Die ersten Leser stehen an der Rotation

Die Männer an der neuen Druckmaschine des General-Anzeigers nehmen ihre nächtliche Arbeit ganz genau. Herausgeber Hermann Neusser legt mit der Millioneninvestition ein Bekenntnis zum Standort ab

Die ersten Leser stehen an der Rotation
Foto: Lannert

Eine Sirene heult, zeitgleich rotieren gelbe Warnlichter. Zischend entweicht Druckluft, dann geht ein erstes Zittern durch den Koloss aus 241 Tonnen Stahl und Elektronik. Das neue Rotationsmaschine läuft an, spannt das Papier, glättet seine Runzeln. Langsam beginnen auf der oberen Etage die Papierbahnen ihre Reise. Der Lärm schwillt an. Die Bahnen nehmen Fahrt auf, schneller, immer schneller, bis sie schließlich 11,33 Metern pro Sekunde über die Wellen fliegen. 23 Uhr in der Nacht zu Samstag beim General-Anzeiger im Dransdorfer Industriegebiet an der Justus-von-Liebig-Straße. Früher als an anderen Tagen beginnt der Druck für die dicke Wochenendausgabe von morgen.

„Das gedruckte Wort hat Zukunft“, blickt GA-Herausgeber Hermann Neusser viel weiter voraus. Und er führt keinen geringeren als Bill Gates als Kronzeugen an. Wenn auch nur, um den Microsoft-Chef und Internet-Guru zu widerlegen. Denn, so Neusser, wenn dieser Recht behalten hätte, dann gäbe es seit zehn Jahre keine Zeitungen mehr. Stattdessen bleibe der General-Anzeiger nach wie vor das Herzstück der Medienaktivitäten des Verlags. Während GA-Online nach Ansicht des Herausgebers als eine „hervorragende Ergänzung“ des gedruckten Produktes anzusehen ist.

Präzisionsarbeit aus der Schweiz ist es, die seit Ende Februar Nacht für Nacht den General-Anzeiger druckt. Ihre Druckwerke hören auf das technische Kürzel Wifag OF 370, konstruiert bei der Berner Firma Winkler, Fallert & Cie. 16,36 Meter lang, 13,80 Meter hoch und 7,34 Meter breit kann der Koloss fast schon als Haus durchgehen. Eine Rotationsmaschine für das Offset-Verfahren, das darauf basiert, dass sich Wasser und ölige Druckfarbe abstoßen.

Und das funktioniert so: Die Wasser saugende Oberfläche der Alu-Druckplatten zeigt das Negativ der späteren Seite. Die Platte wird benetzt, Farbe überzieht die dazwischen liegenden trockenen Flächen. Der Druckzylinder bildet die ölige Farbe seitenverkehrt auf einem Gummituch ab, dieses bedruckt dann wiederum das Papier. Der Umweg über das Gummi ist nötig, damit das Zeitungspapier nicht feucht wird und reißt.

Joachim Honnef steht im Führerstand der Maschine. Ein Schaltpult mit unzähligen Tasten und einem Display. Für ihn kein Problem. „Von der Bedienung ist das übersichtlicher und einfacher geworden“, sagt er. Was auch daran liegt, dass die neue Rotation mehr Elektronik beinhaltet als ihre Vorgängerin, die nach 16 Jahren in den Ruhestand geschickt wurde.

Die „Neue“, wie die sechs Männer der Schicht ihr Arbeitsgerät nennen, ist nicht nur schneller, sondern kann auch noch mehr als die alte. Beispielsweise mehr Farbe drucken, aber auch eine bessere Fotoqualität erreichen. Für gestochen scharfe Farbfotos sorgen nicht nur die Fotografen, sondern auch die zehn Punkte, die neuerdings unten auf jeder Zeitungsseite zu sehen sind. Farbregisterregelung, sagt der Fachmann. Der Laie lernt, dass sie die Referenz bilden, damit auch jedes bunte Pixel an der richtigen Stelle sitzt. Wobei sich jeder erdenkliche Farbton aus den Drucker-Grundfarben Cyan, Magenta, Yellow und Schwarz zusammenmischt.

