Flüchtlinge am Flughafen Köln/Bonn Übermüdet, stumm, hilflos

Köln/Bonn · NRW rechnet in dieser Woche mit 17.000 Flüchtlingen. Die Helfer am Flughafen Köln/Bonn sind teilweise 15 Stunden am Stück im Einsatz - Eindrücke ihrer Arbeit vor Ort.

 Am Mittag stand Helfer Sebastian Brandt schon wieder im leeren Zelt.

Am Mittag stand Helfer Sebastian Brandt schon wieder im leeren Zelt.

Foto: Arndt

Einige leere Wasserflaschen auf Stehtischen, gestapelte Obstkisten in den Ecken und Warmhaltebehälter auf langen Tischen, darüber ein Schild mit der Aufschrift "Halal". Das bedeutet, dass diese Speisen und Getränke nach islamischen Recht zulässig sind.

Außer diesen wenigen stummen Zeugen deutet an diesem verregneten Morgen nichts mehr darauf hin, dass in dem Zelt noch wenige Stunden zuvor fast 600 Menschen mit Nahrung versorgt wurden. Diese sind in der Nacht zu Dienstag mit einem Sonderzug am Köln/Bonner Flughafen angekommen, der jetzt als neue "Drehscheibe" für die Verteilung von Flüchtlingen in NRW fungiert.

Fast alle sind am Morgen schon wieder weg, weitergeleitet in alle Himmelsrichtungen. Nur noch eine Hand voll Menschen sitzt auf den Bänken im Zelt. Sie starren ins Leere, ein etwa zweijähriges Kind weint bitterlich, sichtbar übermüdet und kaum in der Lage zu sitzen, geschweige zu stehen.

Die Mutter streichelt ihm ab und an beruhigend über den Rücken. Ein kaum älteres Geschwisterkind, das Gesicht ist mit einer Kapuze bedeckt, liegt quer auf einem Tisch. Kopf und Schulter hängen im Tiefschlaf an der einen Seite, die Beine an der anderen Seite herunter. Die Eltern, in sich zusammengefallen, blicken stumm und hilflos durch das Zelt.

Einige Helfer seit 15 Stunden im Einsatz

Bis zu 150 Helfer aus verschiedenen Hilfeorganisationen waren in der Nacht im Einsatz. Einige wenige sind noch da und warten, dass auch die verblieben Flüchtlinge abgeholt werden und in eine Erstaufnahmeeinrichtung gebracht werden. Irgendwo in NRW. Und dann?

Die Helfer wollen nach Hause, ins Bett. Einige sind seit 15 Stunden vor Ort im Einsatz. Und schon am nächsten Abend wird der nächste Zug eintreffen. Wie viele Flüchtlinge ihm entsteigen werden - das kann noch niemand sagen.

Eine erste Zwischenbilanz? "Alles ist friedlich und äußerst diszipliniert abgelaufen", berichtet Bernd Gessmann, Einsatzleiter von der Berufsfeuerwehr Köln. Exakt 574 gezählte Flüchtlinge, und nicht wie angekündigt 451, erreichten in der Nacht von Montag auf Dienstag um genau 3.41 Uhr den Flughafen.

Viele waren demnach nicht mit dem Sonderzug nach rund zehnstündiger Fahrt eingetroffen, sondern "von wo auch immer", sagt Gessmann. Gezählt seien sie gewesen, aber nicht registriert. Das passiert erst später in den 47 Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes.

"Hier kommt eine anonyme Masse an, die Menschen sind nicht einmal eine Nummer", berichtet der Feuerwehrmann, er steht noch unter dem Eindruck der Nacht. Da sah er völlig erschöpften Menschen ins Gesicht.

Gessmann spricht von einer "Qualität an menschlicher Not, die man sich nicht vorstellen kann". Einige hätten mit Koffern an der Hand an Reisende auf dem Flughafen erinnert, andere mit nichts außer den Kleidern am Leib und völlig ausgelaugt den Zug verlassen.

Frühgeborenes unter den Ankommenden

Unter den Angekommenen waren 84 Kinder unter zehn Jahren und ein erst sieben Tage altes Frühgeborenes, "das an der Grenze von Ungarn zur Welt gekommen sein soll", wie Sebastian Brandt, ebenfalls von der Einsatzleitung, erklärt.

Das Baby wurde mit seiner Familie sofort in ein Krankenhaus gebracht, um es der bei uns üblichen "U 1"- Erstuntersuchung von Neugeborenen zu unterziehen. Eltern und Kind werden auch vorerst bleiben, "denn wir wollten ihnen die Strapazen einer weiteren Reise nicht zumuten", sagt Brandt.

Weitere 29 Erwachsene und zwei Kinder mussten "sanitätsdienstlich versorgt werden", dann ging es nach der kurzen Erholungspause für alle weiter. Brandt berichtet von einem achtjährigen Jungen, der sich auf der langen Flucht blutige Füße gelaufen hatte: "So etwas ist mir noch nicht untergekommen ."

Das Kind habe keinerlei Empfindungen gezeigt, "weder geweint noch geschrien", so Brandt. Ein Anblick, der ihm sehr nahegegangen ist, Regungslos habe der kleine Junge nach dem Verbinden der offenen Wunden und riesigen Blasen wieder seine ausgetretenen Turnschuhe angezogen.

An Schlaf ist in der ganzen Nacht nicht zu denken. Der erste von insgesamt 20 Bussen - die Flüchtlinge kennen das Ziel nicht - startet bereits um 5.05 Uhr wieder, der letzte um 6.55 Uhr. Wohin es geht, wird von der Bezirksregierung Arnsberg vorgegeben, die bei der Verteilung der Flüchtlinge auf die Landeserstaufnahmeeinrichtungen federführend ist. NRW rechnet in dieser Woche mit 17.000 Flüchtlingen.

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