Unterwegs in Panama Die heiße Fahrt der roten Teufel

Panama City · Das Leben in Panama ist schnell, bunt und laut. Doch abseits der Hauptstadt und des berühmten Kanals lässt es sich perfekt entspannen.

 Gemütlich: Gut eine halbe Stunde dauert die Fahrt mit dem Einbaum zum Embera Quera Village der Ureinwohner

Gemütlich: Gut eine halbe Stunde dauert die Fahrt mit dem Einbaum zum Embera Quera Village der Ureinwohner

Foto: Richard Bongartz

Es ist Mittag in Panama City. Die Sonne sticht, der Asphalt reflektiert die Hitze. Ein Röhren dröhnt ins Ohr. Ein über und über mit bunten Graffitis bemalter Bus biegt um die Ecke. Im Inneren drängen sich die Menschen wie die Ölsardinen in der Blechbüchse. Aber die am Straßenrand Wartenden kennen kein Pardon und drängen sich dazu. Triumphierend lässt der Fahrer sein Horn ertönen. Keine Frage, hier ist er der Chef, der Kunde kein König.

Für 30 Cent beginnt das Abenteuer: Auf die Zweiersitze zwängen sich drei Fahrgäste, der Rest muss stehen. Draußen ist es schon mehr als 30 Grad heiß und so feucht, dass einem der Schweiß den Rücken runter läuft. Innen gibt es die Tuchfühlung zum Nachbarn gratis, eine Klimaanlage nicht.

Wer nicht auf Merengue oder Reggaeton steht, sehnt sich nach Oropax, denn der Fahrer des Diablo Rojo, des roten Teufels, wie die Busse in Panama genannt werden, ist der DJ. Aber auf Liedwünsche geht er nicht ein.

Unterwegs in Panama
67 Bilder

Unterwegs in Panama

67 Bilder

Viel wichtiger ist es, ohne Blessuren aus der Kiste wieder rauszukommen, denn das Tempolimit scheint für die ausrangierten US-Schulbusse nicht zu gelten. Enrique Ruiz, der Touristen sein Land zeigt, hat sie schon mit einem Affenzahn über die Straße jagen sehen: „Die hatten locker 130 Sachen drauf.“ Kaum zu glauben, denn die ältesten Exemplare rollen schon seit 40 Jahren durch Panama.

„Nachts sehen sie aus wie der Coca-Cola-Weihnachtstruck“, sagt Ruiz. Tagsüber wie ein schrill bemaltes Karussell, an dem Airbrush-Künstler ihrer Kreativität freien Lauf gelassen haben. Auf der Rückseite prangt Jesus oder ein barbusiges Mädchen mit Stinkefinger. Oder beides. Kinder haben ihre Freunde an Duffy Duck, dem unglaublichen, giftgrünen Hulk und Vogel Tweety.

Wer es richtig krachen lässt, baut hinten noch ein paar lange Auspuffrohre aus Chrom an und lässt die Fanfaren dröhnen. Oder die ebenfalls eingebauten Pfeifen hinter hübschen Mädchen herflöten. „Die Frauen mögen das wohl, sie sagen nichts“, meint Plinio Marquinez, der das Wappen des FC Barcelona auf seinen 20 Jahre alten Teufel hat malen lassen.

Während der Fahrt ruht seine Hand auf dem martialischen Schaltknüppel, der ihm im Sitzen bis ans Ohrläppchen reicht. Wie kann er durch den kleinen Schlitz unterhalb des Spiegels auf seiner Frontscheibe überhaupt noch was von der Straße sehen? Um die Vordertür zu öffnen, muss Marquinez an einem Rad kurbeln. Heute sind die roten Teufel vom Aussterben bedroht, da sie nach und nach von modernen Bussen abgelöst werden.

