geste den Klosterhof und weist über die heutige Hofzufahrt, wo einmal die Wallfahrtskirche ihren Platz hatte, hinaus bis weit nach links, wo sich schon Buschhoven erahnen lässt. "Suchen Sie sich etwas aus", sagt er. Da lässt man Legende lieber Legende sein und hält sich an das, was man greifen kann. Angefangen bei dem mit einem Walmdach versehenen Kanonikerhaus rechts hinter dem Tor zur früheren Klosteranlage, über die Überbleibsel des zum Wald hin gelegenen Hospitals für Kranke und Pilger bis hin zu der in Teilen erhaltenen Wallfahrtskirche mit der Altar-Rundung, der 2,50 Meter hohen Außenmauer und dem Chor, einer Empore, wo sich die Nonnen zum Beten und Singen versammelten und von oben auf die Gläubigen schauen konnten. Bleibt noch das aus Steinen der römischen Wasserleitung gebaute Ex-Konventsgebäude samt zugemauertem Kreuzgang als Erdgeschoss, das heute drei Wohnungen enthält - inklusive jener von Antonius von Boeselager und seiner Frau Ilka. Gut kann man noch im ersten Stock neben den großen, nach der Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts ins Mauerwerk gebrochenen Fenstern die kleinen Öffnungen der Nonnenzellen erkennen, die von Boeselager "extra nicht" hat verputzen lassen, um dem Gestern ein Gesicht zu geben.

Und spätestens beim Blick auf mehr als 800 Jahre Geschichte lässt sich erahnen, wie es hier einst zuging, als die Gläubigen auf dem Altar der Kirche die 60 Zentimeter große Holzmadonna sehen wollten, die später, umgeben von einem Kunstschmiedegitter, wohl nahe der nördlichen Tür am Chor der Klosterkirche stand. Dazu gehörten Pilger aus der Eifel, dem Vorgebirge und Bonn. Teilnehmer der rhein-maasländischen Römerfahrt, bei der die Wallfahrer in Anlehnung an die sieben Hauptkirchen Roms sieben Gnadenstätten in Aachen, Trier, Köln, Schillingscapellen, Gräfrath, Düsseldorf und Mönchengladbach aufsuchten. Jene, die sich an der seit 1349 alle sieben Jahre stattfindenden Heiligtumswallfahrt nach Aachen beteiligten. Und auch aus Ungarn kamen Pilger, die laut Norbert Zerlett bei Tambourinklängen mit tanzenden Bären und springenden Affen vor die Altäre der Wallfahrtskirche zogen. Sie alle trugen ihre Nöte vor und erbaten Hilfe. In manchen Jahren waren die Gruppen so groß, dass die Opfergaben 2000 bis 3000 Reichstaler betragen haben sollen.

Damit nicht genug, feierten am Sonntag vor dem Geburtsfest von Johannes dem Täufer (24. Juni), der als Los- und Zahltag bei den Bauern galt, einige tausend Pilger das Fest "Maria Rosen". Vor der Wallfahrtskirche stand ein großer Rosenbaum, ähnlich einem Maibaum, den Tausende mit Draht angeknüpfte Rosen schmückten. Weiß gekleidete Mädchen schritten der "Rosa Mystica" voraus, die durch die Klosteranlagen und Felder getragen wurde. Pilger empfingen laut Zerlett "körbeweise geweihte Rosen" als Schutz vor Blitz, Unwetter, Krankheit und Seuchen. Zudem wurden Reliquien zur Schau gestellt wie das blutbefleckte, von 47 Stichen durchlöcherte Gewand des Kölner Erzbischofs Engelbert I. von Berg (1185/86-1225), und an der Klosterpforte konnten die Pilger Wallfahrtskerzen und Rosenöl kaufen.

Das Ende all dieser Herrlichkeit zeichnet sich 1794 mit dem Einmarsch der französischen Revolutionstruppen ins Rheinland und endgültig 1802 mit der Säkularisierung ab, der staatlichen Einziehung und Nutzung kirchlicher Besitztümer gemäß des Konsularbeschlusses von Napoleon. Das Kloster wird aufgelöst. Nachdem sie zunächst verpachtet sind, werden die Klostergebäude 1804 an Michael von Bury verkauft, der Teile abreißen und den Kreuzgang zumauern lässt. 1828 wechselt das zu einem landwirtschaftlichen Besitz umgebaute Kloster an Graf Clemens von Kurzrock, einen Schwiegersohn der Burys, der das Ganze bereits ein Jahr später an Karl Freiherr von Boeselager weiterveräußert. Doch wohin gelangt die "Rosa Mystica"?

Während viele der Klosterschwestern zurück zu ihren Familien gegangen waren, hatte sich die letzte Äbtissin Maria Freiin von Storchinfeld mit ihrer Küchenmeisterin in Buschhoven niedergelassen, in Sichtweite des Klosters. Zusammen mit dem früheren Rektor des Stifts, Pfarrer Jodocus Limbach, sorgte sie dafür, dass die "Rosa Mystica" am Rosensonntag, 22. Juni 1806, feierlich in die Buschhovener Kirche überführt wurde. Den Beteiligten kam dabei entgegen, dass Schillingscapellen und Dünstekoven, die zuvor 600 Jahre zur Heimerzheimer Pfarrei gehört hatten, durch eine Umorganisation im Zuge der Säkularisierung 1803 der damals neuen Pfarrei Buschhoven zugeschlagen worden waren. Umso bitterer erschien es, dass Dünstekoven und Capellen bereits 1807 wieder der Pfarrei Heimerzheim einverleibt wurden. In der Folge entbrannte ein jahrelanger Streit um die "geraubte Madonna", die da blieb, wo sie nun war: in Buschhoven.

Ein dagegen eher unbeachtetes Schicksal erfuhr eine zweite Marienfigur, die sogenannte "Schillingscapeller Madonna", die wahrscheinlich im Kapitelsaal des Klosters stand. Sie wurde von der Äbtissin beim Pächter des benachbarten Hohner Hofes versteckt und gelangte 1938 ins Frankfurter Skulpturenmuseum Liebighaus. Experten datieren die Entstehung der Statue aus Nussbaumholz und Rotbuche auf die Zeit zwischen 1170 und 1180. Somit könnte sie die ältere Figur sein - und diejenige, die Ritter Wilhelm I. im Heckenrosenstrauch fand. Aber das ist eine andere Geschichte.

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