Doktortitel an der Uni Bonn Zwischen Leistung und Lametta

BONN · Am Beispiel Ursula von der Leyen droht ein in Fachkreisen verbreitetes Unbehagen an der akademischen Würde des "Dr. med." plötzlich zum öffentlichen Skandal zu werden. Vor einem Vierteljahrhundert soll die heutige Bundesverteidigungsministerin in ihrer Doktorarbeit von anderen abgeschrieben haben, ohne sie zu zitieren.

Dafür habe sie aber andererseits auch auf ganz abwegige Literatur verwiesen, behaupten Spürnasen auf der vielbeachteten Internetplattform Vroniplag. Von der Leyen selber bestreitet zumindest, plagiiert zu haben. Denn Plagiate sind das Falschgeld in der Wissenschaft, das die Glaubwürdigkeit des Betrügers zerstört - wenn er denn erwischt wird.

Tatsächlich kommen jedes Jahr mehr als 7000 medizinische Dissertationen hinzu, mehr als in jedem anderen Fach. Wie viele falsche Blüten darunter sind, bleibt bei der großen Zahl im Dunkeln. Denn die allermeisten Qualifikationsschriften verstauben einfach in den Bibliotheken. Kritische Lektüre bleibt die Ausnahme und kann schnell "zur Katastrophe führen", spottet der Philosoph Peter Sloterdijk.

Aber was bedeutet denn der "Dr. med." eigentlich? Kein Arzt muss den Titel haben; er kann auch weiter praktizieren, wenn er ihn verloren hat. Außerhalb der Hochschullaufbahn dient der akademische Namenszusatz höchstens dem Sozialprestige. Jeder zweite Mediziner verzichtet heute darauf. Im übrigen kratzt der Wissenschaftsrat, das höchste Beratergremium der Hochschulpolitik, schon seit zehn Jahren an der Promotion. Das fachliche Niveau der medizinischen Doktorarbeit sei üblicherweise nicht höher als bei einer Diplom- oder Master-Prüfung. Der künftige Dr. med. schreibt seine Dissertation meist nebenbei schon während des Studiums, oft in ein paar Monaten als kleineres Stück von weniger als 100 Seiten. Doktoranden anderer Fakultäten haben vorher schon eine Bachelor- und Master-Arbeit verfasst, gewissermaßen als Training für den höherwertigen Doktorgrad. Die medizinischen Fakultäten lehnen aber eine eigene Promotionsphase nach dem Studienabschluss ab, weil dadurch die berufspraktische Facharztausbildung hinausgezögert würde. Allerdings: Auch der angehende Lehrer oder Jurist, der zusätzlich noch gern den Doktor machen will, schiebt damit den "Vorbereitungsdienst" bis zur vollen Berufsqualifikation meist um zwei, drei Jahre hinaus.

Die mehrfach wiederholte Forderung des Wissenschaftsrates nach mehr Qualität bei der Mediziner-Promotion blieb nicht ohne Wirkung. So führte etwa die Bonner Fakultät voriges Jahr neben dem traditionellen Dr. med. in bestimmten Fachrichtungen auch einen neuen "Medical Doctor / PhD" nach angelsächsischem Vorbild ein: Dabei dauert das forschungsorientierte Promotionsstudium wie in den Naturwissenschaften in der Regel drei Jahre. Es setzt sich vor allem in neuen medizinischen Grundlagenfächern wie der modernen Gentechnik durch.

Ebenfalls können Bewerber ohne Medizinstudium den PhD (Doctor of Philosophy) auch etwa in der Medizinischen Soziologie machen. Dabei können ausgewählte Stipendiaten oder angestellte Hilfskräfte in Bonner Graduierten- oder Promotionskollegs arbeiten. Die dort versammelte Schwarm-Intelligenz soll jeden einzelnen beflügeln. Ähnliche Angebote gibt es auch an anderen Universitäten, etwa an von der Leyens' Heimathochschule in Hannover.

Die neuen Abschlüsse führen freilich zu einigem Titelwirrwarr. Beispielsweise vergibt die Uni Frankfurt Nichtmedizinern statt des PhD einen streng wissenschaftlichen "Dr. rer. med.". Zudem tragen manche Hochschulen der wachsenden Spezialisierung und Anreicherung der Forschung mit einem zusätzlichen Doktor der Humanbiologie (Dr. biol. hum.) Rechnung.

Ferner müssen Bewerber und ihre Betreuer in Bonn und an anderen Unis einen Doktoranden-Vertrag mit genauer Themenvorgabe schließen und beim Fachbereichsvorstand hinterlegen. Damit soll reinen Gefälligkeitspromotionen vorgebeugt werden. Alle organisatorischen Vorkehrungen können wissenschaftliches Fehlverhalten in Einzelfällen aber nie ganz ausschließen.

Vroniplag stellt aktuelle medizinische Dissertationen aus Münster und der Berliner Charité gleich im Dutzend unter Plagiatsverdacht. Auch die Bonner Fakultät überprüft jetzt nachträglich zwei Fälle. Dabei nimmt die Münsteraner Unileitung nicht zuletzt die Hochschullehrer und Gutachter ins Visier. Dieser Tage empfahl sie dem Medizinischen Fachbereich sogar, einem Professor die üppige finanzielle, personelle und räumliche Ausstattung seines Lehrstuhls bis auf ein Minimum wegzunehmen - wegen "grober Vernachlässigung der Betreuungspflicht".

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