GA-Serie: Rheinland für Entdecker 70 Jahre Glasfachschule Rheinbach

Rheinbach · Das Glasmuseum in Rheinbach ist ein vielseitig funkelndes Juwel, das 2018 besonders hell erstrahlt. Denn die Glasstadt feiert die Gründung der Glasfachschule vor 70 Jahren und die Eröffnung des Glasmuseums vor 50 Jahren.

Schönheit liegt bekanntermaßen im Auge des Betrachters. Mehr oder minder mit Verwunderung nahm Ruth Fabritius, Leiterin des Glasmuseums in Rheinbach, darum den Blickwinkel des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl auf ein Thema zur Kenntnis, welches sie selbst im Höchstmaß fasziniert: Glas. "Was nützt das schönste Glas, wenn es leer ist?", soll Kohl während der Betrachtung kunstvoller Gläser gesagt haben. Ob es ihm zu dem Zeitpunkt nur nach einem Viertelliter pfälzischen Weins dürstete oder er sich nicht für die Ästhetik der fragilen Kunst begeistern wollte, ist nicht überliefert. Wer sich hingegen auf die Schönheit zerbrechlicher Gläser und der detailreichen Fantasie der Glaskünstler vom Barock bis in die heutige Zeit einlassen mag, ist im Glasmuseum Rheinbach goldrichtig.

Wer seine Gebrauchsgläser daheim auf ihre Urheberschaft inspiziert, mag denken, Ikea habe das Glas erfunden. Doch nicht von den Schweden, sondern den Assyrern ist die erste bekannte Rezeptur zur Herstellung von Glas bekannt. Sie lautet: "Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen und fünf Teile Kreide, und du erhältst Glas." Diese aus dem Jahr 650 vor Christus datierte Aufzeichnung zeigt, wie lange sich Menschen mit der Kunstfertigkeit beschäftigen, fragile Schätze zu erschaffen.

In dem 1968 vom Verein "Freunden des edlen Glases" gegründeten Glasmuseum im Bürger- und Kulturzentrum Himmeroder Hof lässt sich trefflich schwelgen. In der Dauerausstellung sind wertvolle Gläser vom Barock bis zum zeitgenössischen Studioglas zu sehen. Dass der Schwerpunkt der Exponate auf der Kunst der böhmischen Glasherstellung und -veredelung liegt, kommt nicht von ungefähr: Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in der Glaskunst bewanderte Sudeten nach Rheinbach, die das Gesicht der Stadt veränderten. "Die Sudetendeutschen waren ein ausgesprochener Glücksfall", findet Fabritius.

Glasfachschule feiert 70-jähriges Bestehen

Rheinbach war bis dahin eher ländlich geprägt. "Von den Vertriebenen aus Steinschönau hatten viele in Wien oder Prag studiert. Sie brachten eine gewisse Weltläufigkeit und den Sinn für Ästhetik mit in die ländliche Kleinstadt." So entstand "ein Hort der Kreativität", so die 59-Jährige. Am 1. April 1948 gründeten die Neu-Rheinbacher - nach böhmischem Vorbild - die Glasfachschule, die 2018 ihre Gründung vor 70 Jahren feiert. Ein Rundgang durch das Museum erzählt somit auch eine erfolgreiche Integrationsgeschichte.

Zum Schwärmen zumute ist Ruth Fabritius, wenn sie Besuchern barocke Schnittgläser, Farb-, Schliff- und Schnittgläser des Biedermeier oder andere Schätze aus dem 19. Jahrhundert zeigt. "Manche Stücke mögen heute als 'Stehrümchen' gelten", räumt die Museumsleiterin ein und zeigt auf ein Exponat aus rotgebeiztem Glas. "Sie entsprechen nicht mehr dem heutigen Geschmack. Sie sind aber mit einer hohen handwerklichen Qualität verbunden." Drei Brände sind erforderlich, um die scharlachrote Farbe hinzubekommen.

