Unterwegs zu mystischen Orten Den Sagen des Siebengebirges auf der Spur

SIEBENGEBIRGE · Wenn man von Königswinter nach Ittenbach fährt, hat man spätestens nach ein oder zwei Kilometern das Gefühl, man durchquert einen langen, düsteren Tunnel, der sich den Berg hoch schlängelt - zumindest jetzt, kurz bevor die Sonne aufgeht.

 Immer noch Schauplatz vieler Sagen: Die Ruine der Löwenburg im Naturschutzgebiet Siebengebirge.

Immer noch Schauplatz vieler Sagen: Die Ruine der Löwenburg im Naturschutzgebiet Siebengebirge.

Foto: Marcel Dörsing

Es ist 5.05 Uhr, über mir ein müdes Dämmerlicht, links und rechts nur nachtschwarzer Wald. Erst oben auf der Margarethenhöhe angekommen scheint es, als habe ich das Ende des Tunnels erreicht. Hier stelle ich den Wagen ab und wandere los.

Wer einen mystischen Ort sucht, der wird schnell fündig im Siebengebirge. Eigentlich ist es ein einziger großer mystischer Ort, der die Menschen über die Jahrhunderte zu zahllosen Sagen, Legenden und Geschichten inspiriert hat.

Da ich generell ungerne etwas dem Zufall überlasse, habe ich mich am frühen Morgen aufgemacht, um die wohl mystischste Zeit für meine Expedition nutzen: die blaue Stunde. Zudem sollten gerade einmal zwei Stunden Schlaf (mehr blieb nach der nächtlichen WM-Übertragung nicht mehr übrig) dafür sorgen, dass meine Kanäle nun weit geöffnet sind für jede Art übersinnlicher Erscheinung.

Begrüßt wird mein Aufbruch in den Wald des Siebengebirges von unglaublichem Getöse - das laute Gezwitscher der frühen Vögel, die sich wohl bereits auf den sicheren Wurm freuen. Zudem werden meine Schritte durch ein ständiges Huschen und Rascheln im Unterholz begleitet. Mein Weg zur Löwenburg, dem ersten Ziel der Wanderung, führt zunächst auf asphaltierter Straße vorbei an der Waldwirtschaft Löwenburger Hof.

Noch hängt ein weißer Dunst über den Streuobstwiesen, die sich von hier oben den Hang hinunter ziehen. Mir schießt die Sage von der Dame im seidenen Kleid ins Gedächtnis. Man solle sie hören können, wie sie von der Löwenburg kommend, rauschend eben wie eine Dame im seidenen Kleid, im Feld verschwindet. Vorsichtshalber lausche ich.

Als ich auf der Löwenburg ankomme, habe ich meine Fleecejacke bereits im Rucksack verstaut. Die Sonne hat es über den Horizont geschafft und taucht die alten Mauern in warmes goldenes Licht. Vom Gipfel des Hügels, wo sich einst die Hauptburg befand, bietet sich mir eine umwerfende Aussicht über den Rhein. Ringsherum: der Drachenfels, der Petersberg und die vielen anderen Kuppen, die von hier wirken, als seien sie einfach in die flache Landschaft hineingestellt wie Hütchen auf einem gewaltigen Brettspiel.

Es wundert mich gar nicht mehr, dass sich Menschen zu der Entstehung dieser Berge einst die Sage erzählten, dass Riesen das Siebengebirge erschufen, als sie Dreck und Gestein von ihren Spaten abklopften. Unter einem einsamen Ahornbaum, in der Mitte des ehemaligen Westteils der Burg, frühstücke ich erst einmal. Seit dem 16. Jahrhundert ist das Gemäuer im Zuge von Kriegszerstörungen nach und nach zur Ruine zerfallen. Anfänglich diente es Heinrich II., dem Grafen von Sayn, als Grenzveste. In weiten Teilen sind heute nur noch die Grundmauern zu sehen. Doch ein alter Torbogen, der den Jahrhunderten trotzte, und der Stumpf des ehemaligen Wehrturmes genügen, damit mir die Frage nicht mehr aus dem Kopf geht, wie das Leben im Mittelalter hier oben wohl ausgesehen haben mag.

Hexenhäuschen im Wald

Gestärkt mache ich mich zum nächsten Etappenziel auf: das Milchhäuschen. Dazu führt mein Weg erst einmal hinunter ins Tal. Hinter dem Löwenburger Hof biege ich links ab in Richtung Rhöndorf. Über eine kurze Lichtung geht es auf einem schmalen Weg wieder hinein in den Wald.

Die Sonne blinzelt so gerade über die Kuppe des Berges und lässt nun hier auf der Westseite die Blätter der Bäume leuchten. So früh durch den Wald zu spazieren, ist ein bisschen wie durch Neuschnee zu fahren. Die Luft ist klar und frisch, und es fühlt sich an, als hätten die Bäume den Sauerstoff in der Nacht alleine für mich produziert. Schwarze Schatten lassen die Rinde der alten Bäume wie dunkle Gesichter aussehen, die mich mit faltiger Stirn betrachten. Plötzlich ein Geräusch. Ein Knirschen oder eher Rasseln, jedenfalls nichts, was in diese Umgebung hineinpasst. Und es kommt näher.

