Nicaragua Kaffee, Kakao und dicke Zigarren

In Nicaragua befinden sich die Ursprünge weltweiter Genussindustrie. Wir waren unterwegs zwischen Plantagen und Vulkanen.

 Die große Kunst des Zigarrendrehens: Der Blender in der Firma Joya kümmert sich um die richtige Tabakmischung.

Die große Kunst des Zigarrendrehens: Der Blender in der Firma Joya kümmert sich um die richtige Tabakmischung.

Foto: Richard Bongartz

Aus einem Krater ziehen Rauchwolken in den Himmel, glühende Lava lässt sich aus der Nähe beobachten. Keine Frage, die Vulkane bei Managua erzeugen ein mulmiges Gefühl – und sind doch atemberaubend. Von insgesamt 14 Vulkanen sind heute sieben aktiv. Immer wieder kommt es zu Erdbeben, die seit vielen Jahren glimpflich verlaufen, aber auch aufschrecken. Doch das kleine, grüne Land in Mittelamerika profitiert auch von seinen vulkanischen Böden.

„In den 70er Jahren waren wir die Bananenrepublik“, sagt Fernando Martínez (58). „Es gibt allein zehn Bananensorten.“ Auf der Straße kann man sie auch als salzige Chips kaufen. Gebraten oder frittiert landen sie morgens mit Reis und Bohnen (Gallo Pinto) schon auf dem Frühstücksteller. Der Bananenexport ist heute abgelöst worden von Kaffee, Kakao und Tabak, Apfelsinen sowie Erdnüsse, Sesam und Zuckerrohr. Martínez führt Besucher durch die Plantagen und Wälder. Doch es gibt auch viele Rucksacktouristen, die auf eigene Faust unterwegs sind.

Ausgangspunkt für sie sind im Norden etwa die Höhen Matagalpas, wo Wandertouren beginnen. Jenseits der Strände an der Ostküste wird einiges getan, um Touristen nach Nicaragua zu locken. Auch wenn diese Branche noch in den Kinderschuhen steckt: An den Schönheiten im Land und den symphatischen Menschen, die einfach froh sind, seit mehr als drei Jahrzehnten den Krieg überwunden zu haben, liegt es jedenfalls nicht.

Große ausländische Firmen haben die Schätze des Landes längst für sich entdeckt. So steht an einem Haus ein Schild von „Ritter Sport“, die Kakaobohnen aus Nicaragua beziehen. Auf die Idee, selbst Schokolade herzustellen, kamen Einheimische erst vor ein paar Jahren. So ist das 2005 gegründete Castillo de Cacao die erste Fabrik seiner Art – eher ein kleiner Handwerksbetrieb mit zwei Mitarbeiterinnen in der Produktion, die 700 Barren am Tag herstellen.

Luz-Marina Albarado und Mercedes Galeano rösten erst die Bohnen, mahlen sie und blasen die leichte Schale in einer Maschine mit einem Ventilator weg. Der Kakao wird halb und halb nur mit Zucker aufgeschlagen, allein für Geschmacksrichtungen wie Kaffee oder Cashewnuss wird das Mischungsverhältnis variiert. Es kommt kein zusätzliches Fett hinein. Verführerisch läuft die warme, braune Masse in die Plastikformen. Kaum abgekühlt, ist sie auch schon verschweißt und etikettiert. Besonders beliebt ist die Sorte Ronbon, wo Albarado sieben Jahre alten Flor de Caña zur Schokolade gibt. Dieser Rum ist ein Nationalgetränk. Aufgefüllt mit Cola und Eis, dazu eine Limettenscheibe, wird er zum Nica Libre, dem Pendant zum Cuba Libre.

Der Flor de Caña (Blüte des Zuckerrohrs) aus Chichigalpa hat die aus Italien stammende Familie Pellas zur reichsten Nicaraguas gemacht. Ihre Produkte werden überall groß beworben, sind auch an jeder Tankstelle zu haben.

Das gilt nicht für den Kaffee, dessen edelste Bohnen ins Ausland verkauft und dort geröstet werden. Trotzdem trinken die Nicaraguaner gern Kaffee, aber nicht als Espresso oder Cappuccino, sondern einfach nur gebrüht. Oberhalb von Matagalpa bauen Mausi und Eddie Kühl ihre Bohnen an und heißen die Gäste in ihrem persönlichen Schwarzwald, dem Selva Negra Estate, mit den begrünten Bungalows mitten im Wald und dem Hostel willkommen. Die beiden haben deutsche Wurzeln, ihre Vorfahren kamen in den 1880er Jahren nach Nicaragua.

