Indische Geschichte Die Übersetzer der Großmoguln

BONN · Forscher der Uni Bonn untersuchen, warum und wie indisches Wissen in die persische Sprache übertragen wurde.

 Unter anderem mit Astrologie befasst sich Professorin Eva Orthmann beim Projekt "Perso-Indica", das sich um Übersetzungen aus indischen Sprachen ins Persische dreht.

Unter anderem mit Astrologie befasst sich Professorin Eva Orthmann beim Projekt "Perso-Indica", das sich um Übersetzungen aus indischen Sprachen ins Persische dreht.

Foto: Volker Lannert

Der Wahlsieg des umstrittenen Nationalisten Narendra Modi hat das schwierige Miteinander von Hindus und Muslimen in Indien wieder ins Blickfeld der Welt gerückt. Er ist aber nur das neueste Kapitel einer langen, problematischen Geschichte zweier Kulturen - denn seit Jahrhunderten ist auch der Islam ein Teil der indischen Gesellschaft.

Mehr als ein halbes Jahrtausend lang nämlich herrschten Muslime über große Teile des indischen Subkontinents: Im Jahre 1206 entstand zunächst das "Sultanat von Delhi", ihm folgte von 1526 bis 1858 das Reich der Großmoguln. Die Eroberer fanden eine hoch entwickelte Kultur vor: philosophische Lehrbücher und historische Epen waren etwa darunter, erotische Dichtung, aber auch wissenschaftliche Untersuchungen etwa zur Medizin, Mathematik und Astronomie.

Vieles ließen die neuen Herrscher in die Sprache der muslimischen Eliten in Indien übersetzen, ins Persische. Es war vielleicht der weltweit bedeutsamste Kulturtransfer von einer Sprache zur anderen, seit die wissenschaftlichen Texte der griechischen Antike ab dem 8. Jahrhundert ins Arabische übersetzt wurden - und so in den Bibliotheken von Bagdad oder Damaskus die buchfeindlichen Wirren des europäischen Frühmittelalters überlebten.

Mit dieser bedeutsamen Begegnung zwischen hinduistischer und muslimischer Kultur befasst sich das Forschungsprojekt "Perso-Indica": Professorin Eva Orthmann von der Abteilung für Islamwissenschaft und Nahostsprachen betreut es gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Fabrizio Speziale von der Universität "Sorbonne nouvelle" in Paris. Beteiligt ist auch Professor Carl W. Ernst von der North-Carolina-Universität in Chapel Hill (USA).

"Perso-Indica" ist in vieler Hinsicht ein Pionierprojekt, sagt Eva Orthmann: "Zum Beispiel, weil wir nicht einmal wissen, wie viele solche Texte es überhaupt gibt. Der erste Schritt ist deshalb, sie alle zu erfassen." Die Forscher haben darum zunächst eine Online-Datenbank konstruiert, in die zahlreiche Experten weltweit ihre Erkenntnisse eintragen sollen.

Anschließend stellt sich für jeden Text eine Vielzahl von Fragen: Wer ließ welchen Text übersetzen? Wann und wo? Für welchen Leserkreis? Und warum? "Solche Übersetzungen macht man nicht einfach so", sagt die Islamwissenschaftlerin. "Sie kosten viel Geld. Wir fragen also: Welche Interessen standen dahinter?" Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. "Für Medizin und Mathematik lässt sich ganz pragmatisch ein wissenschaftliches Interesse annehmen." Aber was hatten die Mogulkaiser wohl vor, als sie eine persische Version des Nationalepos "Mahabharata" erarbeiten ließen? Es ist vier Mal so lang wie J.R.R. Tolkiens ganzer "Herr der Ringe" - eine komplette Übersetzung ist dermaßen viel Arbeit, dass es bislang auch keine ins Deutsche gibt, nur ins Englische.

Professorin Orthmann vermutet dahinter eine politische Absicht: "Eine Theorie ist, dass die Mogulkaiser das Epos vor allem als eine Darstellung von indischen Herrschern und ihrer Geschichte verstanden." Indem sie diese Geschichte in ihre eigene Literatur einfügten, stellten sie sich zugleich im Gegenzug selbst in die Tradition der indischen Könige.

Im 18. Jahrhundert begann der Stern der Moguln zu sinken: Die Briten eroberten Indien und erlagen bald selbst der Faszination der jahrtausendealten Kultur. Um sie kennenzulernen, nutzten auch sie zunächst den Umweg über das Persische: Die spätesten Perso-Indica-Texte (aus den 1830er Jahren) entstanden im Auftrag britischer Forscher und Militärs.

Rund 25 Experten beteiligen sich an dem Forschungsprojekt; neun davon betreuen die einzelnen Themenbereiche, denen sich die Übersetzungen zuordnen lassen. Orthmann hat den Komplex "Astrologie" übernommen: "Nicht, weil ich zuhause eifrig Horoskope stellen würde - sondern weil die Geheimwissenschaften damals eine wichtige Rolle spielten", sagt sie. "Der zweite Mogulkaiser Humayun etwa: Er hat die Astrologie zur Festigung seiner Legitimität genutzt und sich als “Sonnenherrscher„ inszeniert."

Sprach- und kulturwissenschaftlich besonders interessant ist laut Orthmann dabei auch, welche persischen Wörter die Übersetzer für hinduistische Begriffe fanden, die es im Islam nicht gibt - zum Beispiel für "Yoga" oder für "Holi", ein religiöses Volksfest der Hindus. "Unser Ziel ist, hierzu ein spezielles Online-Wörterbuch aufzubauen, in dem die Begriffe und ihre jeweiligen Übersetzungen kontextbezogen angegeben werden", kündigt die Bonner Expertin an.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und ihr französisches Pendant ANR fördern das Vorhaben mit insgesamt 470 000 Euro: Ab Oktober finanzieren sie drei Jahre lang für Bonn und Paris jeweils eine Postdoktorandenstelle, zudem die technische Infrastruktur der Textdatenbank sowie jährlich ein Expertentreffen. Ein Kongress zum Thema ist für September 2015 in der indischen Metropole Delhi geplant.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort