Film von Steve McLean "Postcards from London": Liebeserklärung an die Metropole

Berlin · Ein junger Mann verlässt seine Heimat. Er wird Teil und bald schon Star einer Londoner Escort-Gruppe, die auf Gespräche nach dem Sex spezialisiert ist. Eine psychosomatische Störung erschwert ihm allerdings den Job...

 Jim (Harris Dickinson) verlässt seine Heimat und wird zum Star einer Londoner Escort-Gruppe.

Jim (Harris Dickinson) verlässt seine Heimat und wird zum Star einer Londoner Escort-Gruppe.

Foto: Salzgeber

Eine Geschichte wie diese ist wohl ein Traum für so manchen Filmausstatter: Man befindet sich in London, im berüchtigten Kultviertel Soho. Rotlicht, Regenbogenfarben, Bars und Clubs bestimmen das leicht aus der Zeit gefallene Bild in "Postcards from London".

Darin trifft man auf zwielichtige Gestalten, auf Künstler, Prostituierte und Intellektuelle - alle vereint unter dem Dach der Freiheit, der Vielfalt und der Liebe. "Postcards from London" ist der zweite Spielfilm des britischen Autors und Regisseurs Steve McLean.

Jim hat sich jüngst von seiner Heimat losgesagt. Zu einengend war es dort, zu groß sein Hunger auf Abenteuer und geistige Herausforderungen. Seine erste Nacht in der britischen Metropole fällt allerdings nicht gerade unter die Kategorie gelungener Start: Er schläft auf der Straße und wird ausgeraubt.

Auftritt "The Raconteurs" (aus dem Französischen: raconter = erzählen). Die Gruppe von Männer-Escorts nimmt sich Jim an und weiht ihn in die Kunst der Konversation vor und nach dem Sex ein. Es geht vor allem um barocke Malerei, um alte Meister und die Deutung ihrer Werke. Das ist es, was die Kunden mögen. Und sie mögen Jim. Wäre da nur nicht die Krankheit, unter der der angehende Escort-Star leidet: Das Stendhal-Syndrom, eine seltene, psychosomatische Störung, lässt Jim regelmäßig bei der Betrachtung großer Kunst in Ohnmacht fallen.

1994 hatte Steve McLean sich mit "Postcards from America" dem Leben des früheren US-Performance-Künstlers David Wojnarowicz gewidmet. Das Fachmagazin "Variety" hatte den Film als träges Experiment bezeichnet, das zwar aufgedonnert daherkomme, den Zuschauer aber nicht mitnehme.

Auch bei "Postcards from London" fällt es schwer, den Film trotz seiner grandiosen Idee anders zu sehen. Anfangs noch locker und lustig erzählt, plätschert die Handlung spätestens ab der Hälfte immer gemächlicher vor sich hin - um letztlich in einer Art Zeitlupe auszufransen. Da reichen dann auch eineinhalb Stunden, um sich aus der engen, rotlichtüberfluteten Holzschnitt-Unterwelt raus ans Tageslicht zu wünschen.

Zuvor gilt es allerdings herauszufinden, was in Jims Kopf vor sich geht. Das ist nicht so einfach, denn meist ist die Kamera auf seinen äußerst durchtrainierten Körper gerichtet, der "ein Tempel" ist, wie Jim selbst sagt. Darsteller Harris Dickinson, der bereits im Jugenddrama "Beach Rats" (2017) mitspielte, fühlt sich sichtlich wohl in seinem Tempel, lässt er sich doch nur allzu freimütig und fast hüllenlos mit der Kamera ablichten. Gleichzeitig guckt der London-Neuling, der nicht weiß, was er will, mit seinem Engelsgesicht in jeder Nahaufnahme unsicher.

Hinzu kommt eine gewisse sprachliche Theatralik ("Ich suche nach einer Welt voller Geheimnisse und Möglichkeiten" - "Gut, dann bist du hier richtig"). Das täuscht zwar nicht über die visuelle Einfachheit einer Low-Budget-Produktion hinweg, sollte aber - wie der gesamte Film - auch nicht zu ernst genommen werden.

Stattdessen lohnt es sich, auf die gelungenen Elemente zu achten. Da ist der Rückblick auf das heimische, mit 70er-Jahre-Tapeten ausgekleidete Elternhaus, aus dem Jim so dringend ausbrechen will. Da sind seine Halluzinationen, in denen er selbst zum Objekt seines Lieblingsmalers Caravaggio wird. Da ist die verwahrloste Prostituierte von der Straße, die kurze Zeit später zu Jims Hausärztin wird. Alles Dinge, die einen zum Schmunzeln bringen. Und zum Weinen - um eine Idee, die eigentlich zu gut ist, um hier verschenkt zu werden.

Postcards from London, Großbritannien 2018, 90 Min., FSK ab 12, von Steve McLean, mit Harris Dickinson, Jonah Hauer-King, Alessandro Cinadamore

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