Prächtige Torten stehen in der Kühltheke, nur leider nicht der original Schwarzwälder Kirsch. „Ich bekomme hier kein Kirschwasser“, sagt Mausi, eine herzliche Frau, die nur als Säugling in Deutschland lebte, die Sprache aber fließend beherrscht.

Der meiste Kaffee der Plantage geht in die USA und nach Australien – 500.000 Pfund pro Jahr, 13 Container. „Die Deutschen bezahlen nicht genug“, sagt die 70 Jahre alte Mausi. Die grünen Selva-Negra-Bohnen – beste Qualität, 100 Prozent Aribica – wechseln für vier Euro pro Kilo den Besitzer. Nach dem Rösten, was erneut Gewichtsverlust bedeutet, kosten sie im Laden gut 28 Euro pro Kilogramm. Mausi hofft nun, sich mit der Schweiz handelseinig zu werden.

Rund 500 Erntehelfer arbeiten in der Saison von November bis Februar in Selva Negra, schlafen auch dort. So wie das Personal der Nebensaison, insgesamt 250 Mitarbeiter mit ihren Familien. Für Häuser, Kindergarten, sauberes Wasser und ein Krankenhaus ist gesorgt. Manuel Arriaza erklärt die Drehtechnik für die roten Beeren, in denen sich jeweils zwei süßlich schmeckende, wie mit einem Gelee überzogene Bohnen befinden: „Die Stiele müssen dranbleiben.“ Für acht Kilogramm Kaffeebohnen brauchen Profis anderthalb bis zwei Stunden. Dafür erhalten sie 1,50 Dollar. Was beim Waschen und Trocknen auf der Strecke bleibt, landet auf dem Kompost. Auf dem Gelände gibt es eine Methangasanlage und ein kleines Wasserkraftwerk für Strom.

Nicaragua - zwischen Plantagen und Vulkanen
66 Bilder

Nicaragua - zwischen Plantagen und Vulkanen

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Mit geschultem Blick entdeckt Manuel Arriaza Faultiere oben in einem Baum: das Muttertier mit ihrem in Zeitlupe gähnenden Baby auf dem Bauch. Fast bewegungslos hängen sie in den Ästen, was ist so ein Tag doch anstrengend. Selbst wenn sich die Tiere kratzen, geht das ganz gemütlich. Ist ja auch warm und dazu feucht. Tagsüber bis zu 35 Grad, das ganze Jahr über. Nachts kühlt es auf bis zu 25 Grad ab. Von Mai bis Oktober dauert die Regenzeit, was aber nicht bedeutet, dass es den ganzen Tag über schüttet.

Ein bunter, stattlicher Papagei nagt an einer Frucht auf seinem Stammbaum vor einer Hütte des Hotels Cuallitlan in der Tabakmetropole Esteli. Mit seinen Krallen dreht er sie so geschickt, bis nachher nichts mehr übrig bleibt. Hunde bellen, Hühner rennen herum, Gäste lümmeln sich in den Hängematten auf der Veranda. Abends treffen sich alle zum Bier im offenen Restaurant – eine „stressfreie Zone“, wie es die Inhaberin ihren Gästen verspricht. Zu denen gehörte kürzlich auch Dayana Chacón, eine nicaraguanische Kandidatin für die Miss World 2017, die zum Fotoshooting vorbeikam.

Der Kamera stellt sich auch gern Nestor Andres Plasencia, Zigarrenhersteller in fünfter Familiengeneration. In Cowboypose samt Hut und natürlich Zigarre sieht er 41-Jährige einfach cool aus. „Wir produzieren die einzige Biozigarre der Welt“, sagt er. Zehn Dollar kostet sie. Wie beim Kaffee finden sich die Liebhaber der Zigarren vor allem im Ausland, den USA und Europa. Die Nicaraguaner rauchen sie nicht, profitieren aber von dem Geschäft, etwa durch Arbeitsplätze in den 55 Fabriken – oder wenn Plasencia die Fußballer und Baseballspieler von Esteli sponsert.