Draußen vor dem verglasten Führerstand der Rota sieht Abteilungsleiter Theo Schneider nach dem Rechten. Er ist der lebende Beweis dafür, dass Drucker es mit ihrem Produkt ganz genau nehmen. Mit der Lupe prüft er das Druckbild. Und eilt mit seinen Männern zu einem Korb, in den die Maschine die ersten Exemplare ausspuckt. Makulatur nennen das die Fachleute. Als erste Leser nehmen sie diesen Ausschuss akribisch unter die Lupe, bis die Qualität stimmt.

Auch da hat die „Neue“ ihre Vorzüge. „Früher gab es deutlich mehr Makulatur, jetzt liegen wir bei weniger als einem Drittel davon“, sagt Schneider stolz. Den spürt er auch, wenn er an den Lernprozess denkt, den die GA-Drucker hinter sich gebracht haben, um die neue Maschine bedienen zu können. Inzwischen freuen sich alle darüber, dass die bis zu 1,5 Tonnen schweren Papierrollen im Keller der Anlage nicht mehr mit Muskelkraft bewegt werden müssen. „Der Rollenwechsler fährt sie automatisch rein.“

Keine Automatik gab es beim sechs Monate währenden Umbau im Druckhaus. In der Wand klaffte ein meterhohes Loch, durch das die alte Maschine Teil für Teil heraus- und die neue hineingehievt worden ist. Während also Stück für Stück die neue Rotation die alte ersetzte, ging jede Nacht der normale Betrieb weiter. Ein logistischer und technischer Drahtseilakt. Rolf Jacobi, für Wartung und Instandhaltung zuständig, hat den Umbau begleitet und einen passenden Vergleich auf Lager: „Das ist, als ob man ein Flugzeug in der Luft auftankt.“

Für ausreichenden Treibstoff für die gedruckten Nachrichten haben die Gesellschafter mit ihrer Millioneninvestition in die Zukunft der Zeitung gesorgt. Doch der Verlag schaffte nicht nur die neue Druckmaschine, sondern auch ein neues Redaktionssystem an. Mehr oder weniger zeitgleich begann eine Arbeitsgruppe unter dem neuen Chefredakteur Andreas Tyrock die strategische Planung für die Zeitung der Zukunft. Rotation und Redaktionssystem laufen bereits, jetzt steht noch der letzte Baustein aus, um den General-Anzeiger fit für die Zukunft zu machen.

Hermann Neusser schürte bereits die Vorfreude auf einen „neuen GA, der dennoch der alte bleiben wird“. Dazu werde beispielsweise die regionale Kompetenz noch weiter ausgebaut, verriet der Herausgeber vorab. Und nicht nur in dieser Hinsicht bekennt sich das 1725 gegründete Familienunternehmen durch die neue Investition zu seinen Wurzeln und zum Standort. „Wir zeigen damit, dass wir an die Stärken Bonns und der Region glauben.“

Nicht nur in der Druckerei werden dadurch Arbeitsplätze gesichert, für den ganzen Betrieb inklusive Redaktion und Anzeigenabteilung bedeutet der Rotationsneubau ein Zeichen, dass das Unternehmen auch in der nächsten Generation Zeitungen drucken will und wird. Kein Wunder also, wenn der Herausgeber sich mit den Lesern auf weitere Verbesserungen freut: „Lassen Sie sich überraschen, in wenigen Wochen ist es so weit.“

Schon heute Nacht aber stehen Theo Schneider und seine Leute wieder an der Rotation. Sie greifen zu den Gummihandschuhen, nachdem eine der neun Lokalausgaben gedruckt und die Maschine zur Ruhe gekommen ist. Sie tauschen die Druckplatten aus, damit die Menschen in Bonn, Bad Godesberg, Beuel und Hardtberg, aber auch an der Ahr und der Sieg, in Bad Honnef, Königswinter und in den Orten der beiden Vorgebirgsausgaben das Neueste auch aus ihrer nächsten Umgebung erfahren. Dafür geben sie und ihre „Neue“ alles, drucken bis zu 40 000 Exemplare in der Stunde. Und deshalb heult jetzt wieder die Sirene, drehen sich die gelben Lichter, die Druckluft entweicht – und die Papierbahnen setzen sich in Bewegung.

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