Wie geht's weiter für Deutschland beim ESC? Wundenlecken nach einem Debakel

WIEN · Raphael kann es nicht fassen. Null Punkte. "Das geht doch wirklich gar nicht. So schlecht waren wir doch wirklich nicht." Seit Sonntagfrüh ein Uhr fährt der Taxifahrer Fans, Funktionäre und Journalisten von der Wiener Stadthalle in Hotels oder andere Unterkünfte im gesamten Stadtgebiet.

Heimkehr des Siegers: Måns Zelmerlöw, Gewinner des 60. Eurovision Song Contests (ESC), lässt sich am Sonntag auf dem Flughafen von Stockholm feiern.

Heimkehr des Siegers: Måns Zelmerlöw, Gewinner des 60. Eurovision Song Contests (ESC), lässt sich am Sonntag auf dem Flughafen von Stockholm feiern.

Foto: TT NEWS AGENCY

Vor ein paar Minuten wurde in der Halle der Schwede Måns Zelmerlöw mit 365 Punkten zum überragenden Sieger des 60. Eurovision Song Contests (ESC) gekürt. "Der war wirklich gut", ist auch die Meinung von Raphael. Doch mit seinen Fahrgästen gibt es im Moment nur ein Thema: das schlechte Abschneiden - von Österreich.

Das Gastgeberland erhielt am Ende eines glamourösen und wirklich gelungenen Abends keinen einzigen Punkt. "Das gehört sich doch wirklich nicht. Dem Gastgeber gibt man doch wenigsten ein, zwei Punkte", meint Raphael. Doch eins tröstet den 36-Jährigen dann doch: Auch Deutschland geht bei diesem Song Contest komplett leer aus.

Eine solche Blamage musste Deutschland zuletzt 1964 und 1965 verkraften. Damals war die Punktevergabe zwar noch anders geregelt, doch auch vor 50 Jahren stand am Ende eine Null auf dem Konto der Deutschen. "Es hat trotzdem ganz viel Spaß gemacht", lächelte Ann Sophie noch in der Nacht die Niederlage einfach weg. Und am Sonntag postet sie bei Facebook ein Video, in dem sie den schwedischen Siegersong "Heroes" (Helden) einfach spontan und mit viel Selbstironie umgetextet hat: "We are the Zeroes of our Time." Während der Punktevergabe sah dies aber noch ganz anders aus: Je mehr Länder ihre Ergebnisse verkündeten, umso klarer wurde die herbe Niederlage und umso niedergeschlagener wirkte auch die Hamburgerin im sogenannten Green Room.

Doch wie konnte es nun dazu kommen, dass Ann Sophie bei der ESC-Gemeinde durchfiel? Viele machen auch zwei Tage nach dem Finale noch die Tatsache dafür verantwortlich, dass die Sängerin mit ihrem Song "Black Smoke" nur als zweite Wahl nach Wien gefahren war.

Eigentlich hätte Andreas Kümmert Deutschland beim größten Gesangswettbewerb der Welt vertreten sollen. Doch der Soul-Sänger hatte nach seinem Sieg im Vorentscheid auf eine Teilnahme verzichtet - und so rückte Ann Sophie nach. International war dies besonders kritisch beäugt worden. Zudem konnte die 24-Jährige im Vorfeld auch in Wien nicht das Eis brechen. Österreichische Medien hatten ihr gar Allüren vorgeworfen.

Nicht so Måns Zelmerlöw. Der Schwede galt mit seiner Ohrwurm-Pophymne schon seit Wochen als Topfavorit. Er begeisterte zwar weniger mit einer besonders guten Stimme, konnte dafür aber mit seiner optisch spektakulären Show punkten. Per Projektion wurde ein Comic mit Strichmännchen auf die Bühne gezaubert, in dem Zelmerlöw die Hauptrolle spielte.

Ziemlich einzigartig. Dabei kam ihm sicher auch seine Bühnenerfahrung zugute. Denn der 28-Jährige hat daheim bereits die TV-Show "Let's Dance" gewonnen, spielte Hauptrollen in den Musicals "Grease" und "Romeo & Julia", moderierte Fernsehshows und ist ganz nebenbei auch noch erfolgreicher Komponist und Musiker. Der Sieg am Samstag in Wien setzt allem nun die Krone auf.

Nach der herben Niederlage Deutschlands beschäftigt nun alle die Frage, wie ein solches Debakel im kommenden Jahr in Schweden beim 61. ESC verhindert werden kann. Denn auch die Platzierungen der vergangenen zwei Jahre (die Bonner Formation Cascada belegte 2013 den 21. Platz, das Trio Elaiza wurde 2014 nur 18.) waren alles andere als zufriedenstellend. Schon Sonntagnacht kursierte ein Name im ESC-Pressezentrum und unter den Fans: Stefan Raab.

Immer, wenn der Entertainer beim Song Contest mitmischte - egal, ob als Sänger oder Produzent -, belegte Deutschland einen Platz weit vorne. Er war es auch, der Lena Meyer-Landrut 2010 zum Sieg führte. Allerdings hatte Raab bereits vor einigen Jahren mitgeteilt, dass er künftig nicht mehr zur Verfügung stehe. Klar ist inzwischen, dass Ann Sophie in Wien mehrfach nur ganz knapp die entscheidenden Top Ten verpasst hat, um wenigstens einen Punkt zu bekommen. "Sie hat in der Summe mehrfach den 11., 12. oder 13. Platz belegt. Punkte gibt es nur für die ersten zehn Plätze", so ESC-Experte Irving Wolther. "Das ist wie ein vierter Platz im Sport. Man geht knapp leer aus." Und: Bei den Jurys schnitt Ann Sophie besser ab als beim TV-Publikum. Lag es eventuell am Lied oder der eher kühlen Performance?

"Vielleicht war es das", meint auch Taxifahrer Raphael, der aber schon einen Plan für nächstes Jahr hat: "Dann geben sich Österreich und Deutschland gegenseitig zwölf Punkte - dann landen wir beide nicht auf dem letzten Platz."

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