Bonner wurde ohne Arme geboren Lukas Grzeschik: "Meine Füße sind meine Hände"

BONN · Der Lebenslauf von Lukas Grzeschik sieht so aus, wie viele Eltern ihn für ihre Kinder erhoffen: Grundschule, Gymnasium, Abitur, duales Studium mit Banklehre und während der anschließenden Festanstellung noch ein Masterstudium. Heute ist der 28-Jährige als Junior Analyst im Risikomanagement der Bonner Niederlassung der KfW-Bankengruppe tätig.

 An seinem Arbeitsplatz in der Bonner Niederlassung der KfW: Lukas Grzeschik.

An seinem Arbeitsplatz in der Bonner Niederlassung der KfW: Lukas Grzeschik.

Foto: Horst Müller

Was den engen Takt der Ausbildung so ungewöhnlich macht: Grzeschik ist ohne Arme und mit einem etwas kürzeren Bein geboren worden. Doch das ist ihm nur wenige Worte wert. Wichtiger als das, was er nicht hat, ist ihm das, was er hat: "Meine Füße sind meine Hände."

Studium neben der Ausbildung

Nach dem Abitur am Bonner Helmholtz-Gymnasium wusste Grzeschik wie so viele andere junge Leute nicht, was er werden sollte. Nur die vage Ahnung hatte er: "Es sollte etwas mit Zahlen sein. In Mathe war ich gut." Grzeschik sah sich auf der Abi-Einstiegsmesse in Köln potenzielle Unis und Arbeitgeber an. "Ich war an diesem Tag schon etwas frustriert, weil zunächst nichts Passendes für mich dabei war." Dann stieß er auf die Ausbildungsleiterin der KfW, deren Schilderungen der Ausbildung interessant klangen. Sie sagte außerdem, dass das staatliche Förderinstitut regelmäßig Schwerbehinderte ausbildet. Der Anteil schwerbehinderter Beschäftigter liegt bei der KfW bei 5,4 Prozent. Der Abiturient bewarb sich: "Im Nachhinein hat sich herausgestellt: Das war genau das Richtige für mich."

Parallel zur Ausbildung machte Grzeschik das Bachelor-Studium Banking und Finance bei der Sparkassen-Finanzgruppe. Die Studenten bekamen zu Anfang des Semesters online Skripte. "Dazu gab es Aufgaben, die wir lösen konnten und die der Dozent korrigiert hat". Einmal im Semester stand ein Präsenztag an. Um zu lernen, bekam Grzeschik freitags in der KfW frei. Die Ausbildung dauerte 2,5 Jahre, nach weiteren anderthalb Jahren hatte der Bonner den Bachelor of Science mit Ausrichtung Finance in der Tasche.

"Ich habe immer versucht, normal zu sein und auf Sonderrechte zu verzichten"

Während der Ausbildung durchlief er die Abteilung Risikomanagement bei der KfW. Es gefiel ihm gut, er konnte die Ausbildungsstation verlängern. Und etwas später fragte der Chef an, ob Grzeschik sich vorstellen könnte, nach der Ausbildung fest ins Team zu wechseln. "Wir machen für unser eigenes Haus Ratings von anderen Banken . Da die KfW Kredite vor allem über andere Institute vergibt, muss sie die anderen Banken natürlich bewerten", schildert Grzeschik seine Tätigkeit. Er fühle sich in seinem Team wohl. Wenn es gemeinsam in die Kantine gehe, bekomme er Unterstützung von den Kollegen. Die Arbeitsplatzausstattung, die für ihn angepasst ist, organisierte die KfW: "Ich brauchte nur einen Wunsch zu äußern und schon klappte es. Da habe ich es perfekt erwischt."

2011 wurde Grzeschik mit dem Bachelor fertig. Nach einem Jahr Pause mit "nur" Arbeit hängte er ein Master-Studium an der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr (WHL) dran. In den zwei Jahren Studium ging dann die Urlaubszeit vollends zum Lernen drauf, onlinegestützt, einmal im Semester zwei bis drei Präsenzwochen. "Es war ein bisschen anstrengend, aber mit Zeitmanagement war das hinzubekommen", sagt Grzeschik. Seit vergangenem Jahr ist er damit fertig. Wie er seine Freizeit jetzt nutzen wird, weiß er "noch nicht wirklich". Der 28-Jährige guckt auf jeden Fall nach Möglichkeiten zur Weiterbildung. "Jetzt genieße ich erst mal die Ruhe." Ins Kino gehen, mit Freunden unterwegs sein und mit der acht Monate alten Nichte spielen gehörten dazu. "Ich habe immer versucht, normal zu sein und auf Sonderrechte zu verzichten. Über die Jahre habe ich aber gemerkt, dass das nicht immer geht", sagt Grzeschik. Seit einer Sehnenscheidenentzündung am Fuß nutzt er auf der Arbeit häufiger ein Spracherkennungsprogramm.

Auto wurde speziell für ihn angepasst

Grzeschik hat seit 2011 ein eigenes Auto. Bei ihm war die Reihenfolge anders als bei anderen Fahranfängern: Zunächst kaufte er das Auto, das mit Fußlenkung und Automatikschaltung speziell für ihn angepasst wurde. Von der Arbeitsagentur gab es eine finanzielle Förderung, weil das Auto für den Weg zur Arbeit wichtig ist: "Stehen ist immer so eine Sache - gerade wenn der Bus überfüllt ist." Mit seinem eigenen Auto machte er dann den Führerschein. Als langjähriges Mitglied des 1. FC Köln führte ihn seine Jungfernfahrt zum Fanshop des Vereins, um sich ein Fanshirt zu kaufen.

Lange bevor der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern zur Regel wurde, hat Lukas Grzeschik die Gemeinschaftsgrundschule Medinghoven besucht. Seine Eltern wollten gern, dass er an eine Regelgrundschule geht. "Sie waren überzeugt, dass ich dort klarkomme."

Bei der damaligen Schulleiterin der Grundschule, Frauke Roggenbau, stießen sie auf offene Ohren: "Ich ließ Lukas auf einem Blatt malen und war von seiner unglaublichen Feinmotorik bei verschiedenen Übungen angetan." Nachdem sie mit der zukünftigen Klassenlehrerin und dem restlichen Kollegium gesprochen hatte, entschied sie, den Jungen probeweise aufzunehmen. Es klappte: "Lukas wurde zum Modell einer völlig unproblematischen Integration", sagt Roggenbau.

Grzeschiks Mutter sei im Notfall jederzeit bereit gewesen zu kommen. Auch im sozialen Miteinander der Kinder habe es nie ein Problem gegeben: "Lukas blieb integrativer Teil seines Freundeskreises, der ihn bis zum Abitur in vorbildlicher Weise begleitete und hilfreich zur Seite stand."

"Es gab viele Mitschüler, von denen ich von der ersten bis zur letzten Klasse zusammen war", erinnert sich Grzeschik. Zum Abitur am Helmholtz-Gymnasium lud er seine ehemalige Grundschul-Rektorin ein. Für Frauke Roggenbau war das ein sehr emotionaler Tag: "Da musste ich doch einige Tränen der Rührung vergießen."

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