Interview mit Helmut Heinen Altersarmut bleibt oft verborgen

Bonn · Lokale und regionale Tageszeitungen in Deutschland engagieren sich für Menschen in Not mit unterschiedlichen Aktionen. Helmut Heinen, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger und Herausgeber der Kölnischen Rundschau, erklärt, warum sie sich für Bedürftige einsetzen. Die Fragen stellte Anke Vehmeier.

 Senioren bleiben im Alter oft nur die Erinnerungen an frühere Zeiten und ihre Lieben.

Senioren bleiben im Alter oft nur die Erinnerungen an frühere Zeiten und ihre Lieben.

Foto: dpa

Die Aktion Weihnachtslicht des General-Anzeigers und DIE GUTE TAT der Kölnischen Rundschau sind mit die ältesten Hilfsaktionen deutscher Lokal- und Regionalzeitungen. Woher kam die zeitgleiche Idee dazu im Jahr 1952?
Helmut Heinen: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebten viele Menschen in großer Not. Hinzu kam, dass mit der Währungsumstellung im Jahr 1948 bedürftige ältere Menschen ihre Altersversorgung verloren hatten. Es war klar, dass gerade sie weder die Zeit noch die Kraft haben würden, sich eine verlässliche Rente erneut zu erarbeiten. Das war für meinen Großvater Reinhold Heinen der Beweggrund, die damals noch Altenhilfswerk genannte Aktion zu starten. 30.000 Mark kamen im ersten Jahr zusammen, in der nun Mitte Januar zu Ende gegangenen 62. Sammelaktion waren es rund 729.000 Euro. (Die Aktion Weihnachtslicht 2014/2015 läuft noch. Das Spendenergebnis veröffentlichen wir Ende der nächsten Woche. Anm. d. Red.)

Warum setzen sich Tageszeitungen für Benachteiligte ein?
Heinen: Unsere Zeitungen haben eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Sie vermitteln Information und Meinung, sie unterrichten und unterhalten, sie sind Marktplatz. Und wir haben, wenn wir unsere Sache gut machen, die Kraft und das Privileg, Bewegung in einer und für eine demokratisch verfasste Gesellschaft anzustiften. Dazu gehört zum Beispiel, auf das Schicksal von Benachteiligten und Bedürftigen hinzuweisen - und eben auch ganz konkret etwas für sie zu tun. Industrieunternehmen nennen so etwas heute Corporate Social Responsibility, wir nennen es Adventskalender, Weihnachtslicht oder DIE GUTE TAT. Das funktioniert natürlich auch über die Altenhilfe hinaus. Ich erinnere mich noch gut an die großen Spendenaktionen anlässlich der Überschwemmungen im Rheinland vor etwa 20 Jahren.

Welche Rolle spielt der lokale Aspekt?
Heinen: Wenn Sie konkrete Schicksale von Menschen aus dem Verbreitungsgebiet einer Zeitung schildern, gibt es aufgrund der Ortsnähe sicher nicht nur eine gewisse emotionale Verbundenheit zwischen Spendern und Empfängern der Hilfe. Es lässt sich auch leicht überprüfen, was mit den gespendeten Geldern geschieht und ob die Mittel verantwortungsvoll eingesetzt wurden. Dies ist vielen Spendern wichtig und oft ein maßgeblicher Grund dafür, dass sie die Hilfsaktion unterstützen. Ein wichtiger Grundsatz ist, dass die Zeitungen die Spenden ehrenamtlich sammeln, jeder Cent kommt wirklich Menschen in Not zu Gute.

Wie hat sich die Situation bedürftiger Senioren verändert - sind es heute mehr als früher und wie sieht das in Zukunft aus?
Heinen: Die Rundschau-Altenhilfe und das Weihnachtslicht haben seit ihrer Gründung immer wieder darauf hingewiesen, dass Altersarmut ein drängendes soziales und gesellschaftliches Problem ist. Altersarmut spielt sich meist im Verborgenen ab. Viele Bedürftige schämen sich für ihre Notlage und nehmen Hilfe oft nur zögerlich an, weil sie darin das Eingeständnis sehen, versagt zu haben. Die Situation vieler älterer Mitmenschen mitten unter uns ist prekär. Sie sind am Lebensabend in Not geraten, oft ohne eigenes Verschulden, meist aber mit einer bedrückenden Perspektive. Und die Zahl derer, die auf Hilfe angewiesen sind, wird in Zukunft noch steigen. Viele Arbeitnehmer sehen sich heute nicht in der Lage, sich mit einer entsprechenden privaten Altersvorsorge zusätzlich abzusichern. Die Folgen sind absehbar. Das Bild vom Ruhestand im Wohlstand hat Brüche bekommen.

Wie entwickelt sich die Bereitschaft der Spender?
Heinen: Fast alle deutschen Zeitungen rufen, meist um die Weihnachtszeit herum, zu Spendenaktionen auf, wobei die Aktivitäten ganz unterschiedliche Ziele haben: Nicht nur ältere Bedürftige in Not; häufig werden auch Kinder in schwierigen Verhältnissen oder Familien, die schwer kranke Angehörige pflegen, bedacht. Über die vergangenen Jahrzehnte sind die Spendenbeträge für die Hilfswerke der Zeitungen immer weiter gewachsen. Heute stagnieren sie nach meinem Eindruck auf einem sehr hohen Niveau. Das dürfte weniger an einer schwindenden Großzügigkeit der Deutschen liegen, sondern eher an der wachsenden Zahl unterstützungswürdiger Projekte, für die zum Beispiel auch über soziale Netzwerke und im Internet gesammelt wird.

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