Interview mit Post-Personalchefin Melanie Kreis: "Die Situation ist sehr verhärtet"

BONN · Seit Monaten stehen sich das Post-Management und die Gewerkschaft Verdi unversöhnlich gegenüber. Mit Melanie Kreis, im Vorstand der Deutschen Post DHL für das Personal verantwortlich, sprach Julian Stech über den Konflikt.

 Rund 4500 Post-Mitarbeiter protestierten gestern vor dem Posttower. Der Konzern hielt mit einem Plakat dagegen.

Rund 4500 Post-Mitarbeiter protestierten gestern vor dem Posttower. Der Konzern hielt mit einem Plakat dagegen.

Foto: Barbara Frommann

Seit fast zwei Wochen streiken die Post-Mitarbeiter. Bekommen Sie morgens noch Ihre Briefe?
Melanie Kreis: Ja, und nicht nur ich. Wir versuchen, die Auswirkungen des Streiks auf unsere Kunden so gering wie möglich zu halten, und das gelingt uns auch.

Es scheint kein Ende des Streiks in Sicht zu sein ...
Kreis: Die Situation ist sehr grundsätzlich und verhärtet.

Worum geht es denn eigentlich?
Kreis: Uns geht es um das Paketgeschäft in Deutschland. Und darum, ob wir hier am Wachstum teilnehmen und zukunftsfeste Arbeitsplätze schaffen können. Wegen des Booms bei Bestellungen aus dem Internet haben wir erstmals seit der Wiedervereinigung die Chance, in Deutschland Tausende neuer Arbeitsplätze zu schaffen.

Wo liegt das Problem?
Kreis: Unsere Löhne sind auf dem hart umkämpften Paketmarkt nicht wettbewerbsfähig. Im Schnitt liegt der Stundenlohn der Tarifbeschäftigten bei der Deutschen Post AG bei 17,70 Euro. Das ist mehr als doppelt so hoch wie der Lohn, den die meisten unserer Wettbewerber zahlen. Wir haben im vergangenen Jahr das Gespräch mit Verdi gesucht, um eine Lösung zu finden ...

... die darin bestanden hätte, die Löhne abzusenken?
Kreis: Nur für neue Mitarbeiter - die dann immer noch so hoch sind, dass sie über den Wettbewerberlöhnen liegen. Verdi hat Gespräche darüber jedoch grundsätzlich abgelehnt.

Worauf Sie 49 regionale Zustellfirmen gegründet haben, die deutlich niedrigere Löhne zahlen als die Post AG.
Kreis: Die Löhne in den Regionalgesellschaften sind in vielen Regionen beim Einstieg nicht niedriger als bei der Post AG, aber im Durchschnitt über die Zeit, das ist richtig. Vor allem sind es jedoch Tariflöhne nach dem Branchentarifvertrag Spedition und Logistik, von Verdi ausgehandelt und immer noch an der Spitze unserer gesamten Branche.

Verdi zieht jetzt gegen Ihre Ausgründungen zu Felde ...
Kreis: Offiziell geht es in den Tarifverhandlungen um Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung für die Post-Beschäftigten. Aber es stimmt, die Gewerkschaft läuft Sturm gegen unsere regionalen Zustellfirmen. Das ist mittlerweile der Kern des Konflikts.

Für Verdi-Vorstand Andrea Kocsis schlägt die Post mit den Firmengründungen den verhängnisvollen Weg ein, zunehmend Geschäft in Niedriglohnfirmen auszulagern.
Kreis: Das ist Unsinn. Es geht ausschließlich darum, am Wachstum im Paketmarkt teilzuhaben - und zwar langfristig. Damit sichern wir auch die Arbeitsplätze der heutigen Beschäftigten in der Deutschen Post AG.

Aber Sie haben doch gewaltige Größenvorteile gegenüber der Konkurrenz. Kompensiert das nicht den Lohnabstand?
Kreis: Ja, wir haben als Marktführer Skalenvorteile und sind auch hoch automatisiert. Das kommt aber nicht von ungefähr. Wir investieren seit 2012 rund 750 Millionen Euro allein in das Paketnetz. Unsere Skalen- und Produktivitätsvorteile sind jedoch mittlerweile ausgereizt. Wir sind hier am Ende der Fahnenstange.

Verdi fürchtet, dass immer mehr Paketgeschäft von der AG zu den neuen Zustellfirmen wandert ...
Kreis: Wir nehmen niemandem etwas weg. Alle Vereinbarungen für die 130.000 Tarifbeschäftigten bei der Post AG sind von der Gründung der neuen Zustellfirmen unberührt. Die Regionalgesellschaften haben inzwischen mehr als 6000 Mitarbeiter, die alle freiwillig dorthin gegangen sind. Darunter sind rund 3800 Frauen und Männer, die vorher befristete Stellen bei der Post hatten, aber auch mehr als 2000 Menschen vom freien Arbeitsmarkt, die in vielen Fällen direkt von Konkurrenzunternehmen zu uns gekommen sind. Sie haben jetzt unbefristete Arbeitsverträge und damit Planungssicherheit für ihre berufliche und private Zukunft.