Ich überlege, ob ich es irgendwie als den Klang eines seidenen Kleides verkaufen könnte - schwierig. In diesem Moment saust ein Junge auf einem Mountainbike um die Kurve. Es ist Montagmorgen, kurz nach sieben Uhr. Wenn das hier der tägliche Weg zur Schule des Jungen ist, ist er wirklich zu beneiden, denke ich so bei mir. Ich folge dem Wegweiser in Richtung Drachenfels. Nach einem erneuten kleinen Anstieg über einen schmalen Pfad entdecke ich nach einiger Zeit die Spitze eines Daches.

Bald erkenne ich, dass es zum Milchhäuschen gehört, das auch gut und gerne Hexenhäuschen heißen könnte wie es hier, mitten im Wald, umgeben von riesig hohen Bäumen, herumsteht. Es ist ein romantisches Plätzchen und nur zu gerne würde ich in diesem Wirtshaus Rast machen, wäre es um diese Zeit nicht noch geschlossen. Stattdessen geht es weiter über einen kleinen Weg, in Richtung Tal.

Ein unheimlicher Ort

Das Vogelgezwitscher vom frühen Morgen ist inzwischen verklungen, stattdessen liegt jetzt ein beharrliches Summen von fleißigen Insekten in der Luft. Es dauert nicht lange und ich stehe vor einem bunkerartigen Betonquader, dessen Dach knapp über die Erdoberfläche herausragt. Während ich das Teil näher betrachte, fällt mein Blick auf ein riesiges Felsloch: die Ofenkaulen.

"Drachenmaul" nannten Zwangsarbeiter den Eingang zu dem unterirdischen Stollensystem, in dem sie während des Zweiten Weltkrieges unter unmenschlichen Bedingen Flugzeugteile herstellen mussten - ein unheimlicher Ort. Genau hier versteckte sich 1962 der Raubmörder Dieter Freese, einer der meistgesuchten Verbrecher der Nachkriegszeit.

Ich bin froh, dass ich nach weiteren Minuten wieder auf die Zivilisation treffe. Es gilt, die Königswinterer Straße zu überqueren. Gar nicht so einfach, denn aus dem dunklen Tunnel ist mittlerweile eine Straße geworden, auf der emsiger Verkehr herrscht. Auf der anderen Seite geht es steil bergauf. Mir bricht der Schweiß aus. Wieder komme ich an einem Ausflugslokal vorbei. Statt Kaffee würde ich jetzt ein kühles Getränk vorziehen, doch auch das Einkehrhaus Waidmannsruh wird wohl erst in einigen Stunden seinen Biergarten öffnen.

Pause auf Burg Rosenau

Ich freue mich auf eine Pause, als ich endlich die Burg Rosenau erreiche. Und das grasbewachsene Plateau oben auf der Ruine, von dem sich ein wunderbarer Blick ins Rheintal bietet, ist ein idealer Ort, um sich auszuruhen. Eine Jungfrau soll im Mittelalter verflucht worden sein, unter der Erde der Rosenau ihr Dasein zu fristen. Ihr Seufzen sei noch heute zu hören, behauptet eine Sage über diesen Ort.

Entstanden ist die Burg etwa zeitgleich zur Löwenburg, vermutlich zur Sicherung des Erzbistums Köln gegen jenen Grafen von Sayn. Bereits Mitte des 13. Jahrhunderts wurde sie allerdings zum Abbruch freigegeben. Auf dem letzten Stück meiner Wanderung entdecke ich immer wieder moosbewachsene Steinblöcke, die, so stelle ich mir vor, ein Zeugnis der mittelalterlichen Versuche sind, die Steine der Burg abzutransportieren.

Knapp vier Stunden nachdem ich aufgebrochen bin, komme ich wieder am Parkplatz an. Mehr als elf Kilometer habe ich zurückgelegt und es ist noch nicht einmal 10 Uhr. Zeit für ein zweites Frühstück und einen weiteren mystischen Ort: mein Bett.

Daten zur Wanderung

  • Länge der Strecke: 11,4 Kilometer
  • Dauer: drei bis vier Stunden (je nach Pausen)
  • Höhenmeter aufwärts: 459 Meter
  • Höhenmeter abwärts: 505 Meter
  • GPS-Koordinaten:
  • Parkplatz Margarethenhöhe (Ecke Löwenburgstraße): 50.676504, 7.248498
  • Ruine Löwenburg: 50.663925, 7.250236
  • Milchhäuschen: 50.671914, 7.222857
  • Ofenkaulen: 50.678000, 7.218372
  • Burgruine Rosenau: 50.683989, 7.230678
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