Telekom-Vorstand Claudia Nemat "Es reicht nicht aus, Fachmann auf seinem Gebiet zu sein"

Bonn · Telekom-Vorstand Claudia Nemat über Schulung von Führungskräften und das Besetzen von Posten mit vertrauten Personen:

 Gab den Anstoß: Vorstandsmitglied Claudia Nemat.

Gab den Anstoß: Vorstandsmitglied Claudia Nemat.

Foto: Nicolas Ottersbach

Claudia Nemat ist im Vorstand der Deutschen Telekom für das Europa-Geschäft zuständig. Von ihr ging die Initiative aus, gezielt weibliche Führungskräfte für Aufsichtsratsmandate zu schulen. Mit Nemat sprach Claudia Mahnke.

Wie sieht die Zwischenbilanz des Schulungsprogramms aus?

Claudia Nemat: Die Resonanz der Teilnehmerinnen ist sehr positiv. Die Praxisnähe wird von allen als lehrreich empfunden, weil es umfangreiche Fallstudien gab. Wir haben unsere eigene ungarische Telekom-Tochter auf Herz und Nieren untersucht, uns aber auch gezielt Fälle angeschaut, bei denen Aufsichtsräte große Fehler gemacht haben, wie beim US-Energiekonzern Enron 2001 oder der Investmentbank Lehman Brothers 2008.

Verläuft denn eine Schulung mit weiblichen Führungskräften anders als bei gemischter Besetzung?

Nemat: Grundsätzlich bin ich von diesem Aufsichtsratsprogramm sehr angetan - Männer und Frauen profitieren gleichermaßen davon. Ende des Jahres starten wir ja eine weitere Auflage, an der auch Männern teilnehmen. Ich glaube, der zusätzliche Charme ist derzeit, dass sich Frauen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen, Funktionen und Ländern so sehr viel näher kennengelernt haben und dadurch ein sehr kraftvolles Netzwerk entsteht. Das war Teil der besonderen Atmosphäre.

Was war die Motivation, das Programm zunächst nur für weibliche Teilnehmer zu öffnen?

Nemat: Wir stehen als Unternehmen - wie ja auch die Wirtschaft insgesamt - vor der Herausforderung, Aufsichtsräte mit topqualifizierten Leuten zu besetzen. Ich glaube, dass Teams aus Männern und Frauen einfach bessere Ergebnisse erzielen. Männliche Kollegen haben immer zu mir gesagt, sie würden ja gern Posten mit Frauen besetzen, aber sie würden niemanden finden. Deshalb haben wir auf diese Weise unser vorhandenes Potenzial an Frauen im Unternehmen sichtbarer gemacht und damit eine Quelle der Inspiration geschaffen. Wenn wir jetzt über Positionen entscheiden, dann haben wir einen Pool an geschulten Kräften.

Wie sind die Teilnehmer ausgewählt worden?

Nemat: Wir haben bewusst darauf geachtet, dass wir einen guten Querschnitt aus allen Ländern und allen Unternehmensbereichen haben. Außerdem sind es natürlich Frauen, die uns in der Vergangenheit bereits durch ihre Leistungen aufgefallen sind.

Welche Qualitäten braucht ein guter Aufsichtsrat?

Nemat: Man braucht einen ganzheitlichen Blick auf das Unternehmen. Es reicht nicht aus, Fachmann auf seinem Gebiet zu sein. Der Blick muss sich weiten. Daneben gibt es wichtige Spezialthemen, mit denen man nicht unbedingt im normalen Managementleben konfrontiert wird. Es geht um rechtliche Fragen und die Beachtung von Corporate Governance. Die dritte Komponente hat mit einem guten Selbstbewusstsein und psychologischen Kenntnissen zu tun. Wer in einem Aufsichtsrat sitzt, darf sich nicht durch Aussagen wie "Das haben wir immer so gemacht" einschüchtern lassen. Wenn man das Gefühl hat, es stimmt etwas nicht, dann muss man dem auch nachgehen. Viele Dinge lesen Sie nicht in Zahlenkolonnen. Es hilft, eine gute Menschenkenntnis zu haben. Deshalb ist nicht jeder gute Manager ein guter Aufsichtsrat.

Ist die durchschnittliche Verweildauer in deutschen Aufsichtsräten zu lang?

Nemat: In Telekom-Aufsichtsräten haben wir mittlerweile eine gute Balance zwischen Kontinuität und frischem Wind. Ich glaube, die Tatsache, dass wir in Deutschland eine gesetzliche Frauenquote als Notwehrmaßnahme bekommen haben, deutet darauf hin, dass die Fluktuation grundsätzlich nicht ausreichend hoch ist. Das Durchschnittsalter der Aufsichtsräte ist oft hoch. Es fehlt auch an digitaler Kompetenz.

Als Europa-Chefin haben Sie es mit unterschiedlichen Kulturen zu tun. Wo steht Deutschland beim Thema Frauen in Führungspositionen?

Nemat: In Osteuropa ist die Lage grundsätzlich besser. In Kroatien lachen sich die Top-Managementteams über unsere Debatten hier kaputt. Dort liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei fast 50 Prozent. Auch in Griechenland, Frankreich und den angelsächsischen Ländern haben wir Topfrauen. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind sehr rückständig. Deutschland ist das absolute Entwicklungsland.

Der Talentpool an Frauen für Aufsichtsräte ist jetzt da. Was muss jetzt passieren?

Nemat: Jetzt müssen Frauen aktiv ins Gespräch gebracht werden, wenn Posten zur Besetzung anstehen. Es gibt eher unbewusste Barrieren. Jeder hat seine Netzwerke im Kopf, wenn es um die Verteilung von Positionen geht. Das ist keine Sache, die innerhalb eines Jahres zu lösen ist. Aber die ersten Frauen sind bereits für Nominierungen vorgesehen.

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