Nach der bis zu drei Jahre dauernden Fermentierung entwickeln die braun gewordenen Blätter ihre Düfte. Die Wrapper, die die Zigarre umhüllen, haben eine feine, seidenartige Struktur und sind leicht ölig. Plasencia riecht daran und atmet genussvoll ein. „Der Tabak spricht zu dir. Jede Ernte ist anders. Deshalb liebe ich die Arbeit.“

Die Felder werden nur in der Trockenzeit bestellt. Dabei handelt es sich immer um ein und dieselbe Tabaksorte. Die unterschiedlichen Aromen hängen unter anderem vom Boden und der Sonneneinstrahlung ab. Es macht auch Unterschiede, ob das Blatt oben oder unten an der Pflanze hängt. Bei Joya de Nicaragua arbeiten 300 Menschen, sie produzieren jährlich 130 Millionen Zigarren. „Die Hälfte geht in die USA, der Rest in die ganze Welt“, sagt Geschäftsführer Don Leonel Rugama.

Erst lösen Mitarbeiterinnen durch schnelles Drehen und Ziehen die Adern aus den Wrappern. Das eigentliche Rollen der Zigarren übernehmen in einer Halle immer Pärchen. Die Männer sind am geschicktesten beim Zusammenlegen der Tabakblätter, die dann gepresst werden. „Die Frauen rollen die Wrapper herum“, erklärt Mitarbeiter Ariel Lòpez und geht in seinen Lieblingsraum, wo die duftenden Zigarren bei 25 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 70 Prozent 90 Tage lang altern. „Die beste Zigarre ist die, die am besten schmeckt“, meint Lòpez. Wichtig: „Sie wird nicht ausgedrückt. Man lässt sie einfach sterben.“ Das Ende der hohen Kunst.

Die Armut ist sichtbar im Land, viele müssen sich durchs Leben kämpfen. Der Alltag spielt sich vor den Hütten ab, ein Früchtestand reiht sich an den nächsten. An roten Ampeln werden Zeitungen und gegrillte Maiskolben verkauft, Windschutzscheiben gereinigt. „Offiziell liegt die Arbeitslosenquote bei sieben bis acht Prozent“, sagt Fernando Martinez. Die Unesco gibt bis zu 45 Prozent an. Wer offiziell Arbeit hat, bekommt einen Mindestlohn von 200 Dollar im Monat. Wer 500 verdient, kann sich durchaus ein eigenes Haus leisten, die ab 20000 Dollar zu haben sind.

Strom ist billig, der Transport in proppenvollen Bussen oder Dreiradtaxis auch. Der alte und wohl auch neue Präsident Daniel Ortega fährt auch gern mal aufs Land, verteilt kostenlos Lebensmittel und schmeichelt sich so bei den Leuten ein.

Sie leben in einem schönen Land, das Besucher schnell in seinen Bann zieht. Sei es, wenn sie die Liebespfade (Senderos del Amor) der Cascada Blanca zur Bucht mit dem Wasserfall entlanggehen. Oder zum 635 Meter hohen Volcán Masaya hinauffahren – 23 Kilometer von Managua entfernt. Am Nachmittag krähen grüne Papageien in dem Nationalpark. Sie hausen in Löchern der drei Krater. Vor der Entdeckung Amerikas 1492 hielt die indigene Bevölkerung die Ausbrüche für den Zorn der Götter. Um sie zu besänftigen, opferte man dort Kinder und Jungfrauen. Die spanischen Eroberer glaubten, dass der Krater das Tor zur Hölle (La Boca del Infierno) sei und stellten zur Abwehr des Teufels im 16. Jahrhundert am Rand ein Kreuz auf.

Besonders bei Dunkelheit wird der Besuch zum unvergesslichen Erlebnis, auch wenn dann die Schlange der Autos besonders lang ist und der Eintritt zehn Dollar pro Person kostet – was niemanden wirklich von diesem spektakulären Naturereignis abhält und abhalten sollte. Da stehen dann pro Fuhre 100 Besucher am Kraterrand und blicken 350 Meter tief auf einen 20 mal 30 Meter großen brodelnden, tief roten Lavasee, aus dem stark riechende Gase aufsteigen. Alle Besucher müssen ihre Wagen in Fahrtrichtung Ausgang parken, um bei Gefahr schnell weg zu können.

Dieses lodernde Schauspiel, das ständig überwacht wird, ist erst seit Dezember vergangenen Jahres zu sehen. Unten herrschen Temperaturen von 1200 Grad, wie es Wissenschaftler an der Farbe der Schmelze ablesen. Es breitet sich eine demütige Stille aus. Eine Viertelstunde lang, bis der Wärter in seine Trillerpfeife bläst und alle vom Berg scheucht. Die Nächsten warten schon.

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