Namensstreit an der Uni Bonn Henry Kissinger - Friedensengel oder Kriegsverbrecher?

BONN · Der Protest kam langsam, dann aber ziemlich gewaltig. Fast ein Jahr ist es her, dass die Bonner Universität die geplante Einrichtung einer Henry-Kissinger-Professur und deren Finanzierung durch Verteidigungsministerium und Außenministerium bejubelt hat.

"Die ,Henry-Kissinger-Professur' beflügelt Forschung und Lehre auf den Gebieten der internationalen Beziehungen und der Völkerrechtsordnung, intensiviert den Dialog zwischen Wissenschaft und Politik und setzt einen neuen Akzent auf dem Gebiet der internationalen Sicherheitspolitik", wurde Rektor Jürgen Fohrmann im Mai 2013 in einer Pressemitteilung zitiert. Und: "Die Ansiedlung der Professur an der Universität Bonn betont außerdem die enge Verbundenheit Henry Kissingers mit Bonn."

Das mag sich auch der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) gedacht haben, vielleicht auch der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU). Andere sehen das anders. In linksgerichteten Kreisen gilt Henry Kissinger, der als Heinz-Alfred Kissinger am 27. Mai 1923 im fränkischen Fürth geboren wurde und mit seiner jüdischen Familie 1938 vor den Nationalsozialisten fliehen musste, als Kriegsverbrecher.

Während Westerwelle den ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater, US-Außenminister und Friedensnobelpreisträger als "Vordenker der Kunst des Machbaren" lobt, werfen seine Gegner ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei der Verlängerung und Intensivierung des Vietnamkriegs vor, zudem Verletzung des Völkerrechts, etwa durch seine Rolle beim Militärputsch in Chile im Jahr 1973.

Erst einmal geschah im vergangenen Jahr jedoch: nichts. Es wurde Juli, bis sich erster Protest regte. Die Grüne Hochschulgruppe Bonn kritisierte die Politik des Republikaners Kissinger und befand: Mit dem Friedensforschungsinstitut Bonn International Center for Conversion und dem Institut für Historische Friedensforschung hätten sich Stadt und Universität dafür entschieden, einen Beitrag für eine friedlichere Welt zu leisten. Die Einrichtung einer Henry-Kissinger-Professur konterkariere diesen Ansatz.

Nach und nach schlossen sich andere der Kritik an: der Allgemeine Studentenausschuss (Asta), eine "Initiative Zivile Uni Bonn" mit einer Petition im Internet und jetzt der wissenschaftliche Beirat des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac, dem weitere Wissenschaftler folgten. Insgesamt 109 Unterzeichner, unter ihnen so bekannte wie die Politologen Alfred Grosser, Elmar Altvater und Christoph Butterwege, stoßen sich sowohl an der Namensgebung der Professur als auch an deren Finanzierung durch das Bundesverteidigungsministerium.

Einige Tage zuvor schon hatte sich ein Politiker zu Wort gemeldet, der nicht unmittelbar dem linken Spektrum zuzuordnen ist. Willy Wimmer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Verteidigungsminister in den Jahren von 1988 bis 1992, ist Christdemokrat. "Ich halte diese Entscheidung für empörend", schrieb der 70-Jährige vor einigen Tagen an Uni-Rektor Fohrmann. Niemand habe so sehr "in den Jahren vor dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ... die Beseitigung der bestehenden völkerrechtlichen Ordnung gefordert" wie Henry Kissinger. An der neuen Professur wird all dies wohl nichts ändern.

"Wir bedauern, dass die Einrichtung nicht von allen befürwortet wird", sagte Unisprecher Andreas Archut gestern. "Aber es bleibt dabei." Das Berufungsverfahren sei schon weit fortgeschritten; in Kürze werde bekannt gegeben, wer die Professur innehaben soll. "Ich vermute, dass sich die Gemüter dann beruhigen werden." Internationale Sicherheitspolitik sei immerhin eine drängende, moderne Frage. "Und das wird keine Professur, um Henry Kissinger zu erforschen."

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