Wenn die Freundin zur Todfeindin wird Filmkritik zu verfilmtem Roman "Nach einer wahren Geschichte"

Bonn · Roman Polanski hat Delphine de Vigans abgründigen Roman „Nach einer wahren Geschichte“ verfilmt. Er hat sich damit schwergetan.

 Nahaufnahme: Emmanuelle Seigner (links) und Eva Green.

Nahaufnahme: Emmanuelle Seigner (links) und Eva Green.

Foto: dpa

Delphine (Emmanuelle Seigner) ist erschöpft. Ihr rückhaltlos ehrlicher Bestseller über die eigene Familie hat ihr so gründlich das Mark aus den Knochen gesaugt, dass sie selbst Lesungen kaum noch durchsteht. Gerade bricht sie eine Signierstunde ab, als eine attraktive schwarzhaarige Kollegin doch noch zur Starautorin vordringt: die Ghostwriterin Elle (Eva Green).

„Zufällig“ kreuzen sich die Wege der Frauen wenig später wieder, und allmählich macht sich die Stalkerin als Kraftquelle der ausgebrannten Schriftstellerin unentbehrlich. Wobei sich bald die Schattenseiten der herben Schönheit zeigen. So fordert sie Delphine herrisch auf, gefälligst weiterhin radikal persönliche Bekenntnisliteratur zu schreiben. „Nach einer wahren Geschichte“ heißt sowohl Delphine de Vigans Romanvorlage wie auch Roman Polanskis Verfilmung, die sich mit diesem Buch unerwartet schwertut.

Eigentlich gilt der Regisseur (84) ja seit seinem Debüt „Das Messer im Wasser“ als Spezialist für jenen dunklen Sog, der aus der brüchigen Wirklichkeit in den Wahn führt. Doch hier scheint er dem Psychodrama anfangs kaum zu trauen.

Ausgeburt der voyeuristischen Leser

Im Roman ist Elle nicht zuletzt die Ausgeburt der voyeuristischen Leser, die gierig das Herzblut der Autorin schlürfen. Dieser Aspekt klingt auf der Leinwand eher beiläufig an. Und auch die mögliche Lesart, Elle als Hirngespinst der womöglich schizophrenen Delphine zu sehen, verfolgt Polanski nicht wirklich. Stattdessen inszeniert er ein homoerotisch aufgeladenes Frauenduell, in dem das einstige Bond-Girl Eva Green den dankbareren Part hat: Domina-Attitüde, düstere Undurchschaubarkeit und pathologische Stimmungsschwankungen geben ihrer Figur etwas unwägbar Explosives. Allerdings muss man sich schon wundern, wie lange Emmanuelle Seigner als hochintelligentes Opfer braucht, um die arg offenkundige Gefahr zu spüren.

Solche Plausibilitätsprobleme überspielt die Regie in der zweiten Hälfte immerhin mit wachsender Spannung. Wenn sich Delphine schließlich im Treppenhaus ihrer Pariser Wohnung ein Bein bricht, mutiert Elle endgültig zur entmündigenden Betreuerin. Sie übernimmt mit der Korrespondenz auch die Karriere-Regie und verwandelt sich äußerlich von der Freundin in die Doppelgängerin.

Abhängigkeitshorror

Nun lässt der Abhängigkeitshorror aus Stephen Kings „Misery“ grüßen: brillant etwa jene nächtliche Tankstellenszene, in der die „Umsorgte“ erfährt, dass Elle keineswegs als ihr Double vor einer Schulklasse gesprochen hat. Zu den dramaturgischen Finessen des Drehbuchs von Olivier Assayas gehört zweifellos die Rache der Geisel, die nun selbst zur Vampirin wird. So nutzt sie Elles mitleidheischende Geständnisse ihrer Privatdesaster zum Bruch ihrer eigenen Schreibblockade. Doch als dieser „Verrat“ auffliegt, entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod.

Das Finale entschädigt dann für manche Durststrecken, und dennoch wirkt Roman Polanskis Regie insgesamt eher uninspiriert. Vom visuellen Furor, mit dem er einst in „Ekel“ (die Hände, die aus den Wänden nach Catherine Deneuve greifen!) oder „Der Mieter“ und „Rosemarys Baby“ innere Obsessionen in die Außenwelt stülpte, ist in diesem gediegenen Thriller nur noch wenig geblieben.

In Köln in der Filmpalette und im Cineplex Filmpalast.

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