Unterwegs mit Jan Loh Eine Nacht mit dem "Alle-mal-malen-Mann?"

Bonn · Seine Zeichnungen und obligatorischen Sprüche haben Jan Loh in Bonn den Status einer Kultfigur verschafft. GA-Volontär Simon Bartsch ist einen Abend mit dem malenden Philosophen durch die Innenstadt gezogen.

Die Augen zusammengekniffen, einen Arm auf das Bein abgestützt. Die schwarze Anzugjacke ist ein wenig zu groß, das weiße Haar ein wenig zu zerzaust. Jan Loh sitzt auf der Kante einer Bierbank. Er sieht müde aus. Als er mich als den Reporter ausmacht, der über ihn eine Geschichte schreiben will, steht er sofort auf und reicht mir die Hand. Seine Augen weiten sich. "Loh", stellt er sich vor. Das tut er immer. Obwohl man ihn in Bonn eher unter seinem Pseudonym Alle-mal-malen-Mann kennt.

"Sollen wir dann loslegen?", fragt er mich, und für einen kurzen Augenblick habe ich Angst, ich müsse nun ebenfalls zum Griffel greifen. Er nimmt seine schwarze Tasche und geht leicht hinkend zu der nächsten Bierbank. "Hier? Alle mal malen?", stellt er die obligatorische Frage, die ihm seinen Spitznamen eingebracht hat. "Kostet auch nur zwei Euro." Das Arbeitsgesuch hat in Bonn wohl jeder schon einmal gehört. So kennt man Jan Loh, so haben ihn viele Bonner ins Herz geschlossen.

"Der Herr ist von der Presse, also lassen Sie sich malen und Sie kommen in die Zeitung", versucht er sein Glück. Beim ersten Tisch mit mäßigem Erfolg, doch schon bei einer Gruppe junger Männer aus Euskirchen, die einen Junggesellenabschied feiern, sieht es besser aus. Die Truppe rückt gerne zusammen, um Loh Platz zu machen. "Ich kenne den Mann nicht, aber wir werden das Bild als Erinnerung behalten", sagt Andreas Schumacher, der dem künftigen Bräutigam Stefan Loben eine Freude machen will. "Auf der Hochzeit werden wir es den Gästen zeigen." In der Anzugjacke trägt Loh vier Rollen Tesafilm und ein Dutzend Bleistifte bei sich. Er zückt einen davon und beginnt zu malen.

Kaum bei der Arbeit, wird er von Daniela und Maggy angesprochen. Sie wollen auch gezeichnet werden. Doch der Künstler hat jetzt keine Zeit und wimmelt die zwei ab. "Er ist eine Bonner Legende. Dafür haben wir Verständnis. Wir kommen einfach später noch einmal wieder", sagt Maggy. Gut 25 Minuten nimmt sich Loh Zeit. Dann sind alle 15 Menschen porträtiert. Und sein Gemälde kommt an. Die Gruppe spendet Applaus und ein ordentliches Trinkgeld. "Man kennt den Mann einfach in Bonn", sagt Roman Faab, Geschäftsführer des "Bönnsch". Das stimmt. Selbst als Geburtstagsgeschenk wurde Loh schon gebucht, für die Partei Die Linke malte er ein Wahlplakat und in der Südstadt zieren Konterfeis des Malers die Wände.

Die Ausbeute fällt im Brauhaus dennoch bescheiden aus. Einige lehnen das Arbeitsgesuch des Mannes ab. "Viele Menschen mögen sich selbst nicht. Die wollen sich nicht malen lassen. Die Leute glauben immer, sie sollen nach Schönheit streben", philosophiert Loh. "Alle Menschen sind schön. Der Geschmack ist nur verschieden", gibt er mir einen seiner vielen Gedanken mit auf den Weg, bevor er sich auf sein viel zu kleines Fahrrad schwingt. Es geht zum Alten Zoll.

Video: Jan Loh im Gespräch mit Simon Bartsch

Als ich dort im Biergarten eintreffe, ist es bereits dunkel und Loh sitzt auf einer kleinen Bank. Er macht Pause. Aus seiner Tasche zieht er eine kleine Plastikflasche Wasser und ein paar Waffeln. "Geben Sie mir ein paar Minuten. Nach dem Essen können wir uns gerne weiter unterhalten", sagt er. Als er fertig ist, erzählt der so verschlossene Mann, dass er früher "für das Bundesministerium Informationen über Entwicklungsländer eingeholt hat".

Nahezu jeden Abend ist der leidenschaftliche Zeichner in Bonn unterwegs. "Das macht mir einfach Freude. Und Malen ist ein geistiges Training", erklärt er mir, sucht aber mit seinen Augen schon wieder nach neuen Klienten.

"Hört mal, darf ich euch mal ein bisschen malen?", fragt er ein junges Paar, das es sich auf einer Bierbank gemütlich gemacht hat. "Beim Liebespaar-Malen bin ich einfach spitze", sagt er. "Wenn ihr wollt, mache ich auch Charakterdeutung. Das macht niemand außer mir", erklärt er. Lilly und Hagen Ramich sind noch unschlüssig. "Das Bild kostet nur sechs Euro. Das ist billiger als am Montmartre", sagt er mit leichtem Ruhrpott-Dialekt. Obwohl Loh seit den 50ern in Bonn lebt, kann er seine Herkunft aus Gladbeck nicht verleugnen. Schließlich willigt das Paar doch ein. Als Loh nach wenigen Minuten fertig ist, lüftet sich auch das Tesafilm-Geheimnis. "Ich klebe euch eine Rolle daraus, dann kann man es besser halten", erklärt Loh. "Ich bin schon mal in Paris am Montmartre gemalt worden", sagt Lilly Ramich. "Das war künstlerisch vielleicht ein wenig besser, aber auch deutlich spießiger." Und wie gefällt das Gemälde?, will ich von dem Paar wissen. Hagen Ramich lacht: "Na ja, es ist in jedem Fall ein lustiges Andenken an diesen Abend." Bevor Loh den nächsten Tisch erreicht, hält er kurz inne. Am Rheinufer wird ein Feuerwerk gezündet. Loh setzt sich an einen Tisch. Wie so oft, wirkt er einsam, als er das Spektakel am Himmel genießt.

Audioslideshow: Fotos und Audioaufnahmen von Jan Loh

Doch nur wenige Minuten später malt er erneut eine Gruppe. "Na ja, wenn man ehrlich ist, sehen wir alle gleich aus", sagt Marco, der noch nie vom Alle-mal-malen-Mann gehört hat. "Die Leute kennen sich ja nicht von der Seite. Sie gucken ja immer gerade in den Spiegel", erklärt Loh.

Es ist bereits weit nach Mitternacht, als wir im "James Joyce" einkehren. Auch hier kennt man Loh. "An manchen Tagen kommt er sogar zweimal. Der gehört fast schon zum Inventar", sagt der Barkeeper. Loh wird auch hier schnell fündig. Neben einer größeren Gruppe porträtiert er einen weiteren Fan: mich. Auch ich kann nicht anders, als mich malen zu lassen.

Loh gähnt. Als wir die Kneipe verlassen, gibt er mir die Hand. "Vielen Dank auch", sagt er und winkt. Ob er noch weiterzieht? "Ja, ich kaufe mir noch ein Eis. Denn das hat neben Schokolade die meisten Nährstoffe."

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