Auf seinem Weg zu den Wolkenkratzern der Hauptstadt kommt Marquinez über die 1645 Meter lange „Brücke der Amerikas“ mit ihrem auffallenden Bogen. Darunter verläuft die Einfahrt zum 80 Kilometer langen Panamakanal. Dort warten die Containerschiffe bis zu drei Tage auf die Durchfahrt, denn es gibt jeden Tag nur 35 bis 40 Passagen:

Neben den Schleusen geben Ebbe und Flut den Takt vor. Auch hier ist der Kunde kein König. Kreuzfahrtschiffe müssen ein Jahr vorher gegen eine satte Gebühr reserviert werden. Frachter zahlen zudem pro Container, so dass mit Nebengebühren schnell mal 800.000 Dollar für den Wasserweg zwischen Pazifik und Atlantik anfallen.

Trotzdem ein Schnäppchen. Denn der Tausende Kilometer lange Umweg um Kap Hoorn dauert drei Wochen statt zwölf Stunden durch Panama. Mit der Inbetriebnahme der neuen Schleuse im Juni 2016 können nun auch die ganz großen Schiffe passieren. Sie sind bis zu 19 Container breit. Nach der Übergabe durch die Amerikaner wird der Kanal seit 1999 von der Autoridad del Canal de Panamá betrieben, einer Staatsbehörde.

Das grüne, 180 Meter lange und 30 Meter breite Cargoschiff Canvasback unter liberianischer Flagge ist das letzte, das an diesem Tag die Miraflores-Schleuse in Richtung Atlantik und Kanada passieren darf. Dutzende Besucher auf der Plattform des Besucherzentrums schauen zu, wie Treidellokomotiven am Ufer und das Lotsenboot das Schiff durchziehen. Maßarbeit, denn die Kammer selbst ist nur 33,53 Meter breit.

Nicht weit entfernt vom Kanal schlängelt sich eine Straße durch einen Urwald auf den 200 Meter hohen Hügel Ancón, über dem die panamaische Flagge weht, groß wie ein Basketballfeld und 35 Kilo schwer. Gigantisch auch die Aussicht auf die Skyline von Panama City mit seinen Banken, Hotels und Kasinos.

Eine Steueroase, in der auch nach den Enthüllungen der Panama Papers geheime Treffen von halbseidenen Geschäftsleuten über die Bühne gehen, wie es ein Restaurantchef hinter vorgehaltener Hand erzählt. Die moderne Stadt wirkt oft wie ein Abziehbild Amerikas. Bis zu fünf Dollar kostet ein Bier an der Bar, auf dem Land verlangt man weniger als die Hälfte. Neben einem Slum liegt die Altstadt aus dem 17. Jahrhundert, die selbst lange verkommen war. Manche Häuser verrotten auch jetzt noch, die aus Kirchtürmen sprießenden Pflanzen verbreiten morbiden Charme. Doch die Regierung hat jeden Eigentümer mit Restaurierungszwang belegt.

Als Starthilfe gibt es läppische 5000 Dollar. Wer nicht saniert, wird enteignet. Was zur Folge hat, dass viele ihre Häuser an finanzstarke Investoren verkaufen müssen. So entwickelt sich Casco Viejo mit seinen Kolonialbauten, Kirchen und dem Präsidentenpalast zu einer Perle – und verdrängt die früheren Einwohner.

„In drei Jahren wird vielleicht alles fertig sein“, sagt Enrique Ruiz über das angesagte Viertel, das 1997 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Selbst James Bond kam für „Ein Quantum Trost“ in geheimer Mission. Im Bajareque Coffee House schlürfen vor allem Asiaten den sündhaft teuren Geisha-Kaffee, der fast wie schwarzer Tee schmeckt.

