Reisereportage Siziliens Zauber kann man sich kaum entziehen

Corleone · Bella Sicilia: Man sollte nicht zu viel Werbung für Sizilien machen. Orte wie Taormina und die Region um den Vulkan Ätna sind schon jetzt mehr als gut besucht. Trotzdem: Es fällt schwer, sich dem Zauber dieser wunderschönen Insel zu widersetzen.

 Aktiver Ätna: Rauchzeichen zum Abschied

Aktiver Ätna: Rauchzeichen zum Abschied

Foto: MT Johann

„Corleone können Sie vergessen“, sagt Gästebetreuerin Yvonne, die in den Hotels an der sizilianischen Ostküste vorzugsweise deutschen Besuchern profunde Tipps für die Urlaubsgestaltung gibt. „In Corleone ist nichts Aufregendes zu sehen, außerdem sprechen die Einwohner nicht gern über das Thema“. Das Thema! Die Stadt Corleone gilt als historische Hochburg der Cosa Nostra, über die fiktive Mafia-Familie Corleone und deren Machenschaften in der zweiten Heimat Amerika hat der Schriftsteller Mario Puzo im Jahr 1969 mit „Der Pate“ einen Bestseller für die Ewigkeit geschrieben. Auch die kongeniale Film-Trilogie von Francis Ford Coppola avancierte unter dem Originaltitel „The Godfather“ zum Klassiker. Der Schauspieler Marlon Brando erhielt einen Oscar, Partner Al Pacino immerhin eine Nominierung. Dabei hätte Pacino von Geburt her mehr Anrechte auf die höchste Auszeichnung gehabt: Er kam zwar in New York zur Welt, doch seiner Vater Salvatore Pacino stammte aus – Corleone.

Auch das ist kein zwingender Grund, die zweistündige Autofahrt in den Mittleren Westen von Sizilien auf sich zu nehmen. Der Regisseur Coppola hat dort ohnehin keine einzige Szene gedreht. Corleone war ihm zu verbaut, die passenden Schauplätze fand er in den steilen Berghängen der Ostküste.

Und so trifft es sich gut, dass direkt an der Marina des beliebten Badeortes Giardini Naxos fast täglich knallrote Cabrio-Busse zur mehrstündigen „Godfather-Tour“ aufbrechen.

In den Bergdörfern Forza d’Agrò und Savoca redet man sogar ausgesprochen gern über „das Thema“. Am graubraunen Putz der alten Häuser reihen die Souvenirhändler rabenschwarze T-Shirts auf. Sie zeigen Marlon Brando mit dem Spruch „Il padrino sono io“. Ja, er ist der Pate, die Pension in der Via Pentifuri von Savoca nennt sich allerdings auch Il Padrino. Für das akustische Grundrauschen im gesamten Ort sorgt das Titelthema des Filmkomponisten Nino Rota.

In der Bar Vitelli bündelt sich Kinogeschichte: Auf dem Vorplatz erblickt Michael Corleone im Film die aparte Dorfschönheit Apollonia und macht ihrem Vater ein Angebot, das dieser nicht ablehnen kann. Geheiratet wird recht zügig gegenüber in der Kirche San Nicolò.

Die Bar Vitelli unterhält heute ein kleines Museum über die Dreharbeiten, in der Kirche erinnern Fotos und eine Soutane an die aufwendige Zeremonie. Und auf dem zentralen Platz sitzt Coppola in Edelstahl hinter der Kamera. Mit Blick aufs Meer.

Noch mehr Panorama erlaubt der prominente Nachbarort Taormina, der 200 Meter oberhalb von Giardini Naxos spektakulär in den Bergen hängt. Die klassische Postkarte zeigt die Ruinen des antiken Theaters mit dem Ätna im Hintergrund.

Im Frühling trägt der Vulkan einen zarten Schneeflaum, jetzt zeigt er sich ganz kahl oder in einer Wolke verhüllt. Gelegentlich hüstelt er Asche. Wie auch immer: Man will da rauf, irgendwann und irgendwie.

Aber auch Taormina will man gesehen haben. Diesem Drang folgen viele. Stichwort Over-Tourism. Doch es geziemt sich nicht, über das Reisen der Anderen zu lästern, wenn man selber in der Schlange zur nächsten Sehenswürdigkeit steht. Kirchen, steile Treppen, kleine Balkone mit prächtigen Pflanzen: Auf dem Corso Umberto flanieren ganze Busladungen auf der Suche nach dem pittoresken Fotomotiv. Es findet sich vielleicht im Schaufenster eines Likörladens: Dort steht ein Gin aus Bonn.

Im antiken Theater wiederum gibt es Goethe für alle. Jedenfalls übersetzen die gedruckten Theaterführer dessen Eindrücke von seinem Besuch im Mai des Jahres 1787 in jede relevante Sprache der Welt. Man möchte meinen, der deutsche Dichter habe Italien nicht nur besucht, sondern auch erfunden.

