Große Koalition "Die Furcht ist beinahe traumatisch"

Berlin · Trotz demonstrativer Ablehnung will sich die SPD an die Bildung einer großen Koalition wagen. Es ist 21.15 Uhr und noch etwa 20 Redner stehen auf der Sprech-Liste Sigmar Gabriels.

 Foto aus der Entfernung: SPD-Chef Sigmar Gabriel und der brandenburgische SPD-Politiker Matthias Platzeck sind auf dem Weg in den Konvent.

Foto aus der Entfernung: SPD-Chef Sigmar Gabriel und der brandenburgische SPD-Politiker Matthias Platzeck sind auf dem Weg in den Konvent.

Foto: afp

Es gab einen nicht erwarteten Andrang; man hatte ziemlich schnell die Redezeit auf drei Minuten beschränkt. Die Diskussion muss sehr lebhaft gewesen sein.

Im Foyer des Brandt-Hauses erläuterten die Politiker aus der zweiten Reihe ihre Eindrücke von der Debatte. Der Fahrplan geriet völlig aus den Fugen. Das merkte man an ein er Kleinigkeit: Geplant war "ab 21 Uhr" ein Statement des SPD-Chefs vor der Presse. Es verschob sich bis nach 22 Uhr. Aber das ändert nichts an dem Lob mehrerer Vorstandsmitglieder für ihren Parteivorsitzenden, der das "unheimlich gut gemanagt" hat.

Der innerparteiliche Diskussionsbedarf war also erheblich. Für die rückblickende Aufarbeitung des zweitschlechtesten SPD-Ergebnisses bei Bundestagswahlen blieb wenig Spielraum. Die Frage nach Fehlern in der SPD-Wahlkampfführung oder dem Auftreten von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wurden zurückgedrängt von der Diskussion um die Diskussion, wie sich die SPD in Sachen "großer Koalition" positionieren soll.

Die Berichte aus den SPD-Landes- und Bezirksverbänden, die deren Vertreter vor den Delegierten ablieferten, waren von strikter Ablehnung eines SPD-Gangs in die große Koalition gekennzeichnet. "Keine Lust auf die Koalition mit der schwarzen Witwe", so ein Teilnehmer aus Nordrhein-Westfalen. SPD-Fraktionsvize Elke Ferner: Beim Gedanken an eine große Koalition "kriege ich Pickel im Gesicht." Das brachte gestern Abend die Stimmung an der Basis auf den Punkt. Die Kanzlerin gilt als Furcht einflößende Politikerin, die ihre Partner erst umarmt, um sie dann zu vernichten. Die SPD hat zwischen 2005 und 2009 da so ihre Erfahrungen gemacht. "Diese Furcht ist beinahe traumatisch", meint ein Delegierter.

Alle Augen richteten sich gestern Abend auf Parteichef Gabriel - und auf die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Die Bundesvize hatte aus der Gruppe der Landesregierungschefs am intensivsten gegen eine Elefanten-Hochzeit mit der CDU gewettert. Man habe in Düsseldorf nicht umsonst selbst in schwierigsten Zeiten an einer rot-grünen Koalition auch als zeitweilige Minderheitsregierung festgehalten. Eine große Koalition würde einen "verheerenden Eindruck" hinterlassen. Die Stimmung an der Basis sei in dieser Frage eindeutig.

Dennoch stellte sich die NRW-Ministerpräsidentin hinter den Gabriel-Vorschlag. Er sieht vor, dass man in Sondierungsgespräche mit den Unions-Parteien eintreten solle. Die Betonung liegt auf dem Wörtchen "Sondierung", bezeichnet also eine Phase der "vorsichtigen Erkundung". Wenn die Sondierung erfolgreich sein sollte, müsste vor dem Eintritt in konkrete Koalitionsverhandlungen der Konvent erneut gefragt werden.

Um Schwierigkeiten mit Ladungsfristen zu umgehen, wurde gestern Abend die Tagung des Konvents formell nur unterbrochen. Wenn diese Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sein werden, müsste dann die Basis entscheiden. Das sind rund 470 000 Genossen. Bei einer unterstellten Abstimmungs-Beteiligung von 50 Prozent bedeutet dies: 235 000 SPD-Mitglieder würden über die Koalitionsbildung entscheiden.

Abgeschlossen werden soll das Verfahren tunlichst bis zum Bundesparteitag in Leipzig, der vom 14. bis zum 16. November stattfindet.

Dies ist für viele ein zu ambitionierter Zeitplan.

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