„Ein Kilo kostet bis zu 1250 Dollar“, sagt Ruiz. Für den deutschen Geschmack ist er zu dünn, steckt dafür aber voller Koffein. Wer eh nicht schlafen kann, checkt im Tantulo-Hotel ein: Nachtruhe können die Inhaber nämlich nicht garantieren, was sie jeden Gast wissen lassen. „Enjoy the noise“, genieße den Lärm, heißt es hier. Dafür ist jedes Zimmer von Künstlern individuell gestaltet: Eines mit abstrakt bunten Pflanzen, die sich hinter Frauenporträts über die Wände bis zur Decke schlängeln. Ein anderes mit Pop Art über dem Doppelbett – ein riesiger gemalter Becher mit Früchten.

Über der Roof Bar brauen sich in wenigen Minuten Wolken für den täglichen Schauer zusammen, die Hochhäuser der Stadt verschwinden zu Salsamusik im Nebel. Wer dem schnellen Puls der Großstadt mit ihren 1,5 Millionen Einwohnern entkommen will, findet palmengesäumte Strände an der Pazifikküste. Weißerer Sand und blaueres Wasser locken am Atlantik, etwa auf der Inselgruppe Bocas del Toro.

Wer lieber frische Luft und Nachttemperaturen von 20 Grad will, fährt in die Berge. Der Bus dahin kommt, wann er will. Im größten besiedelten Vulkankrater der Erde mischen sich in der Ortschaft Valle de Antón Rucksacktouristen unter die Einheimischen, erwandern Bäche, Wasserfälle, Thermalquellen und beobachten die unzähligen Vogel- und Schmetterlingsarten. Dort ist auch der vom Aussterben bedrohte goldene Frosch zu Hause.

15 Familien haben sich vor neun Jahren im Tiefland am Fluss Gatun niedergelassen und das Embera Quera Village gegründet. Diese Ureinwohner stammen aus dem Dschungel an der Grenze zu Kolumbien. Gemächlich tuckert der motorisierte Einbaum über den Gatun durch den Wald Richtung Dorf.

Ein paar Klammeraffen hangeln sich wie Artisten durch die Äste, einer traut sich auf den schmalen Bootsrand, um eine Banane zu stehlen. „Das Land haben wir vor sieben Jahren gekauft“, sagt Jobel Dogirama (32). Nur mit einem knappen Lendenschurz aus bunten Perlen bekleidet, versucht er, den Spagat seines Lebens zwischen Reizen der modernen Welt und den Traditionen seines Stammes zu erklären.

Die Embera gehen nicht mehr jagen und fischen, haben es zum Teil sogar verlernt. Die Frauen fertigen Perlenschmuck fast schon als Massenware, um ihn dann im eigenen Shop zu verkaufen. Die Männer bemalen ihre Haut mit Mustern, die heute keine Bedeutung mehr haben. „Touristen sind unsere Haupteinnahmequelle“, meint Dogirama. Sie sehen sich das Leben ohne elektrischen Strom an, werden mit Musik und Tänzen freundlich begrüßt und bekocht. Ein Freilichtmuseum, dessen Personal dort auch zu Hause ist.

„Diese Wurzel nimmt man vor dem Frühstück und abends ein“, erklärt Medizinmann Alipio mit wichtiger Miene. Der 65-Jährige weiß warum: „Sie wirkt wie Viagra.“ Kindern empfiehlt er für die Gesundheit Blätter von Stachelannone und Cashewbaum als Tee gekocht, ein anderes Kraut sei gegen Diabetes gewachsen, schwört er auf die Heilmittel seiner Vorfahren. Selbst eine Essenz zur dauerhaften Haarentfernung hat Alipio gefunden, wie er sagt. Als Ästheten nutzen die Embera sie gern. Eine Marktlücke für die westliche Welt?

In der Hauptstadt beginnt die nächste Nacht: Spieler versenken ihre Dollars in einarmigen Banditen, in Bars stellen sich junge kolumbianische Frauen in einer Reihe auf und warten auf Kundschaft. Wieder biegt ein rasender Red Devil um die Ecke. Deutlich leerer, aber nicht leiser. Nicht einen Deut.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort