Universitätsklinik Bonn Hilfe für Neugeborene in der Ukraine

BONN · Viele Jahre hat die Ausbildung der ukrainischen Kinderärztin Oksana Kuzenko gedauert. Dann kam sie nach Bonn, um nochmals zu lernen.

 Wissenstransfer nach Osteuropa: Die ukrainische Kinderärztin Oksana Kuzenko (rechts) bei ihrer Hospitation an der Bonner Universitätklinik. Hier besucht sie mit Sonja Stutte ein Frühchen auf der Neatologischen Intensivstation.

Wissenstransfer nach Osteuropa: Die ukrainische Kinderärztin Oksana Kuzenko (rechts) bei ihrer Hospitation an der Bonner Universitätklinik. Hier besucht sie mit Sonja Stutte ein Frühchen auf der Neatologischen Intensivstation.

Foto: Axel Vogel

Die 48-Jährige arbeitet an der Universität ihrer Heimatstadt Iwano-Frankiwsk (die hat rund 220.000 Einwohner und liegt in der Westukraine) am Lehrstuhl für Neonatologie und Pädiatrie, der sich mit der Medizin und Vorsorge für Früh- und Neugeborene beschäftigt. Dort kämpfen die Mediziner "mit einer im internationalen Vergleich hohen Säuglings- und Kindersterblichkeit", berichtet sie.

Es fehle nicht nur an an medizinischem Gerät, Hygiene- und Diagnostikstandards sowie an Vorsorgebewusstsein der Eltern, sondern auch an Medikamenten - "zumal viele im Westen gebräuchliche Präparate keine Zulassung in der Ukraine haben und so von den Eltern selbst besorgt, gekauft und verabreicht werden müssen".

Die Ukrainerin nimmt an einem vor rund drei Jahren auf Regierungsebene vereinbarten deutsch-ukrainischen Projekt über Zusammenarbeit auf ihrem Fachgebiet teil. Initiiert hat es Professor Wolfgang Holzgreve, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Bonner Uniklinik. Nach rund einjähriger Vorbereitungszeit durfte Kuzenko (48 Jahre alt und bereits Großmutter) auf Kosten des Bundesgesundheitsministeriums nach Deutschland reisen.

Krise im Gesundheitsbereich

Im Westen ist kaum bekannt, dass die Ukraine neben dem Bürgerkrieg und der angespannten wirtschaftlich-sozialen Lage auch eine Krise im Gesundheitsbereich durchlebt. Betroffen ist auch die Säuglings- und Kinderheilkunde: "Leider ist die Sterblichkeitsrate von Neugeborenen und Kleinkindern noch immer verhältnismäßig hoch", sagt Holzgreve. Von 1000 Kindern unter einem Jahr seien 2013 in Deutschland drei gestorben - in der Ukraine waren es neun. "Dies möchten die Kollegen in der Ukraine dringend ändern, und wir möchten mit dieser Kooperation dazu beitragen."

Dazu ermöglicht das Projekt ukrainischen Fachärzten nicht nur eine mehrmonatige Hospitanz in deutschen Krankenhäusern und Kliniken, die sich auf Säuglings- und Kinderheilkunde spezialisiert haben, erklärt Antje Thomas, die am Bonner Klinikum Koordinatorin für das Projekt ist. Die Federführung liege beim Gesundheitsministerium, Fachärzte beteiligten sich durch Vorträge und Symposien in der Ukraine. Die Uniklinik stellt ihre Ärzte für die Fortbildungen frei, mehrere Hundert haben bereits an den mehrtägigen Seminaren teilgenommen.

Für das Projekt nach Deutschland gereist sind bislang vier ukrainische Ärzte. Kuzenko hospitiert für insgesamt drei Monate in Deutschland - sechs Wochen an der Bonner Uniklinik, sechs Wochen an der in Frankfurt. Sie will Einblick in die Struktur deutscher Krankenhäuser gewinnen, Leitlinien der Diagnostik ebenso kennenlernen wie die der Behandlung. "Dann will ich meine Erkenntnisse in der Ukraine mit Kollegen teilen und weitergeben."

Aha-Erlebnisse beim Zuschauen

Selbst behandeln darf Kuzenko in Deutschland nicht - dazu fehlen ihr ausreichende Sprachkenntnisse. Sie begleitet die Fachärzte auf der Gynäkologie und Geburtsstation und hat dabei viele Aha-Erlebnisse. Etwa, dass auf der Bonner Frühgeborenstation jedes Kind ein eigenes Stethoskop bekommt und dass Ärzte und Pfleger jeweils eigene Kleidung für jedes Kind tragen - zur Vermeidung oft lebensgefährlicher Infekte. Kreislauf-, Ernährungs- und Infusionstherapien für Neugeborene haben sie ebenso aufmerken lassen wie überhaupt das pränatale Diagnostik- und Behandlungsspektrum. "Diese Möglichkeiten haben wir nicht, um die Kindersterblichkeit zu senken. Das ist hier schon ein sehr hohes Niveau."

Vorsorgeuntersuchungen gebe es zwar auch in ihrer Heimat, aber nicht mit solcher Technik. Erschwerend komme hinzu: "Viele Frauen stammen aus sehr einfachen Verhältnissen und verstehen nicht, warum eine Vorsorgeuntersuchung notwendig ist." Auch wirke das alte sowjetische System noch vielerorts nach: "In Gestalt allmächtiger Ärzte und eher folgsamer Patienten." Dessen ungeachtet sei der Ausbildungsstand ukrainischer Kinderärzte hoch.

Mehr Aufklärung und Hilfe für werdende Mütter soll es nun vor allem in 27 geplanten Perinatalzentren in der Ukraine geben, von denen elf fertig sind, ergänzt Antje Thomas. Eines entsteht auch in Iwano-Frankiwsk. Die Ukraine soll Gebäude und Einrichtung stellen, deutsche Ärzte für die Ausbildung der dortigen Mediziner sorgen. Was die Ukraine nach den bisherigen Erfahrungen von Oksana Kuzenko besser machen muss: "Es fehlt uns an verbindlichen Leitlinien bei Diagnostik und Behandlung." Dass nichts von ihrem neuen Wissen verlorengeht, hat sie bereits vor ihrer Rückreise sichergestellt. Fast jeden Abend hat sie Mails in die Ukraine geschickt - damit auch ihre Kollegen dort auf dem neuesten Stand sind.

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