Das antike Theater haben die Griechen im dritten Jahrhundert vor Christus als Spielstätte für Schauspiele gegründet. Die Römer haben die Anlage später erweitert und Gladiatoren in die Arena geschickt.

Historikerherzen schlagen höher beim Besuch des archäologischen Parks von Giardini Naxos, der von Taormina aus in der Ferne auszumachen ist, aber bei weitem nicht so stark frequentiert wird. Dort, auf der kleinen Halbinsel Schiso, gründeten die Griechen um 735 vor Christus ihre erste Siedlung auf Sizilien. Nach kriegerischen Auseinandersetzungen zogen sich die Bewohner in die Berge zurück – und erbauten Taormina. Anhand der Ausgrabungen lässt sich die Entwicklung der Region nachvollziehen. Man verharrt dabei nicht stoisch in Geschichte: Der moderne Künstler Guiseppe Agnello hat auf dem weitläufigen Gelände blütenweiße Skulpturen platziert, die eine stille Harmonie zwischen Mensch, Pflanzenwelt und Vulkanismus zum Ausdruck bringen.

Schon wieder der Ätna. Der Vulkan ruft, aber man sollte sich durchaus noch Zeit lassen. Der Berg lässt sich auch in mehreren Etappen erobern, sozusagen einkreisen. Mit dem Mietwagen geht es zunächst zur 20 Meter tiefen Schlucht des Alcantara, wo der Fluss seit Jahrtausenden sein hartnäckiges Spiel mit dem Basalt treibt. Der blanke Stein glänzt in der Sonne, die Besucher waten barfuß durchs eiskalte Kiesbett und haben ihren Spaß. Ein Rundweg oberhalb der Schlucht führt zu markanten Aussichtspunkten, Infotafeln erklären Geologie und Botanik.

„Besuchen Sie die kleinen Städte im Umkreis des Ätna“, hatte Sizilien-Kennerin Yvonne geraten. Ein guter Tipp. Die Region ist reich an Serpentinen und Panoramastraßen. Und selbst im heißen Spätsommer ungewöhnlich grün. Der Ort Castiglione krallt sich an den Berg, einige Häuser stehen leer, Kirchen und die Festung werden zurzeit saniert. Junge Sizilianer kehren in die Gegend zurück, übernehmen die Weingüter ihrer Eltern. Die Fahrt nach Randazzo führt durch die Weinberge, bald ist Lesezeit. In den Hotels an der Küste steigt das Interesse an den Tropfen mit dem speziellen Ätna-Aroma.

Eine Kehrseite offenbart sich auf der Strecke nach Bronte und Adrano. An der Schnellstraße wird systematisch Müll entsorgt. Das nervt auch viele Einwohner, etwa den Werkstattbetreiber Antonio in Santa Venerina. Die Stadtverwaltung müsse rigoroser durchgreifen. „Sizilien ist reich an Natur und Kultur“, sagt er. Diese Schätze dürfe man nicht verspielen.

Zumal das Interesse selbst in der dünnen Luft nicht abreißt. Der Parkplatz am Crater Silvestri auf 1900 Metern erinnert an die Talstationen alpiner Skigebiete. Hier ist immer reger Betrieb. Besucher aller Altersklassen spazieren um die Schlackenkegel Monte Silvestri Inferiore und Monte Silvestri Superiore, die 1892 beim Vulkanausbruch entstanden sind. Eine relativ leichte Wanderung.

Wer höher und strenger hinaus will, bucht die Gipfeltour zum Beispiel mit dem Bergführer Marco Tomasello. Der Sizilianer von der Südküste arbeitet im Winter in den französischen Alpen als Skilehrer. Der Ätna ist sein Heimrevier. In der Hochsaison führt Marco fast täglich eine Wandergruppe bis zum Gipfel.

Zunächst geht es mit der Seilbahn auf etwa 2600 Meter, dann mit Allrad-Fahrzeugen auf knapp 3000 Meter. Es folgt ein Fußmarsch zum Kraterrand: eineinhalb Stunden auf feinem Geröll, gut 300 Höhenmeter, fünf Grad, bisweilen bissiger Wind.

Am Gipfel hängt eine Wolke. Marco dämpft die Erwartungen: „Die Sicht könnte durchaus besser sein.“ Was die Tour nicht weniger interessant macht. Marco erklärt die geologischen Zusammenhänge, etwa die Lavaströme vom großen Ausbruch im Jahr 2002. Am Kraterrand starren 15 Augenpaare ins Nichts und sind trotzdem nicht enttäuscht. Vulkanische Aktivitäten auf Bestellung, das geht nicht.

Am nächsten Tag, beim Blick vom Hotelbalkon, regt sich der Ätna dann doch noch und pustet drei Asche-Fontänen in den Abendhimmel. Ciao bello.

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