Zülpich Auf den Spuren eines römischen Besatzers im historischen Tolbiacum

ZÜLPICH · Wir springen in unserer Sommerserie zurück ins 3. Jahrhundert und begleiten einen römischen Gutsherren durch seinen Tag in Tolbiacum, dem heutigen Zülpich. Der Mann, nennen wir ihn Marcus, ist frei erfunden, könnte aber genauso gelebt haben. Seinen Spuren kann man noch heute folgen - für historisch Interessierte ein schönes Programm für einen spannenden Tagesausflug, der sich mit einem Besuch der Landesgartenschau verbinden lässt.

 Auf diesen Anblick musste Marcus wohl verzichten: Frauen und Männer benutzten die mit bunten Wanddekors verzierten römischen Bäder streng getrennt zu unterschiedlichen Zeiten. Das Bild ist in den rekonstruierten Thermen von Xanten entstanden.

Auf diesen Anblick musste Marcus wohl verzichten: Frauen und Männer benutzten die mit bunten Wanddekors verzierten römischen Bäder streng getrennt zu unterschiedlichen Zeiten. Das Bild ist in den rekonstruierten Thermen von Xanten entstanden.

Foto: LVR/Ingo Martell

Marcus erwacht mit den ersten Sonnenstrahlen und weiß sofort, dass es kein guter Tag wird. Er wäscht sich, wirft seine beste weiße Tunika über und geht auf nackten Füßen über die kühlen Steinplatten im zweiten Stock seiner Villa Rustica. Er stellt sich ans Fenster. Auf seinen Feldern wogt der Weizen; drei, vier Sklaven arbeiten schon in den Gemüsegärten.

Eigentlich müsste er ein glücklicher Mann sein. Ein Kriegsveteran aus Sizilien, als ehemaliger Zenturio mit einem Stück Land in der Nähe von Tolbiacum belohnt und inzwischen zu Wohlstand gekommen. Das Herrenhaus seines Landguts ist mit roten Ziegeln gedeckt, hat Fußbodenheizung, verglaste Fenster und fließendes Wasser aus einer eigenen Leitung, die von den Quellen bei Eicks kommt. Er ist schon 52, aber kerngesund, mit einem noch immer schwarzen Lockenkopf, einer Narbe über der Wange und wachen, kalten Soldatenaugen, die zu viel gesehen haben.

Seit Wochen plagen ihn Sorgen. Seine Frau Flavia geht ihm mit ihrem Hang zum Luxus auf die Nerven, mit all ihren Parfümfläschchen und der Bleiweiß-Schminke, die sie in Steinschälchen anrührt, ihren Handspiegeln mit Quecksilberbeschichtung und ihren gläsernen, zerbrechlichen Trinkgefäßen. Wenn sie ihn nach Tolbiacum begleitet, dauert die Vorbereitung Stunden. Zwei Dienerinnen müssen ihre Frisur mit dickem Germaninnenhaar kunstvoll aufpolstern. Zum Glück ist seine Tochter Nonnula ganz anders, ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen. Aber die Zwölfjährige liegt seit Tagen mit Fieber im Bett, das einfach nicht vergehen will.

Dazu noch diese beunruhigenden Nachrichten aus der ganzen Provinz Niedergermanien. Immer wieder stoßen die Barbaren von der anderen Rheinseite mit Booten über den Fluss und stören den römischen Frieden. Erst vor wenigen Tagen haben sie eine Villa Rustica in der Nähe von Köln gebrandschatzt. Und zu allem Übel erhöht der Provinzstatthalter schon wieder die Steuern. Immer öfter quält Marcus die Frage, was die Zukunft seiner Familie bringen wird.

Nach dem Frühstück bricht er nach Tolbiacum auf, das etwa fünf Kilometer entfernt liegt. Lucius, ein freigelassener Sklave, begleitet ihn mit einer Karre. Markus will auf dem Markt einkaufen, Oliven aus seiner Heimat und Rotwein aus Spanien, und sich danach in den Thermen mit einem Verwaltungsbeamten treffen. Nach kurzer Zeit kommen sie auf die mehrere Meter breite Straße, die im Süden nach Trier und im Norden nach Köln führt - eine der Pulsadern des Imperiums. Sie ist nicht gepflastert, aber mit einer Splittschicht befestigt und gewölbt angelegt, damit der Regen in die seitlichen Rinnen abfließen kann.

Ein Ochsenkarren mit Basaltquadern aus Mayen rumpelt nach Tolbiacum, Händler und reitende Boten sind unterwegs. Trotz der frühen Stunde brennt die Sonne bereits, was Marcus nicht stört. Er findet das Klima nördlich der Alpen sowieso zu kühl. Als alter Soldat trägt er einen Dolch bei sich, ist aber in diesen unsicheren Zeiten ganz froh, eine Streife der Straßenpolizei zu sehen. Die Männer sind wie Legionäre mit Helm, Harnisch, Schwert und Lanze ausgerüstet, zuständig für die öffentliche Sicherheit und den ordentlichen Zustand der Straßen. Am Wegesrand stehen in regelmäßigen Abständen Wachtürme der Polizei.

Kurz vor Tolbiacum passieren Marcus und Lucius einen übermannshohen Meilenstein. Bis zur Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) sind es 16 Leugen, steht auf dem weißen Kalkstein, etwa 35 Kilometer. Leugen sind ein keltisches Längenmaß, das die Römer nach der Eroberung der Provinz einfach übernommen haben, wie sie das öfter tun in besetzten Gebieten. Auch Marcus hat sich angepasst. Er huldigt wie die Einheimischen den Matronen, Göttinnen, die über Fruchtbarkeit und Ackerbau wachen. In Tolbiacum angekommen, stattet er deshalb zuerst dem Matronentempel einen Besuch ab.

