Organisation Help unterstützt Flüchtlinge Sehnsucht nach einem besseren Leben

BONN · Mehr als 80 000 Menschen aus den Balkanländern Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien haben nach Angaben der Bundesregierung im ersten Halbjahr 2015 in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Dort herrschen weder Bürgerkrieg noch systematische politische Verfolgung.

 Neue Chancen: Gemüsebauer Almir und Rafting-Guide Eldin in Bosnien-Herzegowina.

Neue Chancen: Gemüsebauer Almir und Rafting-Guide Eldin in Bosnien-Herzegowina.

Foto: HELP

Und anders als bei Flüchtlingen und Vertriebenen aus Kriegsregionen wie Irak und Syrien ist ihre Chance auf ein Bleiberecht gleich Null. Aber warum wollen gerade jetzt so viele nach Deutschland?

"Es geht um bessere Lebensumstände"

Warum jetzt, kann auch Karin Settele, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation Help - Hilfe zur Selbsthilfe mit Sitz in Bonn, nicht sagen. Aber warum es grundsätzlich so viele Menschen aus dem Westbalkan nach Deutschland zieht, ist für sie klar: "Es geht um bessere Lebensumstände. Und man weiß, dass es die in Deutschland gibt", erklärt sie. Die Diplom-Geografin kennt die Region, hat von 1995 bis 2007 dort die Help-Projekte koordiniert und ist auch heute noch regelmäßig vor Ort. "Die Perspektive der Menschen dort ist alles andere als berauschend. Die Jugendarbeitslosigkeit etwa in Bosnien und Herzegowina liegt bei 60 Prozent, die allgemeine Arbeitslosenquote bei 27 Prozent."

Dazu komme, dass unter den Migranten aus den Balkanländern viele Angehörige von Minderheiten seien, vor allem Roma. "Die werden in ihren Heimatländern ausgegrenzt, und das war schon immer so", erklärt Settele. "Das einzige wirtschaftliche Spielfeld, dass man ihnen überlässt, ist die Müllsortierung und -wiederverwertung. Sie sind schlecht oder gar nicht ausgebildet, leben am Rande der Gesellschaft."

Zahl der sicheren Herkunftsländer soll ihrer Meinung ausgeweitet werden

91 Pozent aller Zuwanderer aus Serbien waren im zweiten Quartal 2015 Angehörige der Roma, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken-Fraktion hervorgeht. Bei den Flüchtlingen aus Mazedonien war mehr als jeder Zweite ein Roma, bei denen aus Bosnien-Herzegowina waren es 47 Prozent. "Viele haben einfach die falsche Vorstellung, man könne hier leicht Aufnahme finden", sagt Settele. Sie unterstützt die Forderung, die Zahl der sicheren Herkunftsländern auszuweiten: "Die Menschen, die wirklich politisches Asyl benötigen, kommen in der Regel nicht aus den Balkanländern. Ein Roma braucht kein poltisisches Asyl, weil er nicht politisch verfolgt ist. Er braucht vor Ort Unterstützung."

Die Organisation Help versucht seit Jahren, das zu tun, was jetzt bei der Politik in aller Munde ist: Die Lebensumstände der Menschen zu verbessern. Settele hat selbst erlebt, dass dies nicht immer einfach ist, gerade in der Arbeit mit den Roma: "Die Kinder gehen oft gar nicht oder nicht regelmäßig zur Schule. Manche Roma-Familien wollen das auch gar nicht. Dort muss ein Entwicklungsprozess stattfinden, und das ist sehr schwierig."

Aber sie kennt auch Erfolgsgeschichten, aus Bosnien-Herzegowina zum Beispiel: Eldin Cakiç etwa, ein Rafting-Guide, der mit Unterstützung von Help seine Tourismus-Angebote ausweiten konnte. Oder eine Familie, die 2010 beim Bau eines Gewächshauses unterstützt wurde. "Heute stehen da vier Gewächshäuser, und vier Familien können von dem Geschäft leben. Diese Menschen werden sich nicht nach Deutschland aufmachen", sagt Settele.

"Oftmals sind es nur kleine Hilfen, die viel bewirken"

"Man kann die Wohnsituation verbessern, man muss für Bildung sorgen, man muss helfen, Einkommensmöglichkeiten zu schaffen" - für die Help-Chefin liegen die Herausforderungen und Handlungsoptionen auf der Hand. "Oftmals sind es nur kleine Hilfen, die viel bewirken", erklärt sie. "Wir versuchen, mit den Gemeinden vor Ort eine lokale wirtschaftliche Perspektive zu entwickeln. Wir unterstützen seit Jahren durchaus erfolgreich, kleine und mittlere Unternehmen im Tourismus, im Gewerbe- und Landwirtschaftsbereich bei der Gründung und Entwicklung, geben Starthilfe. Da könnte noch viel mehr geschehen. Die Gemeinden profitieren ja auch davon durch Steuereinnahmen." Allein in Serbien erwirtschaften 2183 mit Unterstützung von Help gegründete Betriebe inzwischen einen Umsatz von 9,7 Millionen Euro im Jahr.

Tut die Bundesregierung genug, um die Lage in den West-Balkanländern zu verbessern? "Da ist noch Luft nach oben", sagt Settele nach kurzem Nachdenken. "Wir benötigen etwa 2500 bis 3000 Euro, um eine Familie oder eine Unternehmensgründung zu unterstützen. Das ist nachhaltig und wirkt langfristig. Das ist nichts im Vergleich zu den Kosten die entstehen, wenn jemand nach Deutschland kommt, die Erstaufnahme durchläuft und nach drei oder mehr Monaten wieder abgeschoben wird."

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