Auf Fabritius' Lieblingsstück sind 70 daumengroße Schlifffelder zu sehen. In jedem Feld des um 1780 geschaffenen Glases ist ein anderes Motiv zu erkennen - wenn man nah genug herangeht. Ein Schmuckstück zum Schmunzeln ist die Ebenholzkassette mit dem vielsagenden Namen "Tantalusqualen". Dabei handelt es sich um einen Reisebehälter aus dem 19. Jahrhundert mit vier Kristallflaschen und 16 Gläsern. "Die Tantalusqualen bestanden darin, dass der Diener die Schlüssel nicht mehr auffinden konnte", so Fabritius. Im Glasmuseum liegen diese gleich neben der geöffneten Kassette.

"Herzstück eines Bürgerzentrums"

Exponate verbergen unterschiedliche Geschichten

Geschichten über Geschichten stecken in den Exponaten aus verschiedenen Epochen. "Wir sind international aufgestellt und dabei regional verwurzelt", findet die Leiterin, die bereits seit Oktober 1990 die Geschicke im Museums leitet. "Für eine Kommune von der Größenordnung Rheinbachs ist solch ein Museum keine Selbstverständlichkeit." Dass Glaskunst aber selbst im heutigen digitalen Zeitalter eine gängige Form des künstlerischen Ausdrucks ist, zeigen die nicht minder faszinierenden Stücke der Gegenwart: "Unser zweites Standbein ist das zeitgenössische Glas - das Studioglas", verrät Fabritius. "Bei aller Digitalisierung: Das Handwerk wird erhalten bleiben, um weiterhin schöne Dinge zu erschaffen." Einer der bedeutendsten deutschen Studioglaskünstler seiner Generation, der 79 Jahre alte Udo Edelmann, lebt sogar in Rheinbach.

Viele Jahre lang war sein Wohnhaus, das Glashaus am Wasserturm, zu Füßen des idyllischen Stadtparks gelegen, ein Künstlertreff. Der Clou: Im Glashaus ließen sich die Kreativen über die Schulter blicken. Dieser Ort habe "große Wirkung auf die Akzeptanz des Glases in der Glasstadt" gehabt, sagt Fabritius. Der in Landsberg an der Warthe, heute Gorzów Wielkopolski in Polen, geborene Künstler war auch Dozent an der Glasfachschule.

Überhaupt sei die vor 70 Jahren gegründete Schule ein "Dominoeffekt, der bis heute anhält." Internationales Flair nach Rheinbach trägt alljährlich der Internationale Glaskunstpreis. Dieser ist europaweit einzigartig in seiner Art und ruft die europäische Glasjugend auf, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Glasfachschüler aus vielen Staaten Europas reichen ihre Ideen ein. Viele dieser prämierten Geistesblitze sind ebenfalls als Dauerleihgaben im Glasmuseum zu bewundern.

"Wir sind das Herzstück eines Bürgerzentrums"

In einem Ausstellungsraum fällt ein gläsernes Rednerpult samt Stadtwappen ins Auge. Es ist kein Ausstellungsstück, denn dieser Raum wird auch als Ratssaal genutzt. "Wir sind das Herzstück eines Bürgerzentrums", sagt die Museumschefin. In dem früheren Gutshof der Mönche des Klosters Himmerod sind nicht nur das Glasmuseum und allerlei außerschulische Lernorte rund um das Thema Glas untergebracht - auch Volkshochschul-Kurse, Vorträge, Auftritte, Lesungen, Fraktionssitzungen oder Vereinstreffen sind in dem weit verzweigten Gebäude möglich.

Gegenüber dem Eingang zum Museum befindet sich das Naturparkzentrum - eine Informations- und Bildungseinrichtung des Naturparks Rheinland. Und: Noch in diesem Jahr beginnen gleich neben dem Naturparkzentrum die Arbeiten zum Bau eines Römerkanal-Infozentrums.

Die antike Wasserleitung von Nettersheim in der Eifel bis nach Köln verlief quer durch Rheinbach und hat in der Glasstadt an vielen Stellen Spuren hinterlassen. "Ich freue mich, dass aus dem Zusammenspiel von Glasmuseum und Naturparkzentrum bald eine Trias wird", so Fabritius.

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