Das Städtchen ist mehr ein Dorf; um die 1000 Einwohner, die in länglichen, ziegelgedeckten und hell verputzten Fachwerkhäusern leben. Mit der Giebelseite zeigen die Häuser zur Straße hin. Die Einkäufe auf dem Markt hat Marcus schnell erledigt, und für die Thermen ist es noch zu früh. Bis zur Mittagszeit bleibt das Bad den Frauen und Kindern vorbehalten. Die Frauen müssen aber höheren Eintritt zahlen als die Männer: ein As, was ungefähr dem Preis eines Glases Wein gleichkommt.

Der 52-Jährige schickt Lucius mit der Karre nach Hause und setzt sich in eine Taverne. Er isst gebratenes Fleisch und frisches Brot, das er genüsslich in Garum eintunkt, eine Würzsoße aus vergorenem Fisch, die von den Römern geliebt wird. "Hast du schon das Neueste aus Köln gehört?", fragt der Wirt, als er ihm einen Krug Wein auf den Tisch stellt, mit Honig gesüßt für den Geschmack und mit Wasser verdünnt gegen den Brummschädel. Es sind seltsame Gerüchte, von denen der Wirt da erzählt, von einer Sekte, die einen unbekannten Gott anbete. Diese Christen scheren sich offenbar nicht darum, dass die Obrigkeit ihre Religion mit Argwohn verfolgt. Marcus schüttelt den Kopf. Was für verrückte Zeiten.

In den Thermen herrscht Trubel. Männerstimmen, das Geklapper von Holzpantinen, das Geräusch von Wasser, das klatschend über nackte Rücken gegossen wird, die Rufe von Männern, die auf dem Innenhof Sport treiben. Der Gebäudekomplex ist außen und innen mit farbigem Dekor bemalt. Marcus legt im Apodyterium seine Kleider ab und verstaut sie in einer der Nischen, die in die Wand eingelassen sind. Er reinigt sich, indem er seinen Körper mit einem Gemisch aus Öl und Sand einreibt und dann alles mit einer Strigilis, einem Schaber, abstreift. Dann geht er ins Caldarium, den Heißbaderaum.

Die Sklaven haben die Feuerschächte in den Außenwänden ordentlich angeheizt. Marcus stellt sich vor, wie die heiße Luft sich im Hohlraum unter dem Steinplattenfußboden ausbreitet, der von kleinen Säulen getragen wird. Er weiß, dass sie auch durch die hohlen Ziegel der Seitenwände strömt. Es ist bis zu 50 Grad heiß im Caldarium. Man muss Holzschuhe tragen, um sich nicht die Fußsohlen zu versengen. Über die Jahrzehnte haben Abertausende Schuhpaare Schleifspuren in den Schwellenstein der Zugangstür gegraben. Marcus steigt in eine der beiden großen Wannen an den Wänden. Das Wasser, in einem Metallkessel auf 40 Grad erhitzt, wird durch Bleirohre in die Wannen geleitet.

Im nächsten Raum, dem Tepidarium, hält sich Marcus nicht lange auf. Das Tepidarium ist ebenfalls mit einer Fußbodenheizung ausgestattet, wird aber weniger stark aufgeheizt und bildet den Übergang zum Frigidarium, dem Kaltbaderaum. Dort sieht der Gutsherr jenen Mann auf einer steinernen Bank sitzen, mit dem er sich verabredet hat. Der Verwaltungsbeamte Titus ist splitterfasernackt wie Marcus selbst und lässt sich gerade von einem Bediensteten die Schultern massieren.

Beide begrüßen sich respektvoll, bevor Marcus ins Kaltbecken steigt, wo ihm für Sekundenbruchteile die Luft wegbleibt. Später trocknet er sich ab und reibt sich mit duftendem Salböl ein. Die beiden Männer bestellen Rotwein auf Marcus' Kosten, sie plaudern und spielen Tabula, ein Brettspiel, das dem späteren Backgammon ähnelt. Es verstreicht mehr als eine Stunde, bis Marcus zur Sache kommt. Wer in die Thermen geht, bringt Zeit mit; es ist ein Ort des geselligen Beisammenseins, des Nachrichtenaustauschs und der Geschäfte.

Als sich Marcus am Abend auf den Heimweg macht, weiß er, was er wissen wollte. Titus hat es ihm anvertraut. Die Steuern in der Provinz steigen nicht ohne Grund. Der Statthalter rechnet mit einem großen Raubzug der Barbaren, vielleicht sogar mit einem richtigen Krieg. So ernst ist die Situation, dass Tolbiacum, wo sich wichtige Fernstraßen kreuzen, mit einer Stadtmauer gesichert werden soll. Das wird Unsummen kosten.

Was bringt die Zukunft? Marcus ist nachdenklich, als er am Abend im Hof seiner Villa steht und den Sternenhimmel betrachtet. Er hält einen kleinen Silberlöffel in der Hand. Er hat ihn in Tolbiacum mit einer Gravur versehen lassen. Mit dem Daumen fährt er sacht über die winzigen Buchstaben: Nonnula, der Name seiner fieberkranken Tochter. Morgen früh wird er ihr das Geschenk geben.

Info

Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung von Iris Hofmann-Kastner, Leiterin des Museums der Badekultur, und Hans-Gerd Dick, Historiker und Kulturreferent der Stadt Zülpich.

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