Rudolf Kammerl: Medienbildung wird in Lehrplänen vernachlässigt

Medienbildung wird in den Lehrplänen stiefmütterlich behandelt, sagt die Studie "Medienbildung - (k)ein Unterrichtsfach" des Erziehungswissenschaftlers Rudolf Kammerl.

 Fordert Medienkompetenz als Fach: Rudolf Kammerl.

Fordert Medienkompetenz als Fach: Rudolf Kammerl.

Foto: Uni Hamburg

General-Anzeiger: Es wird gegenwärtig viel über die Vermittlung von Medienkompetenz in den Schulen geredet. Findet das Thema ausreichend Niederschlag in den Lehrplänen?

Rudolf Kammerl: Es gibt zwar in vielen Bundesländern Rahmenpläne, die auf die Vermittlung von Medienkompetenz im Unterricht abzielen, aber die sind zu wenig konkret und haben eine zu geringe Verbindlichkeit. Meist ist auf fünf, sechs Seiten die allgemeine Bedeutung der Medienbildung zusammengefasst. Bereits auf der Ebene der Lehrpläne der konkreten Unterrichtsfächer fehlen ausreichende Hinweise, wann tatsächlich in welcher Jahrgangsstufe was stattfinden muss. Es finden sich wenig Hinweise auf Qualitätssicherung oder auch eine Qualitätskontrolle. So fehlen zum Beispiel Lernstandserhebungen, die prüfen ob bestimmte Ziele tatsächlich erreicht worden sind.

GA: Kann ein eigenes Unterrichtsfach Medienkunde aus dem Dilemma herausführen?

Kammerl: Wir müssen unterscheiden zwischen Medienkunde, die eher die technischen Aspekte der Medien beleuchtet, und Medienbildung, die sich auch mit der Beurteilung von Medien und ihrer Anwendung befasst. Für ein eigenes Schulfach müssten natürlich entsprechende Unterrichts-Materialien erstellt werden. Die gibt es momentan nicht. Die Alternative dazu ist die stärkere Verankerung in den Fächern. Dafür müssten wiederum Verbindlichkeiten geschaffen werden.

GA: Besteht in dieser Frage Handlungsbedarf seitens der Politik?

Kammerl: Auf Kultusministerkonferenz-Ebene gab es schon in den 90er Jahren Beschlüsse, die Medienpädagogik an Schulen zu stärken, zum Beispiel 1995 und 1997. Die Frage muss erlaubt sein, warum so lange nichts passiert ist. Dringend erscheint mir eine Diskussion über den Bildungskanon. Egal ob als eigenes Fach oder als integriertes Element. Wie erhält Medienbildung künftig mehr Gewichtung? Müssen nicht in einer Zeit, die extrem von digitalen Medien geprägt wird, andere Unterrichtsinhalte weniger Bedeutung bekommen?

GA: Findet diese Diskussion statt?

Kammerl: Ja, aber sie wird stark von den Lobbyisten der jeweiligen Fächer geprägt. Diskutieren Sie mal mit einem traditionellen Deutschlehrer darüber, ob Hypertexte wichtiger sind als Gedichte. Oder versuchen Sie beispielsweise einem Lateinlehrer klar zu machen, dass sein Fach künftig weniger unterrichtet wird.

GA: Die Bildungspolitiker reden also nur und tun nichts?

Kammerl: Ja. Es wird Projektemacherei betrieben. Da wird gelegentlich mal was befristet gefördert. Die Breitenwirkung und Nachhaltigkeit fehlt. Warum nicht ein Fach Medienbildung, in dem es auch am Ende eine Note gibt?

GA: Macht sich dieses Manko schon bemerkbar?

Kammerl: Als Lehrender an einer Universität kann ich nur betonen, dass die Kompetenz, mit neuen Medien umzugehen, für die Studierfähigkeit eines jungen Menschen heute eine notwendige Voraussetzung ist.

GA: Also sind die Schulen heute weitgehend auf sich allein gestellt?

Kammerl: So ist es. Es gibt immer wieder punktuell Vorzeigelehrer oder Vorzeigeschulen, was aber nichts daran ändert, dass wir die strukturellen Bedingungen ändern müssen.

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