Verdi will diese Struktur aber nicht akzeptieren und droht mit sukzessiver Ausweitung der Streiks.
Kreis: Zuletzt beteiligten sich gut 20.000 Mitarbeiter an den Streiks. Das ist keine Überraschung. Wenn Verdi allerdings anfangen sollte, andere Unternehmensbereiche zu bestreiken, womöglich mit Auswirkungen auf internationale Kunden, dann werden wir alle Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen zu minimieren.

Herrscht Krieg zwischen Ihnen und Frau Kocsis?
Kreis (lacht): Ich glaube, wir nehmen das beide nicht persönlich und wir führen auch keinen Krieg. Aber ein handfester Konflikt ist das schon.

Wie könnte eine Lösung aussehen?
Kreis: Wir sind bereit, ein weitreichendes Angebot für die Tarifbeschäftigten der Post zu machen, sowohl zum Thema Lohn wie auch zu Arbeitszeit und Beschäftigungsgarantien.

Konkret?
Kreis: Zum Beispiel wäre ein Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen auch über 2018 hinaus denkbar.

Verdi hat zuletzt angeboten, bei der Post AG auf eine lineare Einkommenserhöhung zu verzichten und Berufseinsteiger künftig drei statt bisher zwei Jahre auf die nächste Tarifstufe warten zu lassen, wenn Sie dafür die neuen Zustellfirmen auflösen. Warum haben Sie das abgelehnt?
Kreis: Das Angebot hatte Pferdefüße. So hatte man uns ein Ultimatum gestellt und die Vereinbarungen befristet. Wir konnten das nicht annehmen. Außerdem sind die Regionalgesellschaften nicht verhandelbar. Der Zug ist abgefahren. Im Übrigen ist das auch eine Forderung, die gar kein Thema für Tarifverhandlungen ist. Wie wir uns als Unternehmen organisieren, ist unsere Entscheidung. Wir stellen jetzt zum Beispiel fest, dass der Tarifvertrag Spedition und Logistik, der in den neuen Gesellschaften gilt, uns die Freiheit gibt, regional unterschiedliche Löhne entsprechend regional unterschiedlichen Lebensverhältnissen zu zahlen. Das ist ein Riesenvorteil, den wir nicht aufgeben können.

Wie geht es weiter?
Kreis: Ich möchte ganz klar eine Lösung am Verhandlungstisch. Aus unserer Sicht liegt der Ball aber im Feld von Verdi, denn nicht wir haben die Verhandlungen abgebrochen. Frau Kocsis muss die Existenz der Regionalgesellschaften akzeptieren. Wem schadet es, wenn Verdi mit uns Verbesserungen für die 130.000 Tarifbeschäftigten der Post AG aushandelt?

Zur Person

Geboren in Bonn, Abitur am Sankt-Adelheid-Gymnasium, Physikstudium an der Bonner Universität - seit November vergangenen Jahres ist Melanie Kreis beim weltgrößten Logistikkonzern für fast eine halbe Million Mitarbeiter rund um den Globus verantwortlich. Wie Postchef Frank Appel begann Melanie Kreis ihre berufliche Laufbahn 1997 bei der Unternehmensberatung McKinsey. 2004 kam sie zur Post. Kreis hat zwei Töchter und lebt mit ihrer Familie in Bonn.

Warum der Konflikt zwischen der Post und Verdi so schwer zu lösen ist

Der Konflikt um die neuen 49 Regionalgesellschaften (DHL Delivery) schwelt seit März. In diesen Tochterfirmen gilt nicht der Haustarif der Post AG, sondern der Branchentarif Spedition und Logistik mit niedrigeren Löhnen. Die Post begründet das mit der Notwendigkeit, im Wettbewerb auf dem Paketmarkt zu bestehen.

Laut Geschäftsbericht hat sie allerdings ihre Marktanteile hier in den vergangenen Jahren ausgebaut und ist mit rund 43 Prozent Marktführer. Verdi will die Schlechterstellung der Mitarbeiter in den Regionalgesellschaften nicht akzeptieren. Die Gewerkschaft befürchtet, dass der Auslagerung von Teilen des Paketgeschäfts bald weitere Schritte folgen.

Außerdem zerschlage die Post damit das bewährte Zustellsystem in zwei Teile: eines bei der Post AG, eines bei den Regionalgesellschaften. Verdi-Chef Frank Bsirske: "Ein Frontalangriff auf die Interessen der Mitarbeiter, der auch operativ im Chaos endet." Verdi geht es aber auch um eigene Interessen: Während die Post AG gewerkschaftlich gut organisiert ist, sind die Tochterfirmen noch Brachland.

Das Post-Management will an den Regionalgesellschaften festhalten. Verantwortlich für die Brief- und Paketsparte ist Jürgen Gerdes, eher als fordernd und durchsetzungsstark denn als elastisch und kompromissfähig bekannt. So lange sich beide Seiten an ihre Positionen klammern, scheint keine Lösung in Sicht. Die Gefahr besteht vielmehr, dass der Streit das Klima im Konzern langfristig vergiftet.

Die hässlichen Begleiterscheinungen des Streiks sind Vorboten davon. Sollte sich die Post durchsetzen, könnte Verdi die Regionalfirmen als dauerhaften Stachel im Fleisch wahrnehmen und der Post auf anderen Feldern das Leben